Einer der ersten Artikel auf diesem Blog war ein Text Spurgeons, in dem er seine Reaktion auf Kritik an seinem Bart festhält. Er hat darüber geschrieben, in dem großartigen Werk „Eccentric Preachers“, das Kurzbiographien der Prediger enthält, die Spurgeons Dienst prägten – Ein Buch also, dass einen an „Plaudereien in meinem Studierzimmer“ von W. Busch erinnert, und ähnlich wertvoll ist.
Als ich damals den Artikel veröffentlicht habe, war ich schlicht über den Stil Spurgeons amüsiert, und über den Fakt, dass sich jemand an seinem Bart stören konnte. Aber auch darüber, wie er die holländischen Reformierten schilderet. Damals wusste ich nicht, dass auch heute eine ganze Menge Christen das Rasiergebot oder das Bartverbot (ich mag ja den ersten Ausdruck) mit einer kreuzzüglerischen Vehemenz verteidigen. In den Anfangsjahren des Bloggens war ich nicht bei jedem Artikel sonderlich geschickt, und auch Spurgeons Reaktion ging etwas unter. Deswegen entschied ich mich, diesen Text in einer überarbeiteten Übersetzung wiederzugeben (Link zum Originalartikel):
„Der folgende Vorfall, der mir selbst widerfahren ist, zeigt, welche Macht Kulturund Klima bei der Entstehung des Vorwurfs der Exzentrik haben. Ein Holländer, der – dem sehr ordentlichen Stil seiner Handschrift und der Genauigkeit seiner Formulierungen nach zu urteilen – ein sehr vorbildlicher Mensch sein musste, schrieb mir einmal einen streng ermahnenden Brief. Nachdem er meine gedruckten Predigten mit großer Freude gelesen hatte, hatte er mich für einen gottesfürchtigen Prediger gehalten. Und da er nun in London war, hatte er die Gelegenheit genutzt, mich persönlich predigen zu hören. Das jedoch bereute er zutiefst, denn er hatte dadurch die Fähigkeit verloren, meine Predigten weiterhin mit Freude zu lesen.
Was, meint ihr, hatte ich gesagt oder getan, um mich in der Meinung eines so ehrenwerten Holländers zu diskreditieren? Ich will euch beruhigen: Er war der Ansicht, dass ich sehr gut gepredigt hätte, und warf mir keine übertriebenen Gesten oder Äußerungen vor. Nein – es war mein äußeres Erscheinungsbild, das ihn schockierte. Ich trug einen Bart – das war schon schlimm genug –, aber schlimmer noch: Er bemerkte an meiner Oberlippe einen Schnurrbart! Nun ist dieses schuldhafte Ding wirklich so unbedeutend, dass man solch einen unauffälligen Übeltäter übersehen könnte. Aber nein – er sagte, ich trüge einen Schnurrbart wie ein fleischlich gesinnter, weltlicher Mensch! Stellt euch das vor!
Anstatt also, wie der heilige Mann, den er gewohnt war zu hören, glatt rasiert zu sein und einen gestärkten, rundum laufenden Halskragen von etwa einer Viertel Elle Tiefe zu tragen, war ich so verderbt, keinen Kragen zu tragen und dem Rasiermesser zu entsagen. Sein großer Mann Gottes, mit Kragen und Bändern und Talar und einem Kinn wie das einer Frau, war für ihn nicht exzentrisch. Aber weil ich mein Haar so wachsen ließ, wie es die Natur vorgesehen hatte, galt ich als exzentrisch, leichtfertig, fleischlich, weltlich und als alles Mögliche an Schlechtem.
Ihr seht also: Was in Holland exzentrisch ist, ist es in England nicht – und umgekehrt. Vieles von dem, was man für exzentrisch hält, ist eine Frage von Längengrad und Breitengrad. Wer also ganz korrekt sein will, müsste seinen Standort bestimmen und ein Buch über Kleidung und Gebräuche mit sich führen, das nach Entfernung vom Nullmeridian abgestuft ist.„
Interessant, ich wusste bisher nicht, dass es auch schon damals Thema war. Ich dachte, dass es solche Ermahnungen nur in der russlanddeutschen Kirchenkultur gibt. Schön, wie Spurgeon es mit Humor aufnimmt.
Danke für den Artikel!
Hi Markus, ja! die Stärke dieses Buches ist das Einleitende Kapitel. hier ist sich Spurgeon völlig bewusst, dass er als Exzentrisch gilt, aber er sagt, ihm ist es egal, so lange er bibeltreu ist. Und dann ist es ja eine rage, wer denn eigentlich dann wirklich exzentrisch ist. Die Beispiele der Prediger sind dann sehr eindrücklich, wo er viele ungewöhnliche Situationen aus dem Leben von Predigern erwähnt, die ihn geprägt haben. Dieses Beispiel von Rowland Hill ist aus dem gleichen Buch (https://nimm-lies.de/rowland-hill-lehrt-das-beten/16318) By the way, das ganze Buch gibt es noch nicht auf deutsch. Vielleicht ein Projekt für dreieinigkeit.de