Eigennützige Entschuldigungen

Ein Artikel von Alasdair Groves. Erschienen am 18.11.2020 unter dem Titel „When Sying „I’m sorry“ is Selfish“ auf ccef.org. Übersetzung von Ruth Metzger, mit freundlicher Genehmigung von CCEF (Download als .pdf).

Manchmal wollen wir nur uns selbst dienen, wenn wir „Es tut mir leid“ sagen.

Das klingt verrückt, nicht wahr? Ist nicht Buße ein Eckpfeiler des christlichen Lebens? Leider kann ich dir versichern, dass es durchaus möglich ist, demütig klingende Worte der Entschuldigung mehr aus Selbstschutz als aus echter Buße und mit dem Ziel echter Versöhnung von uns zu geben.

Die grundsätzliche Dynamik der falschen Buße funktioniert so: Ich sage „Es tut mir leid“, damit die „beleidigte“ Person mir gegenüber keine negativen Gefühle hegt, bzw. damit ich mich selbst gut fühle. Während die Schrift uns auffordert, für Sünden, mit denen wir anderen Schaden zugefügt haben, um Verzeihung zu bitten, dienen solche eigennützigen Entschuldigungen dazu, vorbeugend abzufedern, dass jemand von uns enttäuscht sein könnte, oder unser eigenes inneres Unbehagen zu besänftigen.

Natürlich ist das nicht meine bewusste Absicht, wenn ich sage „Es tut mir leid.“ Wenn ich diese Entschuldigungen „falsch“ nenne, meine ich nicht, dass ich absichtlich täuschen wollte oder auch nur die leiseste Vorstellung davon habe, dass ich mir gerade selbst diene. Aber das ist bei vielen Sünden so – wir merken überhaupt nicht, was wir da tun. Aber dass wir es nicht bewusst tun, verhindert nicht, dass wir damit Schaden anrichten.

Eigennützige Entschuldigungen schaden deshalb, weil sie in unseren Beziehungen als Präventivschläge funktionieren. Eine Freundin entschuldigt sich unaufhörlich für Dinge, die keiner Entschuldigung bedürfen; sie versucht, eventuelle Kritik zu entschärfen, ehe sie sie treffen könnte. Nachdem der Pastor bei der Predigt mal wieder die Zeit überzogen hat, sagt er: „Es tut mir leid, dass es so spät geworden ist“; er versucht damit, seiner Furcht Herr zu werden, dass seine Zuhörer sich darüber ärgern oder gar etwas über die Länge seiner Predigt sagen könnten. Ein Ehemann sagt: „Tut mir leid, dass ich so langsam bin“, um zu verhindern, dass seine Frau sein Verhaltensmuster anspricht, durch das die Familie jeden Morgen zu spät aus dem Haus kommt.

In anderen Fällen ist die Entschuldigung weniger ein Versuch, Kritik zu vermeiden, als vielmehr, Lob zu bekommen, um damit die eigene innere Unruhe zu dämpfen. So präsentiert zum Beispiel eine Angestellte ihrem Chef ihr Projekt mit den Worten: „Es tut mir leid, wenn das nicht ihren Erwartungen entspricht“, obwohl sie schon viel zu viele Stunden damit verbracht hat, es mit größter Sorgfalt zu perfektionieren. Die Entschuldigung versucht, ihrem Chef ein bestätigendes „Aber nein, das ist großartig!“ zu entlocken, um das innere Rumoren ihrer Angst zu beruhigen, sie könnte etwas übersehen haben.[1]

Was mich betrifft, so ist die Versuchung, eine vorbeugende Entschuldigung vorzubringen, dann am größten, wenn ich mich in irgendeiner Art von Konflikt befinde. Konflikte mag ich nicht, und so kann es passieren, dass ich zwar so etwas empfinde wie „Nein, das ist nicht fair, du hast Unrecht“, aber anstatt, dass ich die Initiative ergreife und einen ehrlichen und konstruktiven Dialog über meine Bedenken suche, bin ich versucht, mich aus der Situation „herauszuentschuldigen“. Wenn ich spüre, dass ich den Konflikt durch eine Entschuldigung beenden könnte, nehme ich vielleicht für den Moment die Schuld auf mich, nähre aber einen untergründigen Groll.

Dass diese meine Art von Entschuldigung ein Problem sein könnte, ist mir zum ersten Mal auf dem Basketballfeld aufgefallen. Ich bin der Typ, der ständig „War mein Fehler!“ sagt. Erst als ich Erfahrungen mit ähnlichen Entschuldigungen bei einigen meiner Seelsorge-Klienten machte, wurde mir bewusst, dass meine Entschuldigungen vielleicht nicht so hilfreich waren, wie ich angenommen hatte. Es war ein Augenöffner, als ich mich auf der Empfängerseite von allzu häufigen und irgendwie peinlichen Entschuldigungen fand.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin!“

„Tut mir leid, dass ich immer so viel rede!“

„Tut mir leid, dass ich die Zusatzaufgabe nicht gemacht habe, von der wir letzte Woche geredet haben!“

„Tut mir leid, dass ich so nerve, wenn ich müde bin!“

Das kam von Leuten, mit denen ich mich normalerweise gerne unterhielt, und so überraschte es mich, als ich merkte, dass diese kleinen Entschuldigungen mich irgendwie störten. Wenn ich das selber tat, ging ich davon aus, dass andere das gut fanden. Aber wenn ich der Empfänger war, merkte ich, dass ich sie eher lästig als erlösend fand.

Letztlich schaffen Entschuldigungen für Dinge, für die man sich eigentlich nicht entschuldigen müsste, eine unangenehme Situation für den Empfänger. Und wenn es wirklich so sein sollte, dass jemand ein problematisches Verhaltensmuster hat, hilft ein ständiges „Oh, das tut mir leid!“ auch nichts. Um Entschuldigung bitten zu können, ist eine Gabe Gottes. Sie befähigt uns, jeden Schaden, den wir anderen zufügen, ernst zu nehmen. Reumütige Worte dazu zu benutzen, uns andere vom Leib zu halten, ist selbstsüchtig und stellt Gottes gute Absicht auf den Kopf.

Glücklicherweise gibt es keine unwiderruflichen Charakterfehler. Wenn der Geist uns davon überführt, dass unsere Entschuldigungen mehr Schutzschilde als ehrliches Bemühen um Versöhnung sind, hat er etwas Gutes damit vor. Nachdem er uns auf das Problem aufmerksam gemacht hat, ist es ihm eine Freude, uns die Kraft zu geben, die echten Belange unserer Mitmenschen anzuhören, ja, uns sogar zu bemühen und nachzufragen, statt uns hinter einem „Tut mir leid“ zu verstecken. Weil wir uns durch Jesus der absoluten Vergebung schon sicher sein dürfen, müssen wir uns nicht mehr von der Furcht beherrschen lassen, wir könnten jemanden beleidigen oder selbst kritisiert werden. Wir können der Tatsache ins Gesicht sehen, dass es nun mal so ist, dass wir anderen gegenüber hin und wieder versagen. Seine Vergebung erlaubt es uns, jeden Schmerz, den wir bei anderen verursacht haben, ernst zu nehmen, statt uns selbst vor Kritik zu schützen oder zu versuchen vor Leuten, denen wir gefallen möchten, gut dazustehen.

…O Mann! Tut mir leid, dass dieser Artikel so lang geworden ist. Ich hätte eure kostbare Zeit nicht für so ein untergeordnetes Thema verschwenden sollen! Ihr habt wahrscheinlich schon keine Lust mehr, weiterzulesen – war mir schon klar, dass das keine gute Idee war. Tut mir wirklich leid!

Ups! Ich hab´s schon wieder getan …

Aber im Ernst, ist es nicht ein Trost, dass selbst unsere kleinsten und subtilsten Sünden Gebiete sind, in denen der Herr uns nur zu gerne helfen will. Wir müssen ihn darum bitten, dass er unsere Liebe und unseren Mut wachsen lässt! Als jemand, der noch ein unfertiges Werkstück in seiner Hand ist, kann ich bezeugen, dass der Herr das Werk des Geistes auf diesem „kleinen“ Gebiet gebraucht hat, um einen großen Unterschied zu bewirken und mich von der Furcht vor Kritik und Versagen zu befreien. Ich weiß, dass er dir nur zu gerne in der gleichen Weise helfen möchte!

This translation is copyrighted © 2020 by the Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF). The original article entitled “When sying I’m sorry is selfish” (https://www.ccef.org/when-saying-im-sorry-is-selfish/) Copyright © 2020, was written by Alasdair Groves and is available at the ccef.org website. All content is protected by copyright and may not be reproduced in any manner without written permission from CCEF. For more information on classes, materials, speaking events, distance education, and other services, please visit www.ccef.org.

 

Translated in full with permission from the Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF) by Ruth Metzger for glaubend.de in Koenigsfeld, Germany. Sole responsibility of the translation rests with the translator and with glaubend.de.

Dieser Artikel ist urheberrechtlich geschützt durch die Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF) © 2020. Der Original Artikel lautet “When sying I’m sorry is selfish” (https://www.ccef.org/when-saying-im-sorry-is-selfish/) © 2020 und wurde von Alasdair Groves am 18.10.2020 auf der ccef.org Homepage veröffentlicht. Jeglicher Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf in keiner Weise ohne schriftliche Erlaubnis von CCEF verwendet werden. Für weitere Informationen über Materialien, Veranstaltungen, Lehrinhalte und Vorlesungen besuchen Sie bitte www.ccef.org

Vollständig übersetzt mit Erlaubnis der Christian Counseling & Educational Fundation (CCEF) von Ruth Metzger für glaubend.de in Königsfeld, Deutschland. Die völlige Verantwortung für die Übersetzung liegt beim Übersetzer, bzw. bei glaubend.de.


[1] Es kann natürlich auch andere Gründe geben, warum jemand sich ständig entschuldigt. Opfer von Missbrauch, Rassismus, hyper-autoritären religiösen Hintergründen oder Menschen, die wiederholt unterdrückt und beschämt wurden, können zutiefst überzeugt sein, dass sie grundsätzlich immer im Unrecht sind. Die tieferliegende Ursache ist dann nicht Stolz oder die ängstliche Beunruhigung darüber, was andere von ihnen denken könnten, sondern dass ihre Wahrnehmung der Realität durch die verzerrende Wirkung der Scham geprägt ist.

10 Kommentare

  1. Ich frage mich ob die Hintergründe vom ständigen entschuldigen,ähnlich sein könnten wie bei Menschen die generell eher schweigen.
    Denke dabei auch z.b.an Russlanddeutsche Gemeinden

        1. Das Problem das der Autor im obigen Beispiel schildert kenne ich häufig. Ich greife zu einer Entschuldigung als Manipulationsmittel oder auch als Deeskalationsmittel, ohne dass es mir “ja wirklich leid tut” im Sinne einer Schulddefinition. Ursache (wohl besseres Wort als Motiv) dabei ist in einer gewissen Weise Menschenfurcht, vllt. in diesem Fall besser als Geltungstrieb, Geltungssucht zu bezeichnen.
          Wenn ich schweige, weil es “ja Zeichen meiner Demut” ist, können gleiche Ursachen/Motive dahinter stehen.
          Grüße

          1. Ich frage mich schon längere Zeit, was Busse tun bedeutet, bzw. wann eine ehrliche Entschuldigung angebracht ist.
            Meine Beobachtung ist folgende.
            Es gibt die Menschen die eher nachtragen, und andere die sich nicht so gut entschuldigen können.
            Wie möchte Gott von uns in dieser
            Hinsicht?

          2. über das Thema Buße habe ich mir ebenfalls schon länger Gedanken gemacht und werde versuchen in den nächsten Tagen einen Artikel dazu zu machen! Was das thema angeht sich zu entschuldigen da habe ich etwas gutes bei jay adams gelesen und werde das hier mal veröffentlichen!

  2. Diese eigennützigen Entschuldigungen
    kommen ja auch in meiner Beziehung zum Herrn zum Vorschein.
    Furcht ist nicht in der Liebe.
    Busse tun,und mich doch ganz auf die Gnade stellen?!
    Kluges Unterscheiden im Alltag?
    Wer hat denn immer schön Kraft und Zeit jedem nebulösen Schudgefühl nach zu gehen?

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