Es fällt einem schwer, nicht begeistert von „Die Brüder Karamasow“ sein. Doch will man beschreiben warum, kann das ziemlich schwer werden. Zu vielfältig die Themen, zu unterschiedlich die Perspektiven. Ein Aspekt des Buches, dass regelmäßig positiv hervorgehoben wird, so z.B. auch im Handbook of Apologetics von Kreeft und Tacelli, ist der Aspekt der Notwendigkeit des Leidens, welches Dostojewskis Werke häufig durchzieht.
Die Verherrlichung des Leidens, so wie Dostojewski es beschreibt, kann aber unrealistisch werden. Das fällt Somerset w. Maugham auf, als er in „Zehn Romane und Ihre Autoren“ zu Dostojewski kommt. Das Werk ist ein guter Einstieg für jedermann, der biographische Hintergrundinformationen zu Dickens, Balzac, Tolstoi und co sucht, sowie ihre bekanntesten Werke in sehr gelungener und gründlicher Qualität besprochen haben möchte. Maugham war dabei nicht nur Kritiker, sondern selber ein bis heute geschätzter Autor. Wer sich ein Bild von Maugham als Autor machen möchte, macht mit den Erzählungen um den Agenten Ashenden keinen Fehler.
Über Dostojewskis Interpretation des Leidens schreibt Maugham (S. 375f.):
„Aber hatte Dostojewskij recht mit seiner Annahme, dass das Leiden den Charakter reinigt und adelt? in den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (Anm. von mir: In dieser Erzählun schildert Dostojewski seine zehnjährige Haft) findet sich kein Hinweis, dass seine Mitgefangenen diese Erfahrung machten, und er selbst hat sie gewiss nicht gemacht. Er ist, wie gesagt, im Gefängnis kein anderer Mensch geworden. Was das körperliche Leiden betrift, so geht meine Erfahrung dahin, dass lange und qualvolle Krankheit die Menschen mürrisch, egoistisch, intolerant, kleinlich und neidisch macht. Sie macht sie nicht besser, sondern, im Gegenteil, noch schlechter. Ich weiß natürlich, dass es Menschen gibt, und ich kenne sogar den einen oder andern, die während einer langen und qualvollen, letztlich unheilbaren Krankheit Mut, Selbstlosigkeit, Geduld und Gelassenheit gezeigt haben; Diese Eigenschaften hatten sie aber auch schon vorher. Die Gelegenheit brachte sie zum Vorschein. Es gibt auch seelisches Leiden. Niemand kann lange im Literaturbetrieb leben, ohne Menschen kennenzulernen, die Erfolg gehabt und dann aus irgendeinem Grund verloren haben. Das hat sie mürrisch, bitter, gehässig und neidisch gemacht. Mir fällt nur ein Fall ein, wo dieses Missgeschick, begleitet von Demütigungen, die nur kennt, wer sie erlebt hat, mit Mut, Würde und Humor ertragen wurde. Der Mann, von dem ich spreche, hatte diese Eigenschaften zweifellos schon vorher, aber die Maske des Leichtsinns, die er aufhatte, verhinderte, dass man sie erkannte. Das Leiden gehört zum Los des Menschen, doch das macht es nicht weniger schlimm.“
So weit Maugham. Es gibt auch im christlichen Mindset diese grundsätzlich positive aber häufig naive Haltung zum Leiden. So als käme man naturgemäß als Sieger aus dem Leiden. Auch unter Christen, und bie mir selbst, habe ich es erlebt, dass Leiden mich und andere Brüder mürrisch, klagend, murrend und misstrauisch gemacht hat und macht. Es ist wohl so, dass wir als Christen am ehesten die Aussicht haben, gereift aus Leiden hervorzugehen, aber ein Automatismus ist es für uns auch nicht. Die klaren Worte Maughams sind hier eine hilfreiche Einschätzung.
Krankheiten und Leid sind auch Prüfungen, doch diese „zu bestehen“, da brauchen wir die Kraft und Unterstützung Gottes. Das die Prüfungen nötig sind, um zu zeigen, an was unser Herz wirklich hängt, keine Frage. Aber die Bereitschaft, auch das zeigt Maugham den Prüfungen gewachsen zu sein, muss bereits davor im Herzen des Menschen bestehen. Wir als Christen, die wir das Fundament der Leiden Christi besitzen, haben dafür sicherlich die beste Grundlage, wir dürfen getrost auch den bitteren Kelch aus der Hand Christi nehmen, immer im Wissen um die Führung Gottes.. Das ist aber keine Rechtfertigung dafür Prüfungen des Lebens zu einem „Glücks-Automatismus“ zu erklären.
Danke Sergej, sehr wertvolle Gedanken finde ich.
Ja, Maugham ist wirklich lesenswert, nicht immer sonderlich christliche Themen aber die er bespricht, ist wohl eher so was wie der britische Hemingway. Leider weiß ich nicht mehr welche der vielen Hörbuch-Varianten vom Agenten Ashenden (Achtung die sind auf deutsch unter unterschiedlichen Titeln erschienen) gehört habe. Aber falls du dir dieses Buch holst, aus dem ich oben zitiere, das Vorwort ist wirklich gut und lesenswert auch für jeden Blogger. Er gibt viele Einschätzungen darüber, was einen lesenswerten bzw. Qualitativ hochwertigen Text ausmacht.