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Die Sache mit den Kindern

Kevin DeYoung

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Das Bedeutsamste, was gerade in der Welt geschieht ist möglicherweise, dass etwas nicht geschieht: Männer und Frauen bekommen keine Kinder. Die biblische Logik hat sich ins Gegenteil verkehrt, und der unfruchtbare Schoß hat gesagt: „Genug!“ (Sprüche 30,16). Was im Alten Testament das Leiden par excellence war, ist zum großen Wunsch der Völker geworden. Hatte sich Rahel Kinder noch mehr gewünscht als das Leben selbst (1.Mose 30,1), scheint unsere Generation zu dem Schluss gekommen zu sein, dass nichts dem Leben hinderlicher ist als Kinder.

Ja, menschliche Wesen reproduzieren sich noch – aber in den meisten Ländern nicht schnell genug, um sich selbst zu ersetzen. Die totale Fruchtbarkeitsrate (TFR) lässt sich nicht wissenschaftlich exakt bestimmen, weshalb sich die Zahlen je nach Quelle unterscheiden, aber der Trend ist unübersehbar. Außerhalb Afrikas, das 41 der 50 fruchtbarsten Nationen beheimatet, sieht der Planet einer trüben demografischen Zukunft entgegen. Viele der größeren europäischen Völker – wie Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Polen, Portugal und Spanien – haben eine TFR von 1,5 oder weniger Geburten pro Frau. Das liegt sehr weit unter der Rate von 2,1, die nötig wäre, um die Bevölkerungszahl aufrecht zu erhalten. Besonders Italiens Zukunft sieht mit einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt von 1,22 düster aus. Praktisch jedes Land in Europa – die Niederlande, Großbritannien, Deutschland, Belgien, Finnland und Dänemark – hat eine Geburtenrate unter 1,8. Einzig Frankreich kommt mit einer Geburtenrate von 2,03 dem Erhalt seiner Bevölkerung einigermaßen nahe. Aber der Rückgang bahnt sich schon an. Die Bevölkerung Russlands schrumpft, und Deutschlands Bevölkerung wird sich innerhalb der nächsten 30 Jahre von 83 Millionen auf etwa 70 Millionen dezimieren. Wenn es zu keiner Trendumkehr kommt, wird die Bevölkerungszahl Europas am Ende des Jahrhunderts statt heute 750 Millionen weniger als 500 Millionen betragen.

Die Zahlen für Ostasien sind noch gravierender. Hongkong, Macau, Singapur und Taiwan haben sämtlich eine Geburtenrate um 1,0; die von Südkorea liegt bei 0,81. Diese Länder lassen das alternde und schrumpfende Japan mit seiner Geburtenrate von 1,37 fast noch lebenssprühend erscheinen. Und auch wenn Chinas militärische und wirtschaftliche Macht wächst, seine Kinderzahl wächst nicht. Obwohl die berüchtigte Ein-Kind-Politik durch eine Zwei-Kind-Politik im Jahr 2016 und eine Drei-Kind-Politik im Jahr 2021 abgelöst wurde, ist Chinas Geburtenrate weiter gesunken. 2019 hatte die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften vorausgesagt, dass Chinas Bevölkerungszahl 2029 ihren Höchststand erreichen würde. Aber der Abstieg ist schon im Gange. In diesem Jahr ist die Bevölkerung Chinas zum ersten Mal seit der Großen Hungersnot (1959 – 1961) geschrumpft, und zwar seit 2021 um etwas mehr als 1 Prozent, wie die Shanghaier Akademie für Sozialwissenschaften bekanntgab.

Viele Jahre schien es, als bildeten die USA eine Ausnahme beim Geburtenrückgang in der industrialisierten Welt.  2007 hatten die USA eine Geburtenrate von 2,1, während sie in der Europäischen Union unter 1,6 lag. Aber seitdem ist die Geburtenrate in den Vereinigten Staaten um 20 Prozent gefallen und wird jetzt auf 1,73 geschätzt. Was vor weniger als einer Generation nach der amerikanischen Ausnahme aussah, scheint nur eine Verzögerung der Entwicklung gewesen zu sein.

Nie zuvor in der Geschichte haben Menschen weniger Kinder bekommen. In den meisten Ländern ist die Zahl der Geburten pro Frau nicht ausreichend, um die Todesfälle zu ersetzen, und selbst in Ländern mit hoher Fertilitätsrate, wie in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, ist sie am Sinken. Die Menschheit scheint ihrer selbst überdrüssig geworden zu sein.

Die Gründe der abnehmenden Fruchtbarkeit sind zweifelsohne vielfältig. Sicher hätten manche Paare gerne mehr Kinder, aber sind dazu nicht in der Lage. Andere sind durch wirtschaftlichen Druck oder gesundheitliche Probleme eingeschränkt. Aber wenn die Fertilitätsrate weltweit zurückgeht, müssen die Gründe tiefer liegen, besonders wenn die Menschen objektiv reicher und gesünder sind und ein bequemeres Leben haben als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Bei aller Unterschiedlichkeit der individuellen Gründe leiden wir doch als Spezies insgesamt an einer tiefen geistlichen Krankheit – einem metaphysischen Unwohlsein, bei dem Kinder als Belastung wahrgenommen werden, unsere Zeit stehlen und unserem Streben nach Glück im Weg stehen. Unser Leiden besteht in einem Mangel an Glauben, und nirgendwo zeigt sich dieser Unglaube so erschreckend wie in den Ländern, die einstmals die Christenheit darstellten. „Ich will deinen Samen mehren wie die Sterne des Himmels“, versprach Gott dem begeisterten Abraham (1.Mose 26,4). Heute empfindet man in den Ländern der Nachkommenschaft Abrahams diesen Segen eher als Fluch.

1968 sagte Paul Ehrlich in seinem Buch The Population Bomb (Die Bevölkerungsbombe) weltweiten Hunger und einen „Wettlauf in den Untergang“ voraus. Fünfzig Jahre später ist die Bombe immer noch nicht detoniert. Heute müssen wir eher einen Bevölkerungsrückgang als eine Bevölkerungszunahme fürchten. In seinem 2013 erschienenen Buch What to Expect When No One’s Expecting (Was wir erhoffen können, wenn niemand guter Hoffnung ist) erstellt Jonathan Last eine Liste „sehr schlechter Dinge“, wie er die Folgen der sinkenden Geburtenrate nennt. Sie ist lang und deprimierend: eine überalterte Bevölkerung, ein sinkender Anteil an Erwerbstätigen, weniger Steuerzahler, Nachlassen der technologischen und industriellen Dynamik, Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Ehepartner, leerstehende Gebäude und bröckelnde Infrastruktur, nicht finanzierbare Ansprüche und eine allgemeine Beunruhigung, weil immer mehr Menschen älter und kränker werden und immer weniger Menschen für sie sorgen können. Der Wahlkampfslogan eines zukünftigen Präsidenten könnte lauten: „Es ist 5 vor 12 in Amerika“.

Last führt ökonomische und nationale Problemlagen an, Entwicklungen, die das Potential haben, Präsidenten und Parlamente zu beschäftigen. Aber der Rückgang der Fertilität und der sie begleitende Zusammenbruch der Familie verursacht noch viel tiefgreifendere Probleme. Was Whittaker Chambers veranlasste, sich vom Atheismus abzuwenden, war die Konfrontation mit dem Wunderbaren beim Betrachten des Ohres seiner kleinen Tochter.   Als er sie beobachtete, wie sie in ihrem Hochstuhl saß und aß, überkam ihn ein „unwillkürlicher und ungewollter“ Gedanke: Der Erschaffung dieser perfekt geformten Ohren musste ein gewaltiger Entwurf zugrunde liegen. Der Glaube kann unser Herz für Kinder öffnen, aber Kinder können uns auch die Augen des Glaubens öffnen.

Das Versagen in der Familiengründung führt zu einem Versagen in der Weitergabe und Befestigung des Glaubens. So argumentiert Mary Eberstadt in How the West Really Lost God (dt.: Wie der Westen Gott wirklich verloren hat), dass der Niedergang der Familie nicht nur eine Konsequenz des religiösen Niedergangs ist, sondern dass es im Familienleben etwas gibt, das die Hinwendung zur Religion begünstigt. Wir müssen nicht entscheiden, ob das Ei oder die Henne zuerst da waren. Worauf es ankommt, ist die unauflösliche Verbindung von beidem: Das Schicksal von Familie und Glauben ist in Aufstieg und Fall miteinander verwoben.

Für diesen Zusammenhang gibt es viele plausible Gründe. Die biblische Erzählung spielt sich innerhalb der Matrix der Familie ab. Es fängt an mit der Erwartung des Schlangenzertreters durch Eva, setzt sich fort in dem verheißenen Samen der Patriarchen und dem größeren Sohn des großen Davids bis zur Geburt des Christus-Kindes durch Maria mit Josef an ihrer Seite. Oft sind Kinder der Grund, dass Eltern zum Gottesdienst gehen, entweder weil sie Hilfe bei der Erziehung brauchen oder weil die Erfahrung, Kinder in die Welt zu setzen, in uns die Achtung vor unserem Schöpfer weckt. Die Opfer, die das Elternsein von uns fordert, sind den Opfern, die in einem Leben der christlichen Nachfolge verlangt werden, sehr ähnlich.

Aber auch umgekehrt wird die Verbindung zwischen Familie und Glauben deutlich. Eberstadt beobachtet: „In einer Zeit, wo viele Menschen ihr Leben im Widerspruch zum traditionellen christlichen Moralkodex führen, wird schon die bloße Existenz dieses Moralkodexes zum Blitzableiter für Kritik und Schmähung – was einige Menschen noch weiter von der Kirche wegtreibt“. Mit anderen Worten: Sind deine Eltern geschieden oder bist du mit zwei Müttern aufgewachsen oder schläfst du zurzeit mit deiner Freundin oder kann die Vorstellung einer monogamen Ehe mit dem Aufziehen von Kindern dich nicht begeistern, dann beinhaltet der christliche Glaube – der Sündern schon immer ein Anstoß war – einen zusätzlichen Affront, der früheren Generationen nicht im Weg stand. „Niemand hört gerne, dass er falsch liegt“, bemerkt Eberstadt, „oder dass die Menschen, die er liebt, es falsch gemacht haben. Aber der christliche Glaube kann nicht umhin, diese Botschaft zu senden.“ Ganz zweifellos hat die Säkularisierung die Gründung von Familien untergraben. Genauso sicher hat aber auch der Zusammenbruch der verheirateten, intakten, kindererziehenden Familie den christlichen Glauben schwieriger zu schlucken gemacht. Die größte Plausibilitätsstruktur für den Glauben ist nicht intellektuell, sondern familiär.

Carle C. Zimmermans Family and Civilization (Familie und Zivilisation, 1947) ist als ein Buch über Familientypen in Erinnerung geblieben, aber im Grunde ist es ein Buch über Fertilität. In Anlehnung an Augustinus und Aquin argumentiert Zimmerman, dass die Ehe durch die Geschichte hindurch drei Funktionen hatte: proles, fides und sacramentum. Das heißt, dass das Wohl der Ehe (und des Familienlebens im weiteren Sinne) vom Kindergebären, der sexuellen Treue und der Unverbrüchlichkeit des Ehebundes abhängt (unabhängig davon, ob man eine katholische Auffassung von den Sakramenten vertritt oder nicht). Petrus Lombardus ordnete die ehelichen Güter etwas anders an und stellte dem Kindergebären die Treue voran. Zimmerman stellt jedoch fest, dass die Ordnung von Augustinus und Aquinus das Kinderkriegen – bzw. die Absicht dazu vor der Ehe – als ersten und entscheidenden Schritt für die Entwicklung der ehelichen Treue und Dauerhaftigkeit hervorhebt. Ohne Kinder (oder die Offenheit für Kinder) verlieren die beiden anderen Verpflichtungen ihren moralischen und logischen Zusammenhang.

Schon 1947 sah Zimmerman voraus, dass die auf sich selbst reduzierte Familie – die auf individualistischen Annahmen über Glück und die Funktion der Ehe beruht – zu schnellen und grundlosen Scheidungen führen würde. Lockerere Familienstrukturen würden als Lösung für Familienprobleme angeboten werden, aber diese Probleme nur noch verschlimmern. Die Stigmatisierung des Ehebruchs würde aufhören, die Fruchtbarkeit abnehmen und sexuelle Perversion normalisiert werden. Er prognostizierte auch, dass der Rückgang der Fruchtbarkeit unter den Intellektuellen diese dazu ermutigen würde, die Gültigkeit der Ehe selbst in Frage zu stellen. Es würde zwei Generationen dauern (verlangsamt durch die Einwanderung), bis der Verfall der Familie offensichtlich würde. Dann wäre die christliche Kirche die einzige kulturelle Institution, die eine Sichtweise der Familie fördern könnte, die über die persönliche Erfüllung hinausweist.

Die Ansicht ist weit verbreitet, dass die Antibabypille unweigerlich zum Geburtenrückgang führen musste. In seinem 2018 erschienenen Buch Birth Control and American Modernity (Geburtenkontrolle und die amerikanische Moderne) untersucht Trent MacNamara Zeitungsberichte und die Rhetorik populärer Moralisten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Er zeigt auf, dass der Geburtenrückgang mehr mit veränderten Wertvorstellungen als mit neuen technischen Entwicklungen zusammenhängt. Dass die Amerikaner beschlossen, weniger Kinder zu bekommen, lag nicht daran, dass ihnen das Land ausgegangen war oder dass die Industrialisierung Kinder als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft weniger wertvoll gemacht hatte. Diese gängigen Erklärungen ergeben wenig Sinn (als ob Kinder aus dem Mutterleib kämen, um Kühe zu melken, und nicht gefüttert, gekleidet und betreut werden müssten). Die Gründe, warum Amerikaner weniger Kinder bekamen, waren einfacher und umfassender. Bei den meisten hat eine Kombination aus moralischem Pragmatismus und liberalem sozialem Optimismus den Ausschlag gegeben. Die Amerikaner des zwanzigsten Jahrhunderts waren überzeugt, dass die neuen Technologien ihren (wenigeren) Kindern ein besseres Leben ermöglichen würden, als sie selbst es gehabt hatten. Geburtenkontrolle erschien ihnen als umsichtig, wirtschaftlich und altruistisch. Sie gaben messbaren Ergebnissen den Vorrang vor grundsätzlichen Wahrheiten. Vor allem aber, so MacNamara, glaubten sie, dass weniger Kinder mehr Sicherheit und mehr Glück bedeuteten. Fast ein Jahrhundert später hat sich an diesem moralischen Kalkül wohl wenig geändert.

Neu für unsere Zeit ist die gefühlte Bedrohung durch die Klimakatastrophe. Kürzlich las ich Äußerungen eines liberalen Elitejournalisten, wonach die häufigste Frage, die ihm nach Vorträgen und bei Einladungen gestellt wird, die ist, ob wir überhaupt noch Kinder haben sollten, wenn wir wissen, dass Kinder zur „Klimakrise“ beitragen. Ganz abgesehen von den Debatten, die wir über die Wissenschaftlichkeit oder die Lösungsmöglichkeiten des Klimawandels führen könnten, sind die intellektuellen Annahmen hinter dieser Frage zutiefst menschenfeindlich. Die Bibel bestärkt uns darin, die Schönheit in Gottes Schöpfung zu sehen. Frösche, Hunde und Glühwürmchen sind ihr nicht egal. Alles, was Atem hat, lobe den Herrn (Ps 150,6)! Aber der Erzählbogen der Bibel ist weder geozentrisch (als ob es in der Erlösungsgeschichte hauptsächlich um die Erde ginge) noch biozentrisch (als ob es hauptsächlich um Pflanzen und Tiere ginge). Der biblische Bericht ist anthropozentrisch. Gott sandte seinen Sohn, um die Menschen zu retten, die in seinem Bild geschaffen wurden. Außerdem sind wir, die wir in seinem Bild geschaffen wurden, keine fremden Arten auf dem Planeten, keine bösartigen Tumore, die nur fressen und zerstören. Wir sind zu Unter-Schöpfern delegiert und bestimmt, den Garten zu pflegen. Wir sind befähigt, Probleme zu lösen und die Welt zu einem bewohnbareren Ort zu machen. Sollte die Klimakrise so gravierend sein, wie man uns erzählt, werden dauerhafte Lösungen von unseren Kindern kommen, nicht von ihrer Beseitigung.

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich unsere Version des guten Lebens von Jesajas eschatologischer Vision unterscheidet. In Jesaja 65 enthüllt der Prophet das Kommen des neuen Himmels und der neuen Erde. Die Vision enthält Elemente, die alle Menschen wertschätzen: Frieden, Wohlstand und Schutz. Aber die Vision ist auch erstaunlich familienorientiert. Wir hören von Kindern, die nicht mehr im Säuglingsalter sterben, und von Kindern, die zum Segen und nicht zum Unglück geboren werden. Wir lesen davon, dass Häuser gebaut und bewohnt werden, dass Weinberge gepflanzt und ihre Früchte gegessen werden. Das Bild zeigt eine Familie in mehreren Generationen: einen alten Mann, einen jungen Mann, einen Säugling, Nachkommen und Vorfahren zusammen. Unsere zeitgenössische Vorstellung vom guten Leben ist individualistischer und konsumorientierter. Das gute Leben hat sich von zu Hause auf den Markt, in Vergnügungslokale und in das Innenleben unseres Selbst verlagert. Wir empfinden es als etwas Gutes, dem Heim zu entkommen – durch Reisen, durch Konsum und durch Befreiung aus den Fesseln der Häuslichkeit.

Ich habe nicht die Absicht, ein theologisches Plädoyer für oder gegen Geburtenkontrolle zu halten. Unser nationales Dilemma verlangt nicht, dass Christen jede Form der Familienplanung ablehnen. Selbst mit neun Kindern bin ich kein Fruchtbarkeits-Maximalist. Meine Frau ist mit relativ leichten Schwangerschaftsverläufen gesegnet. (Das ist leicht gesagt!) Wir haben mehr Platz zum Wohnen und ein höheres Haushaltseinkommen als viele andere Familien. Wir müssen nicht die gleichen Opfer bringen wie ein Paar mit großer Kinderschar 1930 in einer schäbigen Wohnung in New York City. Ich dränge christliche Paare nicht dazu, so viele Kinder wie möglich zu bekommen.

Aber ich lege ihnen ans Herz, mehr Kinder zu bekommen. Wie viele mehr, kann ich nicht sagen. Jedes Paar muss die Risiken abwägen, die mit Alter, Krankheit, Fehlgeburten oder schwierigen Schwangerschaften verbunden sind. Aber „mehr als zwei Kinder“ und „mehr Kinder, als du glaubst, verkraften zu können“ wären schon mal ein guter Anfang. Seit zwei Jahrzehnten vertieft sich in Bezug auf Fruchtbarkeit die Kluft zwischen religiösen und nicht religiösen Amerikanern. Sie ist heute größer als je zuvor, aber nicht groß genug, um die Zahl derer auszugleichen, die sich vom Glauben lossagen. Sie könnte es aber sein, wenn die Geburtenrate der religiösen Amerikaner von knapp unter der Ersatzrate auf etwa 2,4 Kinder ansteigen würde. Mit anderen Worten: Der Unterschied zwischen drei Kindern und zwei Kindern – vorausgesetzt, die Kultur des Glaubens ist zu Hause und in der Gemeinde stark genug, um diese Kinder in den Reihen der Gläubigen zu halten – könnte den Unterschied ausmachen zwischen einem Amerika, in dem die Religion abnimmt, oder einem Amerika, in dem sie zunimmt.

Leider wird es uns heutzutage in Amerika nicht leichtgemacht, viele Kinder großzuziehen. Ich denke an den Satz des Komikers Jim Gaffigan (Katholik und Vater von fünf Kindern): „Großfamilien sind wie Geschäfte für Wasserbetten. Früher gab es sie überall, jetzt sind sie eine seltene Absonderlichkeit.“ Parkplätze und Parkhäuser sind nicht für Vans mit fünfzehn Sitzplätzen ausgelegt. Meine Familie geht fast nie essen (wofür viele Restaurantbesucher dankbar sind). Uns alle irgendwo hinzufliegen, ist ohne ganz viel Planung und Ansparen wahnsinnig teuer und einfach nur verrückt. Unser Leben ist von unserer Gemeindezugehörigkeit geprägt, und die meisten Menschen in unserem Umfeld unterstützen unsere große Familie extrem. Trotzdem spüren wir bei Fremden oft die unausgesprochene Frage: „Seid ihr dumm oder einfach nur naiv?“ Als unsere Kinder die öffentliche Schule besuchten, hörten wir ständig, dass Geschichten und Beispiele im Klassenzimmer „die Vielfalt unserer Gesellschaft repräsentieren“ sollten. Das bedeutete immer, dass mehr von LGBTQ-Familien die Rede sein müsse, aber nicht etwa von großen Familien, die den Gottesdienst besuchen.

Eine Kultur mit rückläufiger Fertilität wird sich an immer kleinere Familien gewöhnen. Die Rückkopplungsschleife ist schwer zu unterbrechen. Je weniger Kinder sie haben, desto mehr kreisen die Eltern um die Kinder. Und wenn Eltern sich mehr auf ihre Kinder konzentrieren, können sie sich nicht vorstellen, mehr als ein oder zwei Kinder zu haben. Selbst gute Eltern – vielleicht sogar grade besonders gute Eltern – sind anfällig für die Annahmen der Kindergarchie, wo Kinder die Herren im Haus sind, und von Müttern und Vätern erwartet wird, dass sie alles für ihre Kinder sind. Wie können Eltern mehr als ein paar Kinder haben, wenn die Eltern für jedes Kind ständiger Begleiter, Campleiter, Gourmetkoch, Urlaubsplaner, Coach und allgegenwärtiges Sicherheitsnetz sein müssen? Ganz zu schweigen von den riesigen Autositzen, die ein- und ausgebaut werden müssen, der Flut von Formularen, die in jeder Lebensphase auszufüllen sind, und den Kosten für die Erziehung eines Kindes in einer Zeit, die von jungen Menschen erwartet, dass sie viel konsumieren und wenig beitragen. Man braucht schon eine hartnäckige Bereitschaft zum Anderssein, um es als Eltern zu wagen, seinen Kindern mehr zu geben, indem man ihnen weniger gibt.

So wichtig die Fruchtbarkeit für die Gesundheit (und das Weiterbestehen) einer Nation auch ist, so wenig Ergebnisse zeitigen die geburtenfördernden Maßnahmen von Regierungen. Als Japan 1990 den Demografie-Alarm auslöste und einen interministeriellen Ausschuss zur „Schaffung eines gesunden Umfelds für das Gebären und Aufziehen von Kindern“ einrichtete, lag die TFR bei 1,54. Nach dreißig Jahren mit „Angel Plans“ (einem Programm zur Unterstützung von Familien durch Beratung, Tagesbetreuung usw.), Kinderbetreuungsurlaubsgesetzen, einem “Plus-Eins-Plan” und einem „Gesetz zur nächsten Generation“ sank die TFR in Japan auf 1,36. Damit will ich nicht sagen, dass Regierungen keine familienfreundliche Steuerpolitik machen und Familien in der Gesetzgebung priorisieren sollten. Ich bin durchaus dafür, dass es einfacher und kostengünstiger werden sollte, Kinder aufzuziehen. Die Regierungen können Menschen darin unterstützen, die Kinder zu bekommen, die sie sich wünschen. Was sie nicht schaffen, ist Menschen davon zu überzeugen, Kinder zu bekommen, die sie sich nicht wünschen.

Zu einer konservativen Einstellung gehört auch eine realistische Einschätzung dessen, was wir auf dieser Erde erreichen können. Den Zerfall der Familie kann man nicht in fünf Jahren rückgängig machen – vielleicht in fünfzig, wenn Gott will. Dennoch können wir unseren Teil dazu beitragen, die soziale Gesundheit im Hier und Jetzt zu fördern und die Saat für eine spätere Ernte zu legen. Zu diesem Zweck möchte ich zwei bescheidene Vorschläge unterbreiten.

Erstens müssen wir die Institution und das Wohlergehen der Familie in den Mittelpunkt eines erneuerten Konservatismus stellen. Man muss nicht alle Punkte von Yoram Hazonys Kritik am klassischen Liberalismus bejahen, um zu sehen, dass die von ihm vorgeschlagene „Wiederentdeckung“ der Familie im konservativen Denken längst überfällig ist. Viele der philosophischen Väter des Liberalismus waren selbst gar keine Väter: Spinoza, Locke, Hume, Mill und Bentham waren alle kinderlos, und Rousseau gab seine fünf Kinder in Waisenhäuser ab. Die Konservativen müssen einen Weg finden, die gottgegebenen Rechte des Individuums zu verteidigen und gleichzeitig dafür einzutreten, dass die Ausübung dieser Rechte in erster Linie im Rahmen der Familie stattfindet. Ein solcher Konservatismus wird nicht nur auf vagen „Familienwerten“ bestehen. Er muss fest zu der Überzeugung stehen, dass unsere Zivilisation nicht gesunden kann, solange wir versuchen, die Familie neu zu definieren und etwas anderes aus ihr zu machen als eine vor-politische Institution, die auf Geschlechterdifferenzierung und Fortpflanzung beruht.

Zweitens: Wenn wir die Familie in den Mittelpunkt unseres Konservatismus stellen, ist es noch wesentlicher, dass wir sie in den Mittelpunkt unseres eigenen Lebens stellen – natürlich nicht an Gottes Stelle, sondern als eines der besten Dinge, die wir nach Gottes Willen erstreben sollten. Christliche Schulen sollten überprüfen, ob sie ihre Schüler nur auf Studium und Karriere oder auch auf Familiengründung vorbereiten. Pastoren und Priester sollten ihren Leuten klarmachen, dass der direkteste Weg zur Veränderung der Welt mit dem Wechseln einer Windel beginnt. Allzu oft bürden christliche Leiter ihren Leuten unmögliche Lasten auf, indem sie darauf bestehen, dass sie Unmengen sozialer Probleme lösen und in tausend verschiedenen Bereichen Experten werden. Dabei vergessen sie, ihnen zu versichern, dass es ein gut gelebtes Leben ist, zu heiraten, Kinder in der Gemeinde aufzuziehen und verheiratet zu bleiben. Vor allem Frauen müssen wissen, dass Mutterschaft keine minderwertige Berufung ist, keine Unterbrechung des eigentlichen Lebens oder ein Hindernis für ein wirklich sinnvolles Leben (womit man meistens ein eher den Männern angeglichenes Leben meint). Ich würde gerne einmal eine christliche Hochschule sehen, die in ihrem Alumni-Magazin eine Hausfrau und Mutter in den Mittelpunkt stellt. So wie christliche Schulen sich vermarkten, würde man nie auf die Idee kommen, dass die meisten ihrer Absolventinnen Mütter werden oder dass ein normales Familienleben eine ehrenwerte Berufung ist.

Vor allem müssen wir die Ehe als den Austausch von Pflichten und Verpflichtungen verstehen, nicht nur von Gefühlen und Erfahrungen. Und wir müssen – so beängstigend das für mich als Vater von vier Teenagern auch klingt – zugeben, dass viele junge Männer und Frauen früher heiraten sollten. Der Babyboom der Nachkriegszeit war eigentlich ein Heiratsboom. Die durchschnittliche Familiengröße ist nicht so stark gestiegen wie die Zahl der Menschen, die eine Familie gründen. Seit 1950 ist das Durchschnittsalter bei der ersten Eheschließung für Frauen von knapp über zwanzig Jahren auf fast achtundzwanzig Jahre gestiegen. Frauen bekommen auch deshalb weniger Kinder, weil ihnen weniger Ehejahre zur Verfügung stehen, in denen sie sie bekommen könnten. Und sicherlich ist es für beide Geschlechter nicht leichter, den Verlockungen der Pornografie und der Unzucht zu widerstehen, wenn das sexuelle Verlangen zehn oder fünfzehn Jahre lang brennt, bevor eine Ehe überhaupt in Betracht gezogen wird. Die Bibel sagt nirgends: „Du musst deine Ausbildung vor der Ehe abschließen“, oder „vor der Ehe mit dem Rucksack durch Europa reisen“, oder „vor der Ehe Zeit haben, Netflix zu schauen“. Die Bibel sagt aber, dass es besser ist, zu heiraten als in Glut zu geraten (1. Korinther 7,9).

Vor allem müssen wir glauben, was die Heilige Schrift uns sagt, nämlich dass Kinder eine Gabe des Herrn sind und die Leibesfrucht eine Belohnung (Ps. 127:3). Kinder zu haben ist nichts für schwache Nerven. Kinder sind teuer. Sie sind unordentlich und anstrengend. Sie kosten dich Zeit und können dir das Herz brechen. Wahrscheinlich werden sie dich nie so sehr lieben, wie du sie liebst. Sagen wir es mal weniger romantisch: Kinder sind eine Belastung. Aber sie sind auch eine der größten irdischen Segnungen. Haben wir Rahels Verzweiflungsschrei auf den Kopf gestellt, indem wir Gott bitten, uns die Kinder vorzuenthalten, damit wir uns nicht selbst sterben müssen? Die Verheißung der Nachkommenschaft an Abraham war kein Fluch für ihn, und auch für uns ist Nachkommenschaft kein Fluch. Der Mann als Held mit Pfeilen in der Hand, die Frau als fruchtbarer Weinstock und Kinder wie junge Ölbäume rings um den Tisch – das sind die Segnungen des Herrn aus Zion.

In Amerika wie in der ganzen Welt können wir beobachten, dass Glaube und Familie miteinander stehen und fallen. Konservative, ernsthaft religiöse Menschen haben mehr Kinder als ihre liberalen und säkularen Zeitgenossen. Selbst innerhalb der Kirche sind die großen Konfessionen zum Teil deshalb geschrumpft, weil ihre Mitglieder aussterben, ohne dass gläubige Kinder sie ersetzen. Konservative Gemeinden sind gewachsen (oder zumindest auf ihrem Stand geblieben), weil ihre Gemeindemitglieder Babys bekommen und mehr von diesen Kindern geblieben sind. Die Sanftmütigen werden die Erde erben, vor allem die, die demütig genug sind, Kinder aufzuziehen.

Letztendlich ist Kinderkriegen kein Akt blinden Gehorsams, auch nicht nur ein Akt des Glaubens. Es ist ein Akt der Transzendenz. Wenn mein Kind das Haus verlässt, und ich sage: „Vergiss nicht, dass du ein DeYoung bist“, dann fordere ich es nicht nur auf, im Einklang mit unseren Werten zu handeln, sondern ich sende unseren Familiennamen in die Welt hinaus – an Orte, an denen ich nicht sein kann, und in eine Zukunft, die für meine Möglichkeiten zu weit weg ist. „Und ich will dich zu einem großen Volk machen“, sagte Gott zu Abraham, „und dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein“ (1.Mose 12,2). Die Bibel ist voll von Stammbäumen, die zeigen, dass wir ein Volk mit einer Vergangenheit und einer Zukunft sind. Wenn 1.Mose 5 die Linie von Adam bis Noah nachzeichnet, erinnert der Refrain „und er starb“ an den Fluch des Todes, aber die Tatsache, dass jeder Mann einen Sohn hatte, erinnert an die Verheißung, die durch die Geburt kommt (1.Mose 3,15). Der Gott, der die Ewigkeit in unsere Herzen gelegt hat (Prediger 3,11), ist auch der, der uns Kinder in den Schoß legt (Maleachi 2,15). Wenn wir das eine begreifen, werden wir auch das andere begreifen.


Kevin DeYoung ist leitender Pastor der Christ Covenant Church in Matthews, North Carolina, und außerordentlicher Professor für Systematische Theologie am Reformed Theological Seminary in Charlotte. Übersetzt von Ruth Metzger. Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von FirstThings.

 

 

 

 

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