Ja, aber…

Neulich sprach ich mit einem Prediger darüber, wie ich versuche, einem in extremen Verschwörungstheorien gefangenen Christen, deutlich zu machen, das Gott alles unter Kontrolle hat und nichts außerhalb seiner Vorsehung geschehen kann.

Interessanterweise kam die Reaktion prompt, irgendwie auch vorhersehbar: “Ja aber, das heißt natürlich nicht, dass man sich einfach zurücklehnen kann oder die Vorsehung als Ausrede für sein Verhalten nutzen darf” – Übrigens handelte es sich um einen reformierten Pfarrer, falls diese Info helfen sollte.

Nun stelle ich mir vor, was passiert, wenn ich genau diese Antwort, einen panisch ängstlichen, von Verschwörungstheorien erdrückten Christen bringe: “Ja Bruder, du weißt ja das mit der Vorsehung. Gott kennt alle Sperlinge und zählt deine Haare, aber natürlich heißt das nicht, dass du dich jetzt einfach zurücklehnst” Folge: Besagter Bruder ist komplett in seiner Panik bestätigt! Er wird sich denken: Genau! Natürlich hat Gott alles unter Kontrolle! Aber was nützt es mir? Ich muss Pläne schmieden, Vorräte sammeln, Auswege planen usw…

Ich hege schon länger den Verdacht, dass dieses ausgeglichene, angeblich alle Perspektiven berücksichtigendes Sprechen eher etwas ist, dass den englischen Ausdruck “futile” verdient. Kurz: es ist vergeblich

Dabei kommt diese Darstellungsweise bekanntlich häufig genug vor: “Jesus ist der gute Hirte, liebe Geschwister! Er hält uns unwiderstehlich fest in seiner Hand, aber das heißt nicht, dass wir träge werden dürfen”. Oder: “Der Hebräerbrief warnt alle vor dem Abfall, aber das heißt natürlich nicht, dass Gott nicht gnädig ist”. Diese “Multiperspektivität” dürfte sich auch deswegen so erfolgreich tarnen, weil sie sich mit dem Heiligenschein der “Komplementarität” schmückt. Zwei Perspektiven, so unvereinbar sie zu sein scheinen, gilt es dabei immer gleicherweise im Blick zu halten. Doch leider ist das nicht die Art, wie Jesus argumentiert: Als er im Kontext der Bergpredigt (Mt. 6,28-34)  anfängt darüber zu sprechen, dass wir uns nicht sorgen sollen, weil “euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft”, hat er es nicht nötig ein korrigierendes “das heißt aber nicht, dass ihr faul sein dürft” nachzuwerfen. Wenn schon ein Appell folgt, dann doch die Enttarnung dessen, warum Sorgen kommen – nämlich weil nicht zuerst nach dem Reich Gottes getrachtet wird (6,32).

Wenden wir uns  nur Joh. 10 zu: Wenn hier schon ein Erklärendes Korrektiv nötig sein sollte, dann doch aus dem näheren Kontext, und es wird bereits  einem oberflächlichen Leser auffallen, dass die Rede Jesu bereits in Kapitel 9 seinen Anfang nimmt: Der Heilung des Blindgeborenen, folgen Anfragen der Pharisäer. Jesus ist mitten in einer Debatte, seinen Dienst vor den Pharisäern zu rechtfertigen (Joh. 9,40). Wer beim Sprechen über das Wirken des Guten Hirten zu schnell auf den Appell springt: “Das Jesus der gute Hirte ist, soll nicht unseren Eifer schmälern” steht in der Gefahr, gerade den Weg der Pharisäer zu ermutigen, den Jesus doch gerade kritisiert, als er sagt: “Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber” (Joh. 10,1). Es hat also durchaus Gründe, warum Jesus für unsere Ohren derart einseitig bleibt: Das Heil in Christus ist “einseitig” und alternativlos! Er ist die Tür (Joh 10,9) und er ist der Gute Hirte der sein Leben für seine Schafe lässt (Joh 10,11). Wenn man schon unbedingt zu einem “komplementären” Appell greifen möchte, dann darf es hier nur ein Appell sein, der die Alternativlosigkeit Christi darstellt: Die Gerechtigkeit des Glaubens als der Selbstgerechtigkeit völlig entgegengestellt.

Oder das hier: Beim Epheserbrief fällt schnell auf, dass in den ersten drei Kapiteln geschildert wird, welchen Reichtum wir in Christus haben und Paulus dann in den letzten drei Kapiteln über das christliche Leben schreibt. Aber nirgendwo heißt es “Missbraucht nicht euer Wissen um eure Stellung in Christus und werdet nicht gleichgültig”. Für Paulus folgt das christliche Leben von Kapitel 4-6 unserer Erwählung in Christus in Kapitel 1-3. Entsprechend auch das erste Wörtchen in meiner Lutherübersetzung von Kapitel 4: “So!”. Wenn hier eine Komplementarität vorliegt, dann nicht eine, die meint, man könnte zu sehr darüber sprechen, “was wir in Christus sind und haben”. Vielmehr folgt für Paulus aus unseren Reichtum in Christus, “dass wir der Berufung würdig leben, mit der wir berufen sind” (Eph. 4,1). Ist nicht schon hier wieder der Blick zurück auf den Berufer, wenn Paulus über unsere Berufung spricht? “So” und “Darum” sind Paulus besserer Ersatz für “Ja, aber” (Vgl. Eph 4.17.25; 5.1.15;6.10). Nicht “Auch wenn ihr in Christus seid, werdet nicht träge”, sondern: “Weil ihr in Christus seid, so seid ihr nicht träge.”

Es gibt weitere Gründe, warum man beim Gerede über “Komplementarität” aufpassen muss. Beachtet z.B. wie L. Berkhof das mitwirkende Element der Vorsehung in unseren Werken beschreibt (entnommen aus L. Berkhof: Grundriß der biblischen Lehre, S. 30):

“Gott wirkt in jeder Tat seiner Geschöpfe mit – nicht nur in ihren guten, sondern auch in ihren bösen Taten. Er reizt sie zum Handeln an, begleitet ihre Handlungsweise in jedem Augenblick und macht diese Handlungsweise wirksam. Wir dürfen uns jedoch Gott und den Menschen niemals als gleichwertige Ursachen denken; Gott ist immer die Primärursache, der Mensch immer die Zweitursache. Wir dürfen uns auch nicht vorstellen, dass jeder einen Teil der Arbeit übernimmt, wie bei einem Pferdegespann. Die eine Tat ist in ihrer Ganzheit sowohl eine Tat Gottes als auch eine Tat des Menschen.”

Wir mögen von Berkhofs Definition halten was wir wünschen, dennoch macht er auf den wichtigen Punkt aufmerksam, dass es fundamental unterschiedliche Arten geben kann, wie man komplementäre Zusammenhänge der Bibel schildert: Jesus ist sowohl wahrer Mensch wie wahrer Gott, beides zu unterscheiden, jedoch nicht zu vermischen und nicht zu trennen, um ein ganz zentrales Beispiel zu wählen. Das Athanasische Glaubensbekenntnis macht deutlich, welch fatale Folgen hier beim ketzerischen Zusammenführen “beider Seiten” möglich sind. Das erinnert mich an das immer wiederkehrende Gerede darüber, dass Arminianer und Calvinisten die selbe Sache, bloß aus zwei Perspektiven sehen. Ich frage mich , was und wem das wirklich nützen sollte? Wenn ich die menschliche Verantwortung nicht ausreichend genug darstelle, dann sollte doch eine entsprechende Bibelarbeit Abhilfe schaffen, oder sollte Gottes Wort wirklich so wirkungslos geworden sein? Wenn man mir auf eine biblische Ausarbeitung zur Vorherbestimmung oder Vorsehung einwendet, dass dies “unseren Missionseifer” unterbinde, dann ist das doch die falsche Reaktion. Die Frage sollte doch dann sein: Was gibt uns mehr Missionseifer? Und die Antwort “weniger über die Souveränität Gottes zu reden” kann dabei nur als höchst ungenügend gelten. Welches Problem sollte so behoben werden? Sollten wir nicht klagen darüber, dass wir verlernt haben, wie wir unseren nächsten für Christus gewinnen? Können wir nicht aufs neue durch das Verhalten Jesu und der Apostel belebt werden, unseren Nächsten auf Christus zu weisen? Die typisch pikierte Reaktion “das liegt am Calvinismus/Arminianismus/Whatever” nützt doch dabei überhaupt niemandem. Falsche Komplementarität garniert mit rhetorischen Spitzfindigkeiten hat, – um es mal ganz frank und frei zu sagen- , mehr Ähnlichkeit mit Nihilismus als mit Gottesfurcht.

Ich fürchte dabei noch mehr Gefahren, vor allem die, dass man beim Lesen eines jeden Bibelverses nur sich selbst bestätigt sieht. Immer gibt es da einen den man finden kann, der dem Gedanken Paroli bietet. Da ist der Prediger, der die Kanzel besteigt und darüber redet, dass jeder Christ entscheiden muss, ob er Gott oder dem Mammon dienen will. Doch statt auf die tödlichen Gefahren des Geizes und der Gier, die die Wurzel allen Übels ist, einzugehen, begnügt er sich mit Verweisen, dass die Bibel sehr wohl auch reiche Gläubige kenne, ob nun Abraham oder Salomo. Man zeige mir auch nur einen Zuhörer, dem diese Plattitüden nützen sollen? Mit den Worten Kierkegaards: “In der prächtigen Domkirche tritt der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime General-Oberhofprediger auf, der auserwählte Günstling der vornehmen Welt, er tritt auf vor einem auserwählten Kreis von Auserwählten, und predigt gerührt über den von ihm selbst ausgewählten Text: »Gott hat auserwählt das Geringe vor der Welt und das Verachtete« – und da ist niemand, der lacht.(Aus Tatort: Christenheit, S. 92). Könnte es sein, dass wir dieses Problem bewusst nicht durchschauen wollen?

Wer soll im Übrigen die Mitte zweier Perspektiven darlegen, wenn nicht der Text selber? Sind wir wirklich ausgewogen, wenn wir sowohl dies, wie auch das schildern? Wenn alle komplett nach rechts driften, wird dann nicht schon die Mitte als “links gelten” und vice versa?  Und um an Berkhof anzuschließen: Sind diese Perspektiven nun unvereinbar, liegen sie übereinander oder wirken sie anteilig miteinander mit? Wie gravierend es ist von 99%  von Gottes Anteil für unser Heil und des einen Prozents unseres Beitrages zu sprechen, hat ja bereits Sherlock enttarnt. Als ginge es dabei nicht um die Frage der Ursache!

Ein letzter Punkt: Man meine nicht, dass ich hier für meine Nächsten nur Spot übrig habe. DAshier geschilderte Problem erfüllt mich mit großem Kummer und beschäftigt mich sehr: Anfang des Jahres bat ich meinen Pastor mich vom Laienpredigerdienst zu beurlauben. Auch wenn noch andere Gründe vorliegen, ist das einer der entscheidenden: Ich habe gemerkt wie ich durch “korrigierende Aussagen” die Botschaft meiner Verkündigung zerstört habe.  Ich habe gemerkt, dass man 30 Minuten über das Werk Christi am Kreuz sprechen kann, um mit den letzten beiden Sätzen die Perspektive wieder komplett auf “Das heißt nicht, das wir träge sein sollen” (oder Ähnlich mit beliebigen Satzbausteinen zu ersetzen) zu lenken. Auf eine Botschaft über die Glaubensgerechtigkeit folgte zu oft der Appell an die Selbstgerechtigkeit. Auch weil ich Furcht hatte und habe die Konservativen in der Gemeinde zu verprellen. Ich spüre fast täglich die Versuchung, die blanke schockierende Wahrheit der Bibel durch “Harmonisierungen” stumpf und dumpf zu schalten.

Zurück zum Ausgangsszenario: Besagter Prediger hat womöglich vor allem bloß mich gesehen, einen oberflächlichen, gemütlichen Typen und hielt eine Korrektur meinerseits nötig. Und das ist wahr: Auch über die Trägheit oder Oberflächlichkeit müssen wir mit der Bibel in der Hand sprechen. Aber es ist die falsche Botschaft für einen panischen Christen, dem wir durch den dunklen Nebel seines furchtbaren Unglaubens zur absoluten Zuverlässigkeit eines souveränen Gottes führen müssen. Gott helfe uns – Amen.

 

 

 

2 Kommentare

  1. Ich halte es übrigens für einen Fehler das du dich von dem Laienpredigerdienst beurlauben lassen hast. Ich denke genau solche Hinweis wie in deinem Text benötigen wir alle.

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