First Things

Sarco-Pod oder die Banalität des Todes

Carl Trueman:

UnHerd berichtete kürzlich über einen geplanten Selbstmord (hier ein deutschsprachiger Artikel zum Sarco-Pod)mit einem Sarco-Pod. Hierbei handelt es sich um eine 3D-gedruckte persönliche Gaskammer, die entworfen wurde, um das Leben ihres Besitzers mittels Stickstoff zu beenden. Das Auftauchen eines solchen Geräts deutet – sowohl hinsichtlich seiner Zweckbestimmung als auch seiner Designästhetik – darauf hin, dass der therapeutische Selbstmord zu einem routinemäßigen Bestandteil unserer Kultur werden wird. Zumindest gibt es diesbezügliche Bestrebungen. Das ist keine unbedeutende Entwicklung, denn sie rührt an die tiefsten existenziellen Fragen. Unserem modernen prometheischen Streben ist Frankensteins Wunsch, bei der Erschaffung des Lebens Gott zu spielen, nicht genug. Wir beanspruchen die Rolle Gottes auch in Bezug auf den Tod.

Albert Camus leitete sein Essay Der Mythos des Sisyphos mit der Behauptung ein: „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten.“ Damit wies er sowohl auf eine Binsenweisheit hin – man muss sich entscheiden, weiterzuleben, um weitere Fragen über das Leben stellen zu können – als auch auf den Ernst von Leben und Tod. Seine Aussage entsprach der gängigen kulturellen Auffassung. Die Fragen nach Leben und Tod waren der westlichen Kultur von äußerster Wichtigkeit. Daher war Selbsttötung zutiefst bedeutsam für die Frage, wie das Leben zu verstehen ist.  Ob sie nun als Selbstmord betrachtet wurde, wie im christlichen Abendland, oder als Mittel zur Wiederherstellung verlorener Ehre, wie im Kodex der Samurai: Die Tat war bedeutsam, weil das Leben wichtig war. Deswegen formulierte Pascal: „Der letzte Akt ist immer blutig, so schön unter anderem die Komödie gewesen sein mag. Zum Schluss schüttet man ein bisschen Erde auf uns, und alles ist für immer beendet.“ Um es mit Wittgenstein zu sagen, als er über das Konzept der Ewigkeit nachdachte: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens.“ Er ist mächtig, unbegreiflich, geheimnisvoll und, ja, erschreckend. Und das zu Recht, denn das Leben ist wertvoll, und jedes Sterben nimmt nicht nur einen lebenden Menschen weg, sondern reduziert auch das Leben derer, die im Schmerz zurückbleiben.

Doch nichts ist in unserer Zeit vor der unvermeidlichen Trivialisierung sicher. Ob es daran liegt, dass unsere Konsumkultur alle Dinge auf Waren und Profit reduziert, oder ob die therapeutischen Werte unserer Gesellschaft alles im Sinn einer utilitaristischen Ethik umgestalten, ist dabei nicht entscheidend. Auch der Tod ist von dieser ständigen Entwertung von Sinn und Bedeutung nicht ausgenommen. Und so investiert unsere kulturelle Elite in seine Transformation von etwas Heiligem in etwas, das wir unseren eigenen Wünschen und unserer Bequemlichkeit anpassen. Abtreibung wird zu einem grundlegenden Menschenrecht und etwas, worauf man stolz sein kann. Der Glaube an Kindstötung nach der Geburt ist nicht mehr das Monopol einiger weniger grotesker Psychopathen, sondern scheint sich im politischen und kulturellen Mainstream zu etablieren. Und nun ist der medizinisch unterstützte Selbstmord die neueste Errungenschaft der Kultur des Todes. So wie der Slogan „sicher, legal und selten“ zur „Shout Your Abortion“-Kampagne (die Bekanntgabe der eigenen Abtreibung ohne Scham und Bedauern) führte, so soll jetzt Euthanasie, die einst von Befürwortern als letzter Ausweg für solche propagiert wurde, die sich im Endstadium einer schmerzhaften, unheilbaren Krankheit befinden, für jeden verfügbar sein, der des Lebens müde ist. Nicht mehr lange, und man wird sie zweifellos denen aufdrängen, deren Leben anderen zur Last wird: den Gebrechlichen, den Senilen und den lästigen Alten, die unsere Zeit und Ressourcen beanspruchen und sich einfach weigern, eines natürlichen Todes zu sterben. Der Tod ist zu einer Banalität geworden, dem geradeso wie dem Leben (dessen Entziehung er ist) sein Wert abgesprochen wurde.

Die Selbstmordkapsel repräsentiert viele dieser Ideen. Mit der glatten Ästhetik des Apple-Zeitalters bietet sie den Tod als attraktive Konsumoption an. Und sie trägt ihren Teil dazu bei, dass der Tod zu einer Frage des Lebensstils wird. Der Designer hat eindeutig ein Produkt entwickelt, das durch sein Aussehen und seine Benutzerfreundlichkeit davon überzeugen soll, dass der Tod – anders als bei Wittgenstein – doch ein weiteres Ereignis des Lebens sein kann, durchführbar mit den klaren Linien und dem attraktiven Design, das wir einem bestimmten postmodernen minimalistischen Stil zuordnen.

In den Welten jenseits des westlichen materialistischen Konsumdenkens gilt der Tod in der Regel als heilig. Er ist mächtig, geheimnisvoll, etwas, über das der Mensch keine Kontrolle hat und vor dem er seine Ohnmacht anerkennen muss. Und er ist natürlich heilig, weil auch das Leben heilig und ein Geheimnis ist. Anfang und Ende unserer Existenz entziehen sich in der Regel unserer Kontrolle, und, wenn wir ehrlich sind, auch unserem Verständnis. Deshalb hat der Tod gewöhnlich eine rituelle religiöse Bedeutung. Im alten Israel wurde man durch den Kontakt mit einem Leichnam unrein und musste sich rituell reinigen lassen. Das Christentum betrachtet den Tod als den letzten großen Feind und die Auferstehung als die zentrale religiöse Hoffnung der Menschen. Der Selbstmord durch eine Kapsel zu einem selbst gewählten Zeitpunkt und beliebiger Begründung leugnet die heilige Natur des Todes.

Die Einstellung zum Tod hat sich also nicht einfach durch die kommerzielle Dynamik unserer therapeutischen Kultur verändert. Diese Dynamik bezieht ihre Plausibilität und Anziehungskraft aus dem Konzept, das sie vermarktet: der Idee der Kontrolle. Paradoxerweise pflegt unsere Kultur zur gleichen Zeit zwei gegensätzliche Sichtweisen auf den Tod. Zum einen ist er in einer Welt, die uns die Sarco-Pods beschert hat, eine Wahlmöglichkeit unter vielen, und so wird der Selbstmord aus immer trivialeren Gründen gerechtfertigt. Andrerseits ist der Tod um jeden Preis zu vermeiden. Das zeigt sich in der absoluten Panik vor dem Tod, die die Covid-Pandemie mit den oft inkohärenten und irrationalen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung kennzeichnete, sowie im wahnhaften Streben nach Unsterblichkeit durch Technologie. Der Wunsch nach Kontrolle über den letzten Feind scheint die gemeinsame Grundlage für beides zu sein.

So ist die Sarco-Kapsel, so sehr uns diese Innovation auch beunruhigen mag, auf dieser Ebene eigentlich gar nichts Neues. Sie deckt das immerwährende menschliche Bedürfnis auf, Götter und Herren unseres eigenen Schicksals zu sein. Und seltsamerweise wird dabei ein letztes Paradoxon deutlich: Je mehr Kontrolle wir über die großen Dinge des Lebens für uns beanspruchen, desto „gottähnlicher“ wir werden, desto mehr reduzieren wir uns selbst auf ein Nichts. Indem wir unseren Tod trivialisieren, machen wir auch unser Leben – unser Selbst – trivial. Unsere prometheischen Bestrebungen haben uns in der Tat klein gemacht.


Ein Artikel von Carl Trueman. Zuerst erschienen am 03.10.2024 unter dem Titel “Suicide Pods and the Trivialization of Death” auf FirstThings.com. Übersetzung von Ruth Metzger. Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von FirstThings.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert