Christliche Ethik

Erschlagen von grenzenloser Selbstüberzeugung

Etwas was mich die letzten Monate furchtbar entmutigt hat, waren Begegnungen mit Menschen, die selbst sehr “mutig” waren, man muss eher sagen, die sehr überzeugt waren, alles richtig zu tun. Zwischendurch hat es sich angefühlt, als wäre ich Schiedsrichter in einem Wettbewerb von Selbstüberzeugten. Da ist mir einer begegnet, der mir versicherte ,jahrelang keine Fehler gemacht zu haben und ein anderer erzählte, dass “man keine biblischen Predigten ertrage, wenn man seine Predigten kritisiere”, ein dritter konnte schon über alle richten, ohne sie auch nur angehört zu haben. Der Hauptpreis “für hohes Selbstbewusstsein” 2024 geht eindeutig an einen Trauerredner, der auf der Beerdigung eines bekannten Pastors seine Erinnerungen an ihn berichten sollte, aber nur Dinge fand, wo denn dieser Pastor “mit ihm gekämpft habe”. “Es war ihm wie mir ein Anliegen gegen den Einfluss der Welt in der Gemeinde zu kämpfen, so wie mir”. “Mit mir gemeinsam… so wie ich…. “. Er konnte rein nichts vom Verstorbenen berichten, ohne nicht auch sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen! Und dass alles in einem typisch gedämpften träge vorgetragenen Moll-Ton der Demut. Ich denke der Hauptpreis ist verdient, da der Redner seine hoffnungslose Selbstüberschätzung selber gar nicht bemerkt und völlig überzeugt ist von seiner Demut. Das schreit geradezu nach einer Auszeichnung für fortgeschrittene Selbstüberzeugung!

Ich muss der Fraktion der Selbstachtung in so weit recht geben, dass der “kriecherische Selbsthass” nun wahrlich auch keine christliche Tugend ist, und sich auch gerne sehr häufig als Demut kleidet, obwohl er bloß eine gefährliche Selbstversessenheit ist. Ein bisschen Selbsthaltung ist wirklich gesund! “ich kann nichts und ich tauge nichts” ist oft gar nicht die Haltung eines zerbrochenen Geistes, sondern eine Gier nach Anerkennung. Keiner hat es besser schildern können als  C.F. Meyer in “Der Schuß von der Kanzel”, der die Entwicklung eines ständig an sich selbst zweifelnden Kandidaten der Theologie Pfannenstiel zu einem sicheren jungen Mann schildert. Doch stolzer Egoismus tarnt sich gerne als gesunde Selbstachtung und bringt ein ganzes Arsenal an frommen Vokabular mit.

Und ich muss sagen, dass ich persönlich definitiv zur Fraktion “der Verzagten” gehöre. Meine üblichen Gegner sind Mutlosigkeit, Verunsicherung und Selbstzweifel. Ein Gramm Gewissheit, wie schwer würden sie wiegen!

Aber dennoch glaube ich, dass der Weg der Selbstüberzeugten und Selbstgewissen ein trügerischer und fataler ist. Da wäre zum einen, dass Selbstbewusstsein, dass nur für das Individuum selbst da ist, und nicht zum selbstbewussten Dienen kommt, sehr zerstörerisch ist. Ich habe das erfahren, dass mich wirklich kaum etwas in den letzten Monaten mehr verunsichert hat, als die Begegnung mit den unzählig so von sich überzeugten Menschen. Ich fragte mich, ist das alles, worauf es im Christentum ankommt: Einfach zu wissen, dass man im rechten ist, zu denken, dass Gott total hinter einem steht und jeden Kritiker oder auch nur Skeptiker beseitigt? Gewiss von allem zu sein, ohne es zu wissen oder zu prüfen. Viele Fragen meinerseits sind der Fraktion der Selbstbewussten  völlig unnötig und verwirrend. Das ist mir klar. Doch seltsamerweise ist das Selbstbewusstsein dieser Leute mir niemals selbst eine Ermutigung geworden. Es ist halt bei Früchten des Geistes immer so, dass sie ansteckend sind: Bei den Fröhlichen wird man fröhlich, bei den Dankbaren dankbar, aber bei den Selbstbewussten? Da fühlst du dich nach einer Stunde Gespräch wie ein “Stück $%##”. Und weißt dann noch nicht mal warum. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht nötig wäre, auch mal gedemütigt zu werden. Aber das ist ja der Punkt: Tief unten im Tale der Demut, da finde ich ganz andere Sachen, aber keine grenzenlose Selbstüberzeugung.

Meine Mutlosigkeit hielt einige Wochen an. Ich betete einige Male zu Gott: “Kann es wirklich sein, dass es das alles ist, um was es bei Nachfolge und Glaube geht, einfach nur ein bisschen selbst überzeugt zu sein?” “Soll das das Ziel unserer Kämpfe und Anstrengungen sein?” Ein Ziel, dass mich auch gar kein bisschen reizen wollte. Die Mutlosigkeit ging so weit, dass ich noch nicht einmal das tun konnte, was ich am liebsten mache, nämlich schreiben! Ich bin froh, dass ich von einem Freund ermutigt wurde, der meine Mutlosigkeit erkannte und mich irgendwie relativ schnell ermutigen konnte.  Eigentlich war es ein ganz einfacher Gedanke, denn er mir weitergab, nämlich dieser: “Es ist doch egal, was andere von dir denken, sondern es kommt darauf an, was Gott von dir denkt.” So trivial – und doch so gut! Das Gegengift für den kranken Egoismus, ob in kriechender oder in selbstherrlicher Form ist das gleiche: Der Blick  zu Gott.

Ich denke die Selbstüberschätzung vieler Christen macht vieles kaputt. Viele erheben sich zu den verrücktesten Urteilen. Da hörte ich von einem, der immer ganz genau weiß, welches Lied gottesfürchtig ist oder nicht, diese Fähigkeit aber so gut wie allen anderen abspricht. Das wäre so ein Beispiel für toxische Selbstbewertung. Ich denke nicht, dass es einen irdischen Weg gibt, solchen Leuten überhaupt das Problem klar zu machen, in dem sie sich befinden. Denn alles bestärkt sie: Lobt jemand die Liedwahl, ist es der Segen Gottes. Kritisiert jemand die Liedwahl, ist er ein verweltlichter und verführter Christ, eine geistliche Attacke.  Das ist die tödliche Sackgasse der Selbstüberschätzung, dass man sich immer im Recht wähnt, selbst wenn man gerade dabei ist, das größte Unrecht zu begehen.  Auf diese Weise schadet das Virus der Selbstüberschätzung dem Nächsten genauso wie sich selbst.

 

 

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