Johannes 15,20: 20 Gedenket an mein Wort, das ich euch gesagt habe: "Der Knecht ist nicht größer denn sein Herr." Haben sie mich verfolgt, sie werden euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.
Als Protestanten, gerade freikirchlicher Spielart müssen wir uns regelmäßig daran erinnern, dass die Gemeinde Christi nicht erst mit der Reformation und erst recht nicht mit der Gründung der baptistischen Ortsgemeinde ihren Anfang nahm. Doch wo war die “echte Gemeinde” in der “dunklen Zeit des Mittelalters”, als alles religiöse Leben auf irgendeine Weise mit den “Fängen Roms” verknüpft war? Eine populäre und bereits alte Erklärung besteht darin, auf die “Linie des Blutes”, auf die Spur der Märtyrer zu verweisen. Der Weg dazu: Finde die Märtyrer, finde die leidende Gemeinde und du findest die echte Gemeinde. Diese Methode ist so alt wie die Reformation selbst. John Foxes Buch “Acts and Monuments” (auch bekannt als “Foxes Buch über die Märtyrer”) gehörte eine lange Zeit zu den drei Büchern, die in einer Kirche frei zugänglich ausgelegt werden mussten (Mehr über Foxe, und was er mit Cox und Knox in Frankfurt getrieben hat, erfährst du hier).
Foxes Methode ist auch heute weit verbreitet, wenn ich z.B. an Broadbents Kirchengeschichte denke, die auf deutsch urpsrünglich unter dem Titel “Gemeinde Jesu in Knechtsgestalt” erschien. Akribisch verfolgt er nicht die offizielle Kirche,sondern generell religiöse Randgruppen in (oder außerhalb) der “offiziellen” Kirche, ob nun Donatisten, Montanisten oder Waldenser. In diesen “leidenden Bibellesern” will Broadbent die “echte Gemeinde” erkennen.
An dieser Stelle wird eigentlich das erste Problem dieses Models des Blutflusses deutlich. Broadbent kann nicht umhin, jede Strömung der Kirchengeschichte an seinem für ihn feststehenden Standard, nämlich den Brüdergemeinden (Plymouth Brethren) messen. Je näher eine Strömung an seine eigene Denomination herangekommen ist, desto näher kam sie auch an Gott. Was passiert ist eine Evangelikalisation der vollständigen Kirchengeschichte: Hätte Luther doch bloß noch ein paar Schritte weiter gedacht, dann wäre er ein “geschlossener Bruder” oder ein “Mennonit” oder (mit noch einem zusätzlich Schritt) sogar ein Evangeliums-Christ geworden. Und ich spreche noch nicht einmal darüber, dass ja nichts geschieht, was Gott nicht auch so will!
Selbst Baptist, kann ich durchaus das Unbehagen verstehen, dass man über so viele Jahrhunderte hindurch auch in der bemühtesten Reformbewegungen der Christenheit wenig über die Erwachsenentaufe findet und wenn, dann oft anders begründet, als wir es gewohnt sind. Dennoch glaube ich, dass wir mehr verlieren als gewinnen, wenn wir in der Kirchengeschichte nur einen Spiegel unseres verwöhnten, oberflächlichen, vom Wohlstandsevangelium, Zwergenpapstum und bizarrem Partikularismus zerfressenen Evangelikalismus sehen. Auch einen kritischen Blick auf unsere eigene Zeit.
Diese heilige Blutlinie ist ja in der Tat eine ganz angenehme Rechtfertigung: Einfach weitermachen ist die Devise. So gut wie jede Freikirche (erst recht aber die emigrierte russlanddeutsche) kann wenige Generationen zurückblickend, mutige, den Tod nicht fürchtende Christen unter ihren Vorfahren finden. Ich glaube, es waren mehr als 3000 Pastoren der Evangeliums-Christen, die in der Sowjet-Zeit für ihren Glauben im Knast saßen, ein beachtlicher Teil davon verstarb unter erschauernden Haftbedingungen. Und wir? Wir sind Nachkommen dieser großartigen Generationen an Glaubenshelden! “Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt…” Aus ihrem Blut, ihren Tränen und ihren Gebeten sind wir entwachsen, somit muss unser Glaube, die Art und Weise wie wir ihn ausleben, auch richtig sein! Ihr Glaube reichte aus, um bis zum Tode getreu zu sein, wir müssen also einfach weitermachen wie bisher! Dabei kümmert sich kaum einer ernstlich um Leben und Ansichten der sowjetischen Christenheit. Obwohl wir nur noch wenig Ähnlichkeit mit den Christen der Sowjetunion besitzen, beanspruchen wir ihre Treue ganz selbstverständlich auch für uns. Der Verweis auf den Glaubensmut der Väter verkommt so zum uns angenehmen Mittel, notwendige Heiligung auf die lange Bank zu schieben.
Dieses Spiel wird furchtbarer, wenn es sich mit der Überzeugung verbindet, dass wir natürlich, wenn wir doch bloß in der “guten” alten Zeit (Vergiss bloß Pred. 7,10 nicht!)gelebt hätten, natürlich mutig mitgelitten hätten (ach ja und Matth. 23,29-33).
Es gibt auch die Variante der “Promotion des Leidens”. Da ist der eine völlig egoistische, unfreundliche, kaum zu ertragende, völlig an der Bibel uninteressierte Prediger und Laienpastor oder Diakon. Aber irgendwie gelingt es ihm dann, seine berechtigte Kündigung der Arbeitsstelle als “Leiden um Christi willen” zu verkaufen. Und als er zum wiederholten Male voller Hass und Neid seine Kinder grün und blau prügelte, tat er das natürlich nur aus der Furcht Gottes heraus, der auch “das alte Testament und natürlich auch Spr. 13,24” ernst nimmt. Mitten in einer herausfordernden und unterdrückenden Umgebung der jungen Gemeinde wusste Petrus darum, dass Christen auch um “Missetat Willen” Streiche leiden können, für die sie keinen Ruhm erwarten sollten (1. Pet. 2,20).
Was ich meine ist nicht, dass es nicht Diskriminierungen der christlichen Position am laufenden Band gibt. Dafür muss man sich nur anschauen, wie die Presse z.B. über jeden Marsch fürs Leben höhnt oder über die Nominierung von Barrett als Richterin für den Supreme Court lästert. Ich meine vielmehr, dass wir, gerade als konservative Evangelikale, immer wieder geschickt geschafft haben, uns aus der Verantwortung zu ziehen.
Das größte Problem dabei ist, dass wir mit der Blutlinie zunehmend selbst ein Definitionsproblem besitzen. Foxes Werk konnte auf den zahlreichen Ermordungen der Protestanten durch die blutige Maria auch ganz real betrachtet werden. Einen Christen, der für seinen Glauben wirklich ernsthaft leidet, muss man (trotz zunehmend antichristlicher Politik) im Westen immer noch mit der Lupe suchen. Wenn das dann geschieht, ist er zum Glück nicht Teil unserer Denomination, und wir Immer noch ist gerade der Evangelikalismus die Religion einer gut situierten Mittelschicht, die an den “Segen des Wohlstands” (Gott bekennt sich bekanntlich zu denen, die sich zu ihm bekennen) schon längst gewöhnt ist. Unsere kleinen konservativen Paradiese, die wir uns in unseren Gärten, Strebergärten, Hauskreisen usw… geschaffen haben, werden wir uns so schnell nicht rauben lassen. Wen
Das klingt nach einem gelungenen Trick: Der Verweis auf das verflossene Blut frommer Märtyrer um sich selbst zu bestätigen, ohne dabei ein Bedürfnis danach zu spüren, ihnen nachzuverfolgen. Komfort und Selbstzufriedenheit sind dabei zahlreich geerntete Früchte. Wenn jedoch 2000 Jahre zurückblickend die Gemeinde immer in Knechtsgestalt blieb, aus welchem Grund bitte ist dann unsere Zeit eine Ausnahme?