Christians Abenteuer (1): Christian kann nicht genießen

Denn dem Menschen, der (Gott) gefällt, gibt er Weisheit, Verstand und Freude; (Pred. 2,26)


Bei meinem letzten Besuch in Oxford bin ich beim Wandeln zwischen den alterwürdigen Gräbern neben dem Martyrs Memorial über eine lockere Bodenplatte gestolpert,  die dadurch um wenige Zentimenter nachgab. Auf diese Weise tat sich ein bis dahin kaum sichtbarer Spalt so weit auf, dass dahinter ein Hohlraum sichtbar wurde. Fast automatisch musste ich hinlangen und zog eine stark angegriffene Ledertasche hervor in der sich ein englisches handgeschriebenes Manuskript  mit dem eigentümlichen Titel “Some lost chapters of the pilgrim’s progress” von einem gewissen Yann Jobuhn. Nun bin ich endlich dazu gekommen, einige Kapitel davon zu übersetzen, wobei ich es nicht unterlassen konnte, die Erzählungen zu kürzen und die Begebenheiten an moderne Herausforderungen anzupassen.

Doch lassen wir den Autor sprechen:

Christian (35 Jahre alt und verheiratet mit Christine) wohnt in Kampfstadt, einer kleinen Siedlung in der Nähe von Siegburg. Er ist seit vielen Jahren Christ, recht aktiv in der Gnadenkirche, einer bunten Gemeinde am Rande seiner Stadt.  Doch in den letzten Jahren verließ die Freude immer mehr das Herz von Christian, ein derart schleichender Prozess, dass er ihm weder besonders auffiel, noch für ihn erklärbar war. Doch blicken wir auf einen typischen Sonntag von Christian.

An diesem Tag wollte das junge Paar den Gottesdienst der Martini Gemeinde  besuchen und schon bald fing die Schlinge Satans an, sich enger um den Hals von Christian zusammenzuziehen. Der Weg war lang, und obwohl man für einen Sonntag nur wenig Verkehr erwarten durfte, haben sie fast eine halbe Stunde länger benötigt, als eingeplant. Entsprechend stockten auch die Gespräche unterwegs ziemlich schnell und Christian dachte darüber nach, wie viel er in der Verkehrsplanung ändern würde, wenn er der Stadtbauplaner wäre. Schon bald versank er im Nachdenken über die weitreichenden Änderungen, die eigentlich  die komplette Gesellschaft benötigt und verpasste so die Gelegenheit seiner Frau zuzuhören, die mit ihm die herausfordernde Schulsituation ihrer Kinder besprechen wollte. Auch hatte er natürlich weder Freude an der Umgebung, noch konnte er die Songs aus dem DAB-Radio genießen, die ausgerechnet heute seine Lieblingssongs ausstrahlen mussten. Sie sind recht knapp eingetroffen, waren aber pünktlich genug, damit sich Christian über den starren Gesichtsausdruck eines Ordners und das doch eigentümliche Design eines evangelistischen Flyers wundern konnte, die am Eingang auslagen. “Wer bitte soll ernsthaft erwägen, den Gottesdienst zu besuchen, wenn er einen solchen Flyer sieht”, fragte sich Christian. Doch schon saßen sie zwischen den Reihen, natürlich mit Abstand und Maske. schließlich war ja Corona. Christian hasste es, über Corona nachzudenken, und je mehr er sich diesem Thema entziehen wollte, desto mehr schien es seine Gedankenwelt zu kontrollieren. Die kompletten Maßnahmen erschienen ihm bizarr, ja er weigerte sich, in diesen Weitsinn oder Kompetenz anzuerkennen. Er würde so vieles anders machen. Er verstand nicht, wie solch kompetente Menschen sich  nicht zu besseren Entscheidungen durchringen konnten. Wieder war er kurz davor, sich von einem wichtigen, global relevanten Thema gefangen zu nehmen, bei dem eine Veränderung dringen nötig war (und die er sogar kannte), doch kam er doch noch rechtzeitig zur Besinnung, um der Gottesdienstliturgie und der Predigt folgen zu können. Doch was war das bloß für eine Liturgie.

Er empfand es ja schon positiv, dass ganze vier Lieder gesungen wurden, doch müssen es ausgerechnet diese sein? Ist der Autor des einen nicht ein berühmter Charismatiker? Christian war sich nicht sicher, ob er so ohne weiteres in den Gemeindegesang mit einstimmen konnte. Beim zweiten Lied konnte er eigentlich nichts anstößiges am Inhalt feststellen, doch plötzlich fiel ihm die Haltung des Vorsängers auf. “Muss er sich so künstlich hinstellen? Und diese Haltung mit dem Kinn nach oben? Er hält sich wohl für den wichtigsten Mann hier! Dabei sollte Gesang wirklich Gemeindesache bleiben!” Die Gedanken schossen wie Hagelkörner durch seine Gehirnzellen. Immerhin war das dritte und vierte Lied, jeweils ein alterwürdiger Choral. Ja das ist Musik, die man hören und singen kann. Doch halt, “Frei vom Gesetz” von Philip P. Blis? Ist der Text nicht doch arg antinomistisch? Christian hatte keine Freude, als er den Text des Liedes, wenn auch nicht mehr sang, so doch mit den Lippen abflüsterte. Selbst das letzte Lied konnte seine Unsicherheit nicht nehmen. Auch wenn alter Choral, wunderte er sich die ganze Zeit darüber, wer denn noch mit solch alten Begrifflichkeiten überhaupt noch etwas anfangen kann? “Na hoffen wir doch mal auf die Predigt”, dachte sich Christian, während er den Rest der Liturgie, die ihn allzu sehr an “katholische Kirche” erinnerte, über sich ergehen ließ.

Nun, der Pastor war natürlich eine Koryphäe, einer der wenigen Prediger, denn er selber anhörte und denn er auch anderen empfehlen konnte, natürlich immer nur mit entsprechenden Erklärungen, worauf man auch  bei diesem Prediger aufpassen muss. Bei landeskirchlichen Verkündigern musste man einfach immer auf der Hut sein!  Doch heute enttäuschte der Prediger einfach nur. Nicht das der Text aus 2 Kön. 4,1-7 nicht mal eine gewünschte (und nötige) Veränderung war.  – “Endlich predigt mal einer über die Geschichtsbücher der Bibel” – Nein, aber die Ausarbeitung vom Götzendienst blieb allzu sehr auf einem trivial abstrakten Level. Christian fragte sich, ob überhaupt ein Zuhörer hier wäre, der wirklich verstand, was für ein tragisches Problem, Götzendienst auch heute ist. “Wie schnell machen wir aus allem möglichen Götzen…ich denke da nur an Paul…” –

Christian kämpfte darum, seine Gedanken nicht abschweifen zu lassen. Er fragte sich, warum er sich überall so unpassend fühlte. Immer fühlte er sich, wie das fünfte Rad am Wagen.  Doch ein Wort riss ihn aus seiner Gedankenwelt heraus! Hat er das gerade wirklich gehört? Hat der Prediger, gerade wirklich “Scheiß'” gesagt? Von der Kanzel und mitten in einer Predigt?  Christian dachte darüber nach, ob das berechtigt ist, schließlich werden Götzen (und Götzendienst) im AT oft mit Kot und Abfall verglichen. Aber ob damals so viele Zuhörer gelacht haben, wie heute? Irgendwie war Christian dann doch froh, als die Predigt und der Gottesdienst endlich zu Ende waren.  Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 10 (gut) war der Gottesdienst eine 6. Es ist ja nicht so, dass der Prediger nicht ein bibeltreuer, eifriger Prediger war, ja eigentlich ein Bollwerk des konservativen Evangelikalismus war und auch die Gemeinde war überregional für Ihren Missionseifer bekannt. Aber, wenn er so recht darüber nachdachte, vermisste er doch eine exakte Exegese, die Beispiele hatten kaum Praxisbezug und waren weltfremd. Christian fragte sich, ob er den Prediger dieser Gemeinde weiterhin so uneingeschränkt weiterempfehlen kann. Auf dem Rückweg fiel ihm wieder der grimmig dreinblickende Ordner auf und Christian fragte sich, warum es eigentlich immer der unfreundlichste Mensch einer Gemeinde ist, der zum Ordner berufen wird.  Auf der Heimfahrt, lief alles wie lang bekannt: Die Fahrt ging zwanzig Minuten länger (DIESE Baustelle im Vorort!), als das Navi es voraussagte, Tochter Thea benötigte ganze zwei Mal eine Pinkelpause (Trotz üblichem Hinweis, diese besser zu planen) und schließlich fing es noch an zu regnen, und das mitten im Juli!

Immerhin freute sich Christian auf seine Pizza! Seine Familie hatte das schon lange als gute sonntägliche Tradition eingeführt, den Tag der Ruhe zu ehren und auf das Kochen zu verzichten. Entsprechend sollte es heute Pizza vom Lieblingsitaliener geben. Er liebte die Pizza mit Artischocken und Schinken. Er kannte keinen, der die Pizza so gut hingekriegt hat, dass der Teig sowohl knusprig wie fluffig wurde. Und der Käse erst! Nicht dieser billige Schummel(!)käse von der Imbissbude um die Ecke! Christian liebte diese Pizza! Aber heute sollte einfach nicht Christians Tag sein. So sehr er sich auf seine Pizza gefreut hat, fiel ihm schon die letzten Male auf, dass der Italiener sich immer mehr Zeit mit seiner Bestellung lässt. “Offensichtlich scheint es ihm nicht zu gefallen, dass wir immer nur drei Pizzen nehmen, was wohl nicht so viel Geld einbringt und wir sind langsam in der Kategorie der B-Kunden angekommen” blitzte es in Christians Gedankenwelt auf. Mag dies bisher nur ein schwach begründeter Verdacht sein, wurde er doch dick in neonfarbener Farbe durch die Tatsache unterstrichten, dass die Pizza, gelinde geurteilt, verbrannt war. “Nun ja, hautpsache der Tank ist voll.” Aber Natürlich auch mal wieder so typisch Kinder, dass sie eine Pizza bestellen, die Ihnen überhaupt nicht schmeckt. Das Gemeckere am Tisch nervte ihn!

Entsprechend wurde die Mahlzeit zügig beendet, aufgrund des Wetters fiel der Spatziergang, auf den er viel Wert legte, natürlich ins Wasser, und es wurde ein freier Nachmittag. Lustlos scrollte Christian über die Tabs seines Smartphones. Der wirklich dumme Kommentar eines Theologie-Dozenten über die Erwählung ärgerte ihn ungemein, die Selbstdarstellung eines jungen Missionars verwunderte ihn zumindest und der letzte Blogbeitrag seines Lieblingsbloggers verdiente höchstens das Prädikat “unnötig kompliziert”.  Mit einem “Hmpf!” warf er das Smartphone in die Sofaecke.

Doch Gottes Gnade meinte es gut mit ihm und fing an, ihn langsam aus dem Käfig der Unzufriedenheit zu befreien. Und das geschah so:

Seine Frau lief gerade in diesem Moment am Sofa vorbei und meinte, ob er nicht auch mal etwas nützliches machen könnte, und Thea beim auswendig lernen von Psalm 16 helfen kann, ein Text, den Thea für die Sonntagsschule auswendig lernen musste.

Nun ja, seine Pflicht muss ja getan werden, so schnappte sich Christian also die Bibel (natürlich die obligatorische unrevidierte Elberfelder Übersetzung) und hörte seiner Tochter zu. Erst geschah das natürlich ganz maschinell, ohne das Christian wirklich den Text auf irgendeine Weise wahrnahm, geschweige sich mit diesem auseinandersetzte, aber heute hatte Thea besondere Lernschwierigkeiten, und so hörte er zum zehnten, gar zum zwangigsten Mal monoton die selben Aussagen:

“Bewahre mich, Gott, denn ich berge mich bei dir! Ich habe zum HERRN gesagt: »Du bist mein Herr; es gibt kein Glück für mich außer dir.«(…) Die Messschnüre sind mir gefallen auf fruchtbares ⟨Land⟩; ja, mein Erbteil gefällt mir.  (…) Darum freut sich mein Herz und jauchzt meine Seele (…)”

Gelinde gesagt, fand er, dass der Psalm ganz schön zynisch, im besten Fall übertrieben euphorisch, klang. Das mag ja im Leben Davids zugetroffen sein. Oder, wenn man den Psalm christologisch liest, ist es ja eh das Lied eines vollkommenen Messias… Aber er klang auch verlockend. Christian fragte sich, wann seine Seele zum letzten Mal “gejauchzt” hat. Das war schon ziemlich lange her,  ja um ehrlich zu sein, konnte sich Christian eigentlich gar nicht so recht daran erinnern, wann das überhaupt mal der Fall war. “Das ist ja das höhnische dieses Psalms”, dachte sich Christian. Doch warum spricht er davon, dass “ihm das Erbteil gefällt” Christians Erbteil gefiel ihm nicht! Nicht jetzt, er musste ja nur um sich blicken. Selbst an einem Sonntag, der ja schließlich der Tag des Herrn ist, handelte es sich um einen Tag, der kaum zu ertragen war…

Thea spulte unablässig ihren Psalm ab:

Der HERR ist der Anteil meines Erbes und mein Becher; du bist es, der mein Los festlegt. (…)Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens; Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar.” 

Hier war es, dass ihm zum ersten Mal ein Licht aufging: Konnte es sein, dass seine persönliche Beziehung mit Gott das Problem war? Das er Gott nicht wirklich so vertraute, wie der Psalmist es in Vers 2 ausdrückt?  Konnte es sein, dass alles was ihm widerfuhr, von der Hand eines liebenden Vaters kam, ob es nun der unfreundliche Ordner in der Gemeinde oder der gierige Italiener um die Ecke war. Christian dämmerte langsam, sehr langsam, dass Er selbst das Problem ist. Doch diesmal meinte es Thea wirklich ernst mit ihrem Psalm:

“An den Heiligen, die auf Erden sind, ⟨an⟩ ihnen und an den Herrlichen ⟨habe ich⟩ meine ganze Lust.” 

Christian verstand, wie sündhaft seine Unzufriedenheit ist, die ihm noch wenige Stunden zuvor als ganz angemessene natürliche, gar obligatorische Reaktion vorkam. Er merkte, wie sein Brummen auf dem Rückweg von der Kirche die Heiligen neben ihm, sprich seine Frau und Kinder ausblendete. Ja, Christian schämte sich, vor allem darüber, dass gerade das Verhalten, was ihm so natürlich vorkam, offensichtlich in Gottes Augen so problematisch war.

“Denn mein Leben wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Grube sieht.”

Dieser Vers gab ihm Hoffnung. Gab es Rettung, so ist diese nicht in seinem festen  Vorsatz zu finden ,”in Zukunft nicht mehr so unzufrieden zu sein”.  Denn sein Problem ging ja viel tiefer!!! Nein, Rettung konnte Christian nur in Gott finden, in dem er seine Selbstgerechtigkeit, die über Gott ein Urteil fällt, ablegt. Christian fing an zu beten. Er merkte dabei nicht einmal, das Thea längst zum Spielen weggehüpft ist. Christian war hier nur am Anfang. Die Wurzel der Unzufriedenheit hat sein Herz schon fest umschlagen, wie eine Riesenschlange ihr Opfer. Dennoch übersteuerte die Gnade Gottes sein Unvermögen. Es fing langsam, unmerklich an. So ging Christian das nächste Mal im Gottesdienst ausgerechnet auf den unfreundlichen Ordner zu, und fand ihn nach einem kurzen Gespräch gar nicht mehr so unfreundlich. Immer wieder hielt er sich Psalm 16 vor Augen, wenn er in der Gefahr stand, zu vergessen, was die Quelle echter Zufriedenheit und Freude ist. Christian verstand, warum Paulus die Philipper so beharrlich daran erinnern musste, sich am Herrn zu freuen. Es wurde ihm klarer, dass er ein viel größeres Problem mit Sünde hatte, als er es sich eingestehen konnte. Im Straßenverkehr zu grummeln kam ihn deswegen bald nicht mehr als natürliche Reaktion, sondern als völlig unangemessen vor und er stoppte schon den ersten Anschwall von Wut, der in solchen Situationen in ihm aufsteigen wollte. Christian entdeckte das kostbare und seltene Juwel christlicher Zufriedenheit. Nie hätte Christian gedacht, dass der Aufruf Christi zur Selbstverleugnung wirklich so weit reicht, und es um nichts geringeres ging, als sich Selbst zu verleugnen: Sich selbst nicht so ernst zu nehmen, wie das Wort Gottes. Es kam ihm oft unglaublich irrsinnig, geradezu paradox vor, sich selbst weniger zu glauben, als der Offenbarung Gottes. Aber er wagte es immer mehr, denn er wusste immer mehr um die Früchte. War Gottes Ehre sein Ziel, sprießte die Zufriedenheit selbst bei einer verbrannten Pizza. War seine Ehre sein Ziel, konnte selbst ein Top-Gottesdienst nur ein kritisches “Humpf” seinen Lippen entlocken. Doch wie gesagt, Christian war hier noch ziemlich am Anfang seines Kampfes. Doch er zog nun seine Rüstung besser und häufiger an.

 

 

5 Kommentare

  1. “ sich selbst weniger zu glauben, als der Offenbarung Gottes” – genau das ist es, was unsere Seelen gesund und fröhlich macht! -Cool! Bin auch gespannt auf die Fortsetzung!

  2. Ich finde Geschichten wie diese immer ganz toll, wie ein Vers in der heiligen Schrift genau zu einem spricht. Das zeigt, dass die Schriften so viel Kraft haben und nicht nur irgendwelche Geschichten sind. Ich weiß, dass sie wirklich Gottes Worte sind und wir dadurch gestärkt werden, wenn wir sie täglich zur Hand nehmen.

    Letztens hatte ich auch ein Erlebnis. Ich hatte eine Frage und ich habe die Antwort dann im Buch Mormon gefunden.
    “Und durch die Macht des Heiligen Geistes könnt ihr von allem wissen, ob es wahr ist.” (Moroni 10:5)
    Für stellte sich heraus, dass ich bei meinem Gebet mehr den Geist bei mir haben soll, damit ich Antworten auf meine Fragen bekomme.

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