“Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.” (Jesaja 42,3)
Heute hörten wir im Gottesdienst eine Predigt über diesen Vers und mich freute es, eine Überlegung zu hören, die mich auch schon häufig beschäftigt hat. Dass nämlich dieser Text nicht ein anzustrebendes Ideal aufzeigt, sondern ein Faktum/eine Tatsache ausspricht.
Es gibt im Christentum gelegentlich oder unter manchen Gruppen oder unter dazu veranlagten Menschen (ich zähle mich dazu, falls hierin Zweifel vorliegen sollten), so eine Art kriecherische, Selbst hassende Tendenz zu entwickeln. Verse wie Jes. 42,3; Ps. 34,18… werden dafür genutzt. Man hält sich für Dreck, für nichts wert usw… Das klingt schon echt ähnlich „nach Demut“, aber eben nur ähnlich. Diese Haltung ist häufig nur eine schlechte Kopie von Menschen, die wirklich „Bankrott vor Gott“ sind. Ich möchte erläutern:
Ich denke das Texte wie Jes. 42,3 und Ps. 34,18 aber selbst auch 2. Kor. 12,10 falsch verstanden werden, wenn Sie als als anzustrebendes Ideal dargestellt werden, statt als Tatsachenbeschreibung. Das hat viele Gründe: Der erste liegt darin, dass es nicht im menschlichen Vermögen liegt „sich selbst zu zerbrechen“. Watchman Nee hat ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben: „Der Zerbruch des äußeren Menschen und die Befreiung des Geistes“. Er war nicht der einzige, der auf den „Selbstzerbruch“ Wert gelegt hat, und so kommt es, dass man Phrasen hören kann, wie diese: „Das ist ein äußerst geistlicher Mensch. Er ist ganz zerbrochen vor Gott“. Wie war das? Ein Starker Mensch ist er, weil er ganz schwach ist? Das ist ja eben das Problem dass der Mensch, der überzeugt ist, dass „er sich selbst ganz klein gemacht hat“ schon wieder auf seine Fähigkeit blickt, „sich klein zu machen“. Eine Endlose Selbstbetrachtung und Selbstanalyse beginnt. Und es kommt wieder zu einer Obsession mit sich selbst, auch wenn man gleichzeitig Träne um Träne um seine eigene Unfähigkeit, Untauglichkeit, Armseligkeit vergießt.
Das ist doch genau das Problem, dass nur ein äußerst starker Mensch sich selbst zerbrechen könnte, aber genau durch diese Tat würde er allen und auch sich selbst beweisen, dass er nicht mehr schwach ist. Tim Keller zeigt in seiner Predigt „Vom Glück selbstlos zu leben“ die wahre Lösung für Zerbruch vor Gott auf: Demut ist weder zu hoch von sich zu denken, noch zu gering von sich zu denken, sondern gar nicht an sich zu denken.
Übrigens möchte ich damit nicht die seelsorgerliche Power von Jes. 42,3 schmälern. Wir haben mal eine wirklich zerstörte Frau kennenlernen dürfen, die kaum noch ein Glas Wasser trinken konnte, um angefochten zu sein. Und genau da war dieser Text eine gute Ermutigung: Ich muss nicht stark genug sein, oder liefern können, oder etwas hinkriegen, und selbst nicht die (vermeintlich) existentiellen Basics, damit Gott bei mir ist, für mich da ist, mir gegenüber Treu ist. Gottes Treue ist unabhängig von unserer Performance! Ich habe mein Leben in die Sackgasse gebracht? Ich sehe keinen Ausweg? Ich bin von einer Dummheit in die nächste getreten? Ich spüre keine Freude? Ich bin kraftlos? Ich bin mutlos? Ich spüre keine religiösen Gefühle oder Gottes Präsenz? ich bin nutzlos wie ein zerbrochenes Rohr und glimme vor mich hin? Das alles ist wohl zu beklagen, aber freue dich, es ist einer da, der dir nicht aus dem Weg gehen wird, der dich nicht verurteilen und verdammen (Joh. 8,10), dieser ist Jesus! Matthäus zitiert Jes. 42,3 ausdrücklich um den Dienst Jesu zu kennzeichnen (Mt. 12,20). Deine Armut, Unfähigkeit, Selbsteinschätzung soll dich genauso wenig davon abhalten Jesu Gemeinschaft zu suchen, wie dein Reichtum, deine Fähigkeit und deine Selbstüberschätzung.
Ich glaube schon, dass im Dienste Jesu etwas mitschwingt, dass eher die Schwachen, Niedrigen, Verachteten seinen Dienst annahmen, während die Schlauen und Reichen vorbeigingen und sich sogar an Jesu Gemeinschaft mit den Sündern und Schwachen stießen. Das Wohl. Doch das Ideal in der Jüngerschaft war niemals Selbstbeschäftigung und Selbstkasteiung (wohl aber Selbstverleugnung wie ich gestehen muss), sondern der Aufruf zur Gemeinschaft mit Jesus: Bleibet in mir, so bringet ihr viele Frucht! (Joh. 15). Bleibt in meiner Liebe! (Joh. 15,9.10.16).
Dadurch wird Jes. 42,3 auch zu einer mächtigen Ermutigung schwere Zeiten NICHT Zu fürchten. Du bist krank geworden und schwach? Das ist zu beklagen, aber freue dich, Gottes Zuneigung zu dir bleibt unverändert. Du wirst abgelehnt und ausgelacht? Das ist zu beklagen, aber freue dich, Gott ehrt dich mit Gotteskindschaft? Du bist arm und isoliert? Das ist zu beklagen, aber freue dich, Gott sucht die Gemeinschaft weiterhin mit dir. „In Treue trägt er das Recht hinaus“ ist eine wunderbare Fortsetzung für unseren Vers. Deine Unfähigkeit ist niemals ein Grund für Gott von dir wegzugehen. Gerade das ist es, dass der Satan uns gelegentlich einreden möchte, dass wir zu schlecht für Gott sind, zu groß wäre unsere Sünde, zu stark unsere Unfähigkeit, was letzten Endes nur ein „in Demut gekleideter Unglaube ist“ der sich weigert den Zusagen von Jes.42,3 und Co im Glauben zu vertrauen.