Passend zum Pride-Month möchte ich ein weit verbreites Argument, dass als Plädoyer für mehr “Respekt” gegenüber der LGBT+- Community verwerdet wird, aufgreifen.
Es lautet so: “So lange man mich in Ruhe lässt, ist es mir egal, mit wem meine Mitmenschen schlafen”. Um ein Beispiel zu geben, wie häufig das Argument verwendet wird, verweise ich auf Nutzer-Kommentare zum Artikel “Die herrschende Toleranz für LGBTIQ hat ein mögliches Ablaufdatum” vom “Der Standard”.
Der Nutzer ‘walter.romas’ schreibt (und bekommt für seinen Kommentar ziemlich viel Zustimmung): “Kann man nicht einfach jeden leben lassen wie er will? Was kratzt es mich mit wem jemand schläft oder wen er liebt? Beeinträchtigt das mich in irgendeiner Weise in meinem Leben? Nein.”
Nutzer ‘Bambu’ sieht die Liberale Gesellschaft auf dem Spiel, wenn wir uns nicht dafür einsetzen, dass es allen egal ist, wer mit wem schläft. Oder in seinen Worten: “Deshalb geht es alle etwas an; wenn irgendwer, vom Staatsanwalt zum Nachbarn, glaubt, es gehe ihn etwas an, wer mit wem wie schläft, dann steht jede Form von liberaler Gesellschaft auf dem Spiel.”
Der Nutzer mit dem markanten Namen ‘Marquis de Sade” meint: “Mir doch wurscht ob ein Mann mit einem Mann schläft, ein Mann, der sich als Frau fühlt mit jemandem Diversen schläft, oder sonst irgendeine Kombination. Es ist mir einfach egal.”
‘MorgenRot2021’ sieht seinen Filme-Konsum unnötig kompliziert gemacht (ebenfalls unter einiger Zustimmung: “Mir ist es auch egal, wer mit wem schläft. ABER: es geht mir furchtbar auf die Nerven, wenn man keinen Film oder Serie mehr schauen kann, in der ein schwules/lesbisches Pärchen vorkommt! Ich habe inzwischen den Eindruck, dass jeder 3./4. schwul oder lesbisch ist oder glaubt, es zu sein…”
Die Kommentare sind nur eine Illustration dafür, dass dieses Argument einfach zum Standard-Repertoire gerade im Small-Talk über die neue sexuelle Vielfalt gehört.
Ich finde dieses so häufige Argument auf derart vielfältige Weise ungenügend, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll: Wäre ich ein Vertreter der LGBT-Community, würde ich ziemlich anzweifeln, dass die Haltung “Ist mir doch egal, mach doch was du willst” den nötigen “Respekt” und beanspruchte “Würde” gibt. Ist Toleranz zu einem Synonym für Gleichgültigkeit verkommen?
Rein rechtlich ist das auch eine Aussage, die letztlich so interpretiert werden kann, als befürworte sie Straftaten. Ist das der Satz, dem man auch einem Menschen, mit pädophilen oder sadistischen, oder gewalttätigen Neigungen sagen würde: “Schlaf doch mit wem du wie du willst!” ? Ich gestehe, das Problem hier hat sich bereits etwas rumgesprochen und es finden sich “modifizierte Varianten der Phrase”. Einmal lass ich von einem Vertreter der Pride-Bewegung, der die Phrase etwas mit der aktuellen Gesetzgebung harmonisiert hat: “IN 99% der Fälle ist es egal, mit wem du schläfst. Du bist dann trotzdem willkommen” (Ich muss frei zitieren und konnte die Quelle auf die Schnelle nicht mehr auffinden).
Man würde also meinen, dass “Mir ist egal, mit wem du schläfst” natürlich nur die innerhalb der Gesetzgebung zugelassenen Fälle meint und sozusagen bloß eine linguistische Abkürzung für eine Gelassenheit gegenüber sexuellen Praktiken ist, die selbstverständlich illegitime sexuelle Kontakte, wie z.B. inzestuösen oder pädophilen oder zoophilen Geschlechtsverkehr ausschließe.. Doch das würde ja bedeuten, dass die aktuelle Rechtsprechung vollständig “das Richtige in der Sexualethik” widerspiegelt. Wieder bliebe die Frage: Wenn stellt das zufrieden? Wer innerhalb oder außerhalb der Pride-Bewegung ist der Meinung, dass gerade die aktuelle Rechtsprechung “das Gelbe vom Ei” sei? Und was ist dann eigentlich mit den Unterschieden innerhalb der Länder alleine innerhalb der EU?
Wir sehen: So wie in vielen anderen Dingen, ist eine Aussage, die mit “ist mir egal…” beginnt auch an dieser Stelle äußerst unbedacht und letztlich auch unpassend.
“Ist mir doch egal, was du machst…” ist aber auch eine Phrase, die häufig in Entrüstung gefällt wird, und nicht notwendigerweise die Haltung einer Person widerspiegelt. Wir sagen “ist mir egal”, meinen aber gerade recht das Gegenteil. Ist vielleicht in der neuen Gleichgültigkeit gegenüber der Sexualität genau diese Verzweiflung zu finden?
Ich glaube schon! Jemanden, der mir sagen würde, dass ihm völlig egal sei, wer mit wem schlafe, den würde ich fragen: “Stimmt das wirklich? Ist dir auch egal, mit wem deine Frau/ dein Mann/ dein Partner/ deine PartnerInnen schlafen?” Wenn es wirklich um Sexuelle Selbstbestimmung der Anderen geht, der wir nur mit Toleranz und wie man heute sagt, Respekt begegnen sollen, warum verweigern wir diese Tugend gerade unseren Liebsten Menschen? Wieso feiern wir sie nicht, wenn sie sich endlich als “Fremdgeher” outen? Kennt nicht eigentlich jeder Menschen, die bis zur elementarsten Lebensverzweiflung daran zugrunde gehen, dass sie “sexuell” betrogen wurden. Sollte man sie nicht vielleicht als völlig intolerant abstempeln? Ist ein betrügender Partner, nicht eigentlich zu ermutigen, und geradezu zu feiern, dass er für sich die “Vielfalt neu entdeckt”? Das wäre eine irrsinnige Formulierung, und tatsächlich ist es einfach nicht die Lebensweise der vielen, die nur wenige Zeit davor kommentieren konnten ” Ist mir doch egal, wer mit wem schläft”. Spätestens wenn es die eigene Frau betrifft, klingt der Satz ganz anders… Somit kenne ich letztlich niemandem, dem es egal wäre, mit wem sein Nächster schläft.
Dabei ist ja ein Eheeid “bis das der Tod” uns scheidet, heute ziemlich out und eine ganze Menge Beziehungen werden bereits grundsätzlich mit der Option geschlossen, dass sie auch beendet werden können. Dennoch habe ich da noch keinen getroffen, dem es egal gewesen wäre, mit wem sein Partner, seine Frau, seine Freundin, sein Freund, sein Mann nun “ab sofort schlafen möchte”! Stattdessen habe ich eine ganze Menge ruinierter Männer und Frauen getroffen, die an der Treuelosigkeit ihrer Partner zugrunde gehen.
“Was kratzt es mich mit wem jemand schläft oder wen er liebt?” ist schnell gesagt, wenn wir über Elton John oder Freddy Mercury reden. Klar, denkt man sich, die müssen für sich verantworten, die sollen halt machen was sie wollen. Und man hat in Stückweit wirklich recht, da jeder immer für seine eigenen Entscheidungen Verantwortung tragen muss. Aber nichts von dem was wir tun, bleibt folgenlos. Weder für uns, noch für unsere Mitmenschen. In einer Kultur, in der Treulosigkeit zu einem Ideal verherrlicht wird, müssen viele Leidtränen fließen.