Wie viel Heiligung ist optional?

Ich gestehe – “Das ist nicht heilsnotwendig” ist keine Aussage, der ich sympathisch gesonnen bin.  Auf jeden Fall löst sie in mir die unterschiedlichsten Gedanken aus, und zumindest dem bösen Cousin dieses Satzes bin ich recht gram. Nämlich dem, der uns gerne weiß machen möchte, Heiligung hätte Teile, die rein optionaler Natur wären.

Wie viel Heiligung ist also optional? Reicht es, um kein Ehebrecher zu sein, “nur in Gedanken Frauen zu begehren”? Dem widerspricht Jesus in der Bergpredigt. Ich töte ja auch niemanden, wenn ich jemanden “bloß” hasse, oder? Das Urteil über ein solches Verhalten fällt Jesus dabei jedoch deutlich. Vielleicht haben wir das einfach schon zu oft gehört, und sind müde davon, immer wieder mit der Bergpredigt konfrontiert zu werden, deswegen hier zur Erinnerung: “Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.” (Mt. 5,22)

Bekannte Ausflüchte werden wenig nützen: Auch wenn man der Meinung wäre, die Bergpredigt richte sich nur an die Juden, und wäre “etwas, das nicht zum Gnadenbund gehöre” oder man meint,  Jesus kündgte an, dass er selbst die rechte Erfüllung des Gesetzes wäre. Beides Positionen, die ich entweder für falsch oder für unvollständig halte, – aber um des Argumentes willen, lasst uns das so annehmen – das Problem vor dem wir stehen, wäre nur um ein paar Seiten verschoben: Es ist ja bekanntlich der Galaterbrief, der Brief über den Neuen Gnadenbund schlechthin, der uns erinnert, dass alle die, die Werke des Fleisches tun, “das Reich Gottes nicht erben werden” (Gal. 5,21). Betrachten wir einige dieser “Werke des Fleisches”. Da wäre z.B. “Götzendienst”: Wie viel Götzendienst ist ok? Ist Gott mit seinem Volk etwa zufrieden, wenn es die großen Altäre Baals zerbricht, aber die kleinen Skulptürchen, die man unter einem Kamelsattel verstecken kann, könne man behalten? (Vgl. 1 Mo 31,34 mit 1 Mo 35,4). Kann ein “kleiner Götzendiener Gott zufriedenstellen? Vielleicht damit, dass sein Herz zu 80 % Gott dient und zu zwanzig Prozent den modernen Götzen, ob es nun Ruhm, Ehre, Schönheit, Wissen oder sonst was sei? Sollte es wirklich möglich sein, doch zwei Herren zu dienen? Wen anders, als den Gott Israels verachten wir, wenn wir zu Polytheisten verkommen?

Ein anderes Werk des Fleisches ist das “Fressen und Saufen”? Sollte man als “ein bisschen Alkoholiker” also durchkommen können? Oder ist das Fressen am Chinesischen Buffet ok ( – man hat ja schließlich  dafür bezahlt)?

Ich glaube, es ist nicht schwierig, Beispiele dieser Art in Masse zu finden: Was war da schließlich so schlimm daran,  am Sabbat Holz zu sammeln (4 Mo 15,32-36) oder den Namen des Herrn zu missbrauchen (3 Mo 24,22-23) oder sich an ein paar Gütern der Bürger Jerichos zu bedienen (Jos 7)? Doch in allen drei Fällen war eine von Gott angeordnete Steinigung die angemessene Bestrafung. Wie gesagt, wer meint dass es der schreckliche Gott des Alten Testamentes ist, sollte mal wieder die Offenbarung lesen (Wie wäre es mit Offb. 21,8?: “Die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Hurer und Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod”).

Das Nachsinnen über den kompromisslosen Gott, der auf hundert Prozent Heiligung, exklusive Hingabe und bedingungslosen Gehorsam besteht, führt mich zu diesen zwei Überlegungen:

a) Gott fordert immer hundert Prozent. Er fordert alles. Er ist heilig. Ein kleiner Götze ist da bereits ein krasser Verstoß gegen das erste Gebot. Ein bisschen Begehren ist bereits ein hochmütiges  Herabstoßen Gottes von seinem Thron (“Ich weiß besser als Gott was ich brauche”). Gott als absolut heilig! Wir sollten lernen dem in die Augen zu blicken, egal wie sehr uns das beschämt.  Aber hier sollten wir auf die andere Seite, nämlich auf uns blicken. Das uns beim Denken an einen Absolut Heiligen Gott ziemlich mulmig zu Mute wird, zeigt ja im Besten Fall, dass wir uns wünschten Gott wäre anders. Immer wenn wir also geneigt sind, Gottes Gebote etwas abzumildern, möchten wir eigentlich nichts anderes, als einen Gott mit anderen Geboten. Einen anderen Gott, einen der uns mehr zu sagt.  Klar ist auch der Feind und seine Verführungen hier beteiligt, aber auch unser Fleisch reizt uns zu einem Misstrauen gegenüber dem Gott, der da ist. Wir sehen in seinen Geboten nicht Richtlinien eines liebenden Vaters, sondern unberechtigte Ansprüche eines unbarmherzigen Tyrannen. Verschiedene Tücken lauern denke ich gerade an dieser Stellemin unserem Herzen.  Wenn uns Gott (wieder mal) hart, unbarmherzig vorkommen sollte, ist das ein guter Grund innezuhalten und seine Motive zu hinterfragen.

b) Das Gott immer berechtigten Anspruch auf hundert Prozent hat, lässt einen auch einen ziemlich ernüchternden Blick auf sich selbst werfen: Wie oft wurde das Befehl des einen ewigen Königs nicht nur ignoriert, sondern bewusst gebrochen? In Röm. 7 klagt Paulus zurecht: “Ich lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig,” (Röm 7,9) – ja lebendig wurde die Sünde in mir und so starb und sterbe ich tausend Tode vor der Ahnung des rechtmäßigen Urteils Gottes. Nicht das Gesetz Gottes, das heilig, gut und gerecht ist (Röm 7,12) ist mein Problem, sondern meine Rebellion, die mich ins Elend stürzt. Und gerade hier erblicke ich nun eine bessere Hoffnung:  “Denn das Gesetz brachte nichts zur Vollendung –, und eingeführt wird eine bessere Hoffnung, durch die wir Gott nahen.” (Heb. 7,19).

Oder um es mit dem Römerbrief auszudrücken: “Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.” (Röm 8,3-4)

Alles in meinem Versagen gegenüber Gottes absolut heiligem, guten und gerechtem Gesetz schreit nach Erlösung und weil ich mich nicht selbst erlösen kann, kommt Christus, erfüllt das Gesetz nicht nur auf völlige, perfekte Weise, nein er nimmt die Strafe, die ich für meine Übertretung verdiene, auf sich selbst. Worauf ich hinaus will: Je mehr ich auf den absoluten Anspruch Gottes blicke, desto größer wird meine Sehnsucht nach einem Erlöser. Je mehr ich aber auf diesen Erlöser, diesen einen Mittler zwischen Gott und Mensch blicke, desto mehr traue ich mich wiederum auf das Gesetz Gottes zu blicken. Als ich zu Jesus kam, ja vielmehr als Jesus mich verlorenes Schaf rettete, war mir noch gar nicht klar, wie schlimm es wirklich um mich steht. Und so ergänzt und befeuert der Blick auf das Gesetz, den Blick auf den Erlöser und umgekehrt. Doch es geschieht noch viel mehr: Meine Beziehung zum Gesetz Gottes wird verändert. Als Kind Gottes, weiß ich, dass durch den Glauben das Gesetz nicht aufgehoben, sondern vielmehr aufgerichtet wird (Röm 3,31). Durch Christus befreit kann ich nun dem Gesetz des Geistes dienen und bin vom Fluch des Gesetzes des Buchstabens befreit (Röm 7,6).

Es fällt mir nicht so leicht, die absoluten Forderungen des Gesetzes einerseits  nicht durch einen vermeintlichen  Blick auf die Gnade zu einer Gesetzlosigkeit verkommen zu lassen, und andererseits nicht durch einen Blick bloß auf das Gesetz zu einem ungeistlichen (= nicht vom Geist Gottes gewirkten) Perfektionismus verkommen zu lassen. Beides macht Abstriche: Abstriche an den Ansprüchen Gottes wie an dem Werk Christi.  Ich glaube eine sehr ausgewogene Position nimmt der Heidelberger Katechismus in Frage 115 ein, nachdem er in Frage 114 aufklärt, dass wir im Halten der Gebote Gottes nicht über “einen geringen Anfang dieses Gehorsams” hinauskommen:

Frage 115. Warum lässt uns Gott dann die Zehn Gebote so eindringlich predigen, obwohl sie in diesem Leben niemand halten kann? – Erstens, damit wir unser ganzes Leben lang unsere sündige Art immer deutlicher erkennen und umso begieriger Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit in Christus
suchen (1Joh 1,9; Ps 32,5; Röm 7,24–25). Zweitens, damit wir uns ohne Unterlass bemühen und Gott um die Gnade des Heiligen Geistes bitten, damit wir immer mehr zum Ebenbild Gottes erneuert werden, bis wir nach
diesem Leben das Ziel der Vollkommenheit erreichen

4 Kommentare

  1. Die meisten wollen nicht so heilig werden, denn das kostet den ganzen alten Menschen, der sich ja nicht in allem unter das Joch Gottes beugen will. Nur wenige erreichen hier auf Erden das maximal Mögliche.

  2. Stimme dir in deiner Schlussfolgerung voll zu! Zu deinem Einleitungsteil möchte ich nur bemerken, dass es ja das durchaus berechtigte theologisch-philosophische Konzept der Adiaphora (Mitteldinge) gibt, um deren Definition und Umgang ja gerungen werden muss. Ich würde also behaupten, dass die Aussage, etwas sei nicht heilsnotwendig, in diesem Zusammenhang doch hin und wieder seine Berechtigung hat

    1. einverstanden, der Artikelopener ist nicht ganz ideal gewählt und ich bin auch einverstanden, dass es diese MItteldinge gibt.Problematisch wird aber auch im Fall der MItteldinge wenn eine Denomination diese für zentrale Dinge erklärt

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