Überlegungen während einer moralischen Hochzeitpredigt

Ich bin Gast auf einer Hochzeit und die Predigt reiht eine moralische Lehre an die Nächste, eine Mahnung an die Nächste, gibt Lebenstipps, Handlungsanweisungen. Hier ein Gebot, dort eine Regel! Von allem wird geredet, außer vom Erlöser. Meine Gedanken schweifen ab und ein Artikel entsteht, denn ihr nun lesen könnt:

Zunächst habe ich gar nichts gegen hilfreiche Überlebens-Hinweise einzuwenden. Das Leben ist ein Kampf, man geht so schnell in die Irre, oder bricht ein. Es gibt manch einen Hinweis von erfahrenen Ehepaaren, die ich auf der Goldwaage wiegen würde. Kostbare Ratschläge auf verschiedensten Ebenen haben sich so im Erfahrungsschatz einer mitteljungen Familie angesammelt.

Dennoch fehlt etwas, wenn wir nur Gesetz verkündigen. Der Gnadenbund Gottes ist ja Gesetz UND Evangelium. Gesetz OHNE Evangelium ist unser Tod (vgl. Röm. 7,10) Eigentlich kann man das sehr gut an dem beliebten Hochzeits-Motiv der „Fünf Sprachen der Liebe“ illustrieren. Der Amerikanische Paar und Beziehungsberater Gary Chapman hat vor einigen Jahren „Fünf Liebessprachen“ identifiziert, diese sind:

  1. Worte der Anerkennung
  2. Geschenke und Aufmerksamkeiten
  3. Hilfebereitschaft und Taten
  4. Gemeinsame Zeit
  5. Körperliche Berührungen

Wie schön sind diese Fünf Punkte geeignet mein Dilemma zu illustrieren:  An sich bin ich für alle fünf Punkte und doch sind es fünf Punkte zum Verzweifeln.

Ein erbarmungsloses Gesetz

Ich empfinde diese Fünf Regeln für ein harmonisches Zusammenleben als Paar als furchtbar erbarmungslos. Und zwar sowohl für den Praktizieren, wie für den (vermeintlichen) Nutznießer dieser Regeln.

Mein Gedankenexperiment: Da fährt Sergej auf die Arbeit und frägt sich, ob er denn genug Worte der Anerkennung aussprach, als er das Haus verließ. Und gestern, da half er zwar das Geschirr zu spülen, doch die Mülltonne rauszustellen, hat er erneut vergessen. Mit gemeinsamer Zeit ist auch nicht zu rechnen, da nach der Besprechung um 16 Uhr ein Arzttermin ansteht und anschließend Bibelstunde. 3 der 5 Gebote gebrochen. Mindestens zu 60% versagt. Schon wieder. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Kein Wunder klappt es mit der Ehe nicht so, wie erwartet!

Schon fällt Sergej ein erbarmungsloses Urteil über sich und erbarmungslos stehen am nächsten Tag wieder die „Fünf Sprachen“ mit ihrer Erwartung vor der Tür seines Herzens. Schließlich sind sie der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben für ihn geworden. (Man beachte, dass nicht mehr Christus der Schlüssel ist)

Aber vielleicht ist Sergej auch ein anderer Typ oder in einer anderen Stimmung, nämlich in dieser: Trotz einer romantischen Nacht und dem Frühstück am Bett, ärgert ihn der blasse Blick der Frau, ihre Reizbarkeit. Den ganzen Tag schmollt er, wenn er daran denkt. Er kann es einfach nicht verstehen, warum er, obwohl er die Fünf Sprachen derart penibel, ja nahezu vollkommen erfüllt (bleiben wir realistisch!), so wenig Frucht sieht. Es muss am bösen Herzen seiner Frau liegen! Sie ist schuld, da er ja selbst alles richtig macht. Obwohl die Blumensträuße immer größer werden und man schon aktiv alle zwei Wochen daten geht, ändert sich nichts. Und so wird der frömmste Befolger der „Fünf Sprachen“ zum erbarmungslosesten aller Ehepartner. Jede Undankbarkeit der Frau wird dick unterstrichen, jedes Versagen wird mit einer Lupe untersucht. Sergej sieht sich im Recht, schließlich ist er ja ein „toller Gesetzeserfüller“.

Ein hoffnungsloses Gesetz

Lasst uns bei meiner fiktiven Situation noch etwas verweilen: Nun packt mich das schlechte Gewissen, ich muss vor mir, vor Menschen und Gott gestehen, ich habe versagt vor „den Fünf Sprachen.“ Was soll ich tun und wo finde ich Rettung? Ich nehme mir vor, „es ab morgen noch härter zu versuchen“. Doppelt so viel gemeinsame Zeit, ein getakteter Zeitplan, damit ich an die Mülltonne denke und nun nicht mehr nur einmal monatlich, sondern sogar (! Man achte auf den Wortlaut, die Pharisäer verzehnten auch SOGAR die Minze) einmal wöchentlich einen Blumenstrauß! Was geschieht dabei in meinem Herzen? Meine Selbstgerechtigkeit wächst. Und wenn ich auch Woche für Woche versage, so setze ich meine Hoffnung doch ganz auf mich. Was ich nicht tue ist dies: Ich kehre nicht um in Buße zu Gott! Ich suche nicht seine Hilfe im Glauben. Siehst du, manch einer, der das hier liest, denkt sich: Nun, wo ist das Problem bei Gott um Kraft zu bitten, „die Fünf Sprachen besser zu erfüllen“? Kann man das etwa nicht bitten? Sehr wohl! Ich habe nie gesagt, dass selbstgerechte Menschen, nicht beten. Da gab es manch einen in Galatien, der dachte, ich kann auch beschnitten zu Gott rufen und plötzlich heißt es: „Oh du unverständiger Galater, willst du im Fleisch vollenden, was du im Geist angefangen hast?“

Die Frage ist hier: Wohin wirft mich das Gebot hin? Die Fünf Sprachen der Liebe werfen uns eben nicht auf das Wirken des Geistes zurück. Im Grunde ist mein Problem hier dieses, dass ein Gebot VOR Gott steht. Gott wird zu einem Mittel, Gebote zu erfüllen, nicht zu einem Retter in Not.

Statt zur Umkehr zu Gott führt dieses eigene Gebot dazu, dass ich nur noch weiter auf „Selbstverbesserung meiner Selbst setze“. Es ist somit genau das Gegenteil dessen was Gott liebt, nämlich ein zerschlagenes Herz und ein geängstigter Geist (Nach Ps. 51,19). Gerade in meinem Bemühen, es noch besser zu machen, entferne ich mich von Gott. Und wie bezeichnet die Bibel solche Menschen? Als Gottlos! Kann ein Mensch noch mehr verloren sein, als wenn er auf sich selbst gestellt ist?

Das eine beachtliche Menge evangelikaler Prediger das bizarre Kunststück vollbringt, SOWOHL Appelle an die eigene Selbstgerechtigkeit zu vollführen, WIE AUCH daran zu erinnern, dass Gott den zerbrochenen Menschen liebt, ist ein Absurdum, dass wir zu einem anderen Zeitpunkt betrachten wollen.

Ich deute schon an, dass es nicht die fünf Gebote sind, die unsere Regeln hoffnungslos machen, das gelingt auch mit biblischen Texten. Da sagt einer, dass die Liebe nimmermehr aufhört (1. Kor. 13,8). Dies (dass die Liebe nie aufhört) sei Gottesverheißung, geknüpft an die Bedingung, dass meine Liebe dienend, vergebend und schützend sei (siehe gleiches Kapitel Verse 4-7). Wenn ich diesen drei Aufgaben nachkomme, dann darf ich auf das beste hoffen.  Doch was nützt mir eine solche Lebensanweisung, wenn ich mich dabei ertappe, dass ich nicht mehr vergeben kann, dass ich keine Kraft habe, meine Lieben zu schützen, dass der Mut zum Dienen nachlässt? Wenn wir mit den Geboten, selbst mit den Gottes Geboten den Menschen auf sich selbst zurückwerfen werden wir erbarmungslos. Unsere Verkündigung hat keine Lösung für Versagen, kein Verständnis für Schwäche und keine Hilfe für Kraftlosigkeit. Dabei ist die Lösung auch in 1. Kor. 13 ganz nah: Die Liebe Christi. Hier ist aber nicht die Liebe eines Vorbilds, sondern eines Retters, versagender und kraftloser Schwächlinge. Manch einer denkt, er führt schon ausreichend Hoffnung dem verlorenen Sünder zu, wenn er ihm zeigt, dass Christus das Gebot völlig erfüllt hat. Aber es fällt hier doch ein Wort: „Für uns!“. Christus hat die Gerechtigkeit im Gesetz erlangt nicht für sich (er hatte seine Gerechtigkeit doch schon vor Ewigkeit her) sondern FÜR UNS!

Ein egoistisches und Christusloses Gebot

Sich eigene Regeln aufzustellen lenkt den Blick vom Nächsten und von Gott auf mich selbst.

Ist euch aufgefallen, dass in all meinen Beispielen ich eigentlich ständig im Dialog mit mir selbst bin. Ich prüfe mich selbst, ich messe mich selbst. Ich begehe tägliche Nabelschau. Ich bin Zentrum meiner Geisteswelt und verliere Gott aus dem Blick. Mein Gesetzes-Kompass dreht sich um sich selbst. Gottes Gebot fängt mit „Du sollst deinen Herrn lieben von ganzem Herzen …“ an und lenkt unseren blick von uns weg. Auch im Blick auf den Nächsten sind nicht ein Katalog, dass ich zu erfüllen habe im Zentrum, sondern das Wohlergehen meines Nächsten.

Wie soll das auch funktionieren: Ist ein Notensystem gedacht, an dem ich mich bewerte, wie gut ich in jedem der Punkte war, eine Art Checkliste für mein eigenes Fortschreiten? Wo bleibt dann Raum für Gnade?  Merken wir, was passiert: Die Regeln sind plötzlich vor allem da, um meinen Partner zu manipulieren. ICH WILL eine funktionierende Ehe haben, das Wohlbefinden meines Partners ist plötzlich gar nicht mehr im Zentrum. So kann es geschehen, dass uns solche Lebensanweisungen gerade von Gott wegbringen.

Es wäre möglich, hier über den biblischen Aufruf zur Selbstverleugnung zu reden, aber wichtiger erscheint mir die gravierende Folge aufzuzeigen, dass selbstgemachte Gebote keinen Erlöser haben. Irgendwie werfen sie mich selbst auf mich selbst zurück. Ich kämpfe täglich, mich selbst durch eine größere Erfüllung des Solds zu erlösen. Und auf diese Weise, Schritt für Schritt weicht die Notwendigkeit Christus zu suchen, immer mehr von mir. Gerade vermeintliche Erfolge können uns hier mehr in die Krise führen, als wir es uns eingestehen wollen. Was bringt es, wenn jemand seine Ehekrise mit drei vier psychologischen Mittelchen in den Griff bekommt, dass andere im auf die Schulter klopfen, dass wir anfangen nach Erfolg und nicht nach Gottesgegenwart zu messen? Was nütze es dem Menschen, wenn er seine Ehe komplett in den Griff bekäme und doch Schaden an seiner Seele nähme?

Ein Gesetz des Ungläubigen Herzens und ein Alternativvorschlag

Es gibt weitere Probleme. Man müsste sich auch die Frage stellen: Warum gerade diese Fünf Sprachen. Gibt es noch eine Sechste? Was wäre, wenn sie die Richtung gänzlich verschieben würde? Wo bleibt Christus in diesen Geboten? Aber wir wollen nicht die wichtigsten Aspekte, durch eine allzu detaillierte Kritik verschütten lassen.

Nun, falls du, lieber Leser, den Text bis hierher gelesen hast, meine bloß  nicht, dass ich in erster Linie die Verkündiger solcher Gesetze ohne Evangelium kritisiere. Mich verwunderte an diesem Tag an der Hochzeit nicht der Prediger, nein, vor allem, dass solche Botschaften eine Unmenge an Menschen zufrieden stellen. Ihnen gefällt gerade diese Art von christuslosem Apell! Christen aller Couleur wollen „noch ein Gebot“ hören, noch eine Handlungsanweisung, noch einen Appell an die eigene Moral, noch eine Ermutigung, noch ein Gesetz, noch eine Ermahnung, noch ein Einheizen es „noch härter zu versuchen“. Und vielen scheint es zu reichen. Mir häufig auch. Es stellt sich die Frage, warum gefällt uns ein willkürliches, erbarmungsloses, hoffnungsloses, christusloses Gebot mehr als Gottes gute Gebot?

Das bekümmert mich sehr. Es macht mich ganz irre und ich sehe den Grund dafür in unserem ungläubigen Herzen. Vor allem sind „eigene Lebensregeln“ Ausdruck eines ungläubigen Herzens. Wer braucht schon Christus, wenn es eigentlich auch so ganz gut klappt. Johannes Calvin drückt es in seiner Institutio (Buch 1, Kap.1, Absatz 2) so aus:

„Denn uns ist ja ein mächtiger Hochmut geradezu angeboren, und darum kommen wir uns stets durchaus untadelig, weise und heilig vor, wenn uns nicht handgreifliche Beweise unsere Ungerechtigkeit, Beflecktheit, Torheit und Unreinheit vor Augen halten und uns so überführen. Dazu kommt es aber gar nicht, wenn wir bloß auf uns selber sehen und nicht zugleich auf den Herrn; denn er ist doch die einzige Richtschnur, nach der solch ein Urteil (über uns selbst) erfolgen kann. Wir sind ja von Natur alle zur Heuchelei geneigt, und so befriedigt uns schon irgendein leerer Schein von Gerechtigkeit ebenso sehr, wie es die Gerechtigkeit selber nur könnte. Und weil unter uns und um uns rein nichts zu erblicken ist, das nicht mit schrecklichster Unreinigkeit befleckt wäre, so begeistert uns, solange wir über die Grenzen menschlicher Unreinheit nicht hinausblicken, schon das, was bloß ein bisschen weniger besudelt ist, weil wir es bereits für ganz reinhalten. (…) Lenken wir den Blick nicht über die Erde hinaus, so sind wir mit der eigenen Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend reichlich zufrieden und schmeicheln uns mächtig – es fehlte, dass wir uns für Halbgötter hielten! Aber wenn wir einmal anfangen, unsere Gedanken auf Gott emporzurichten, wenn wir bedenken, was er für ein Gott sei, wenn wir die strenge Vollkommenheit seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend erwägen, der wir doch gleichförmig sein sollten – so wird uns das, was uns zuvor unter dem trügerischen Gewand der Gerechtigkeit anglänzte, zur fürchterlichsten Ungerechtigkeit; was uns als Weisheit wundersam Eindruck machte, wird grausig als schlimmste Narrheit offenbar, was die Maske der Tugend an sich trug, wird als jämmerlichste Untüchtigkeit erfunden! So wenig kann vor Gottes Reinheit bestehen, was unter uns noch das Vollkommenste zu sein schien.“

 

Was wir also brauchen ist etwas mehr Gotteserkenntnis. Hätten wir diese, würden wir uns nicht mehr so mit halbgebackenen oberflächlichen Regeln zufriedengeben, die doch letztlich nur Augenwischerei sind. Die, wenn sie zu Erfolg führen, uns unbarmherzig werden lassen, da wir nur in eigener Selbstüberschtäzung reifen. Und, wenn wir versagen, uns ohne Hoffnung lassen, da sie uns in beiden Fällen nicht zu Christus führen.

Gott bewahre uns und gebe uns sein wahres Gebot und sein wahres Evangelium, damit wir seine Gnade in Gänze erblicken.

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