Zum Ende des Jahres ein „Brief an die Leser“ in eigener Sache:
Für mich ist es ein Hochgenuss über Glauben und Denken zu schreiben, ja es wird mir von Jahr zu Jahr zu einer wertvolleren Beschäftigung, gerade in Bezug auf die Selbstreflexion: Würde ich das heute noch sagen, was ich vor einigen Jahren niederschrieb? Was würde ich heute anders sagen und warum?
Zuerst die bedeutendste Änderung, die sicherlich vielen Lesern aufgefallen ist. Seit einigen Monaten hat glaubend.de eine neue Rubrik, mit dem Titel „Glauben und Frau sein“, die von Monika Peters betreut wird. Das ist eine Bereicherung für unseren Blog und geht in Richtung eines heimlichen Wunsches von mir, diese Seite zu einem Gemeinschaftsprojekt zu formen.
Vorstellung von Monika Peters
Ich bin Monika und lebe mit meinem Mann Tobias und unseren zwei Kindern in Ostfildern. Hier sind wir Mitglieder einer Gemeinde des Württembergischen Christusbunds. Durch das Lesen verschiedener englischer, christuszentrierter Bücher ist in mir der Wunsch gewachsen, diese wertvollen theologischen Inhalte ins Deutsche zu übersetzen und für andere Christen zugänglich zu machen. Besonders liegen mir dabei Mütter am Herzen.
Ich freue mich riesig, dass ich die Möglichkeit habe, in Zusammenarbeit mit Sergej die wunderbare Botschaft des Evangeliums zu verbreiten.
Welche Entwicklungen sollen uns nun für die nächste Zeit umtreiben? Die Kernziele werden von Artikel zu Artikel deutlicher und wir möchten sie nun explizit ausformulieren. Was treibt uns um?
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Für das Evangelium:
Ich bin bekümmert und besorgt über die geringe Rolle, die das Evangelium unter uns Christen spielt. Ich glaube nichts spricht dafür deutlicher, als dass man strikt zwischen „normalen“ und „evangelistischen“ Gottesdiensten trennt. Dazu kommt eine veränderte Botschaft: Statt „Jesus rettet“ klingt sehr vieles davon, was wir als Evangelium bezeichnen, schlicht nach „Versuche es noch härter, dich zu ändern“. Und ich befürchte, dass wir diese fehlerhaften Formulierungen auch glauben! Als könnten wir uns selbst retten! Als rette ich mich selbst durch „drei Schritte der Buße“ oder „fünf Methoden des Glaubens“ oder „den Wunsch sich zu verändern“. Als wären nicht bereits Buße, Glaube und ein veränderter Wille das Wirken des Heiligen Geistes. Das ist eben genau das Gegenteil vom biblischen Evangelium, dass „jene, die sich recht anstrengen“ oder „viel Gutes vornehmen“ oder „gut sind“, gerettet werden. Als hieße es nicht schlicht: “Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lukas 19,10).
Das Evangelium ist die Botschaft darüber, dass „die Rettung des Herrn ist“. Mein großer Wunsch ist, dass das tiefer und besser in unseren Artikeln zum Vorschein kommt und auch praktisch in unseren Leben sichtbar wird. Wäre es nicht schade, wenn wir zwar „viel von Gnade“ reden, aber schließlich in einem furchtbar unbarmherzigen Leben enden? Wo ist das deutlicher zu Wort gebracht worden, als in den Worten Jesu? „Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt“ (Mt. 12,7).
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Für ein bibeltreues Leben:
Wie sollen wir denn leben? Uns umtreibt diese Frage sehr. Wenn man schon etwas macht, will man es richtig machen. Ich kenne hier kaum einen Kampf, der härter ist als dieser. Es gibt zwei Möglichkeiten, echte „Bibeltreue“ herunterzuspielen. Die erste davon ist recht offensichtlich: Man spielt Gottes Gebote schlicht runter, sieht in Ihnen eine Art „optionale Empfehlungen“.
Aber ich glaube eine andere Gefahr ist hinterhältiger, nämlich die Vorstellung, dass „man eigentlich noch ein bisschen mehr, als bibeltreu sein könnte“. So als wären Gottes Gebote nicht schon perfekt so wie sie sind. Solche Angriffe auf echten biblischen Gehorsam erscheinen uns suspekt. Auch ein fromm verkleidetes Menschengebot bleibt doch nur ein Menschengebot! Ob das nun ein „Rasiergebot“ meint, ein sonstiges Gebot, oder die Überzeugung, dass man, weil man diese oder jene Regel beachtet, sicher viel weiter ist, als alle anderen Denominationen der Christenheit.
Wird nicht unsere Verachtung von Gottes Werk und Wirken gerade daran sichtbar, dass uns formelle Gewohnheiten wichtiger sind, als die Einheit der Christenheit. Wieso investieren wir in kulturelle Sitten mehr als in die Einheit der Gemeinde? Das ist nur ein kleiner Einblick darauf, wie herausfordernd ein Leben ist, das die Bibel zum Buch der Lebensmitte werden lässt. Mögen unsere Artikel den Lesern in diesem Kampf helfen.
Wie kann man das zusammenfassen? Die Denomination, der ich (Sergej) angehöre, trägt die Bezeichnung „Evangeliumschristen“. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr schätze ich diese Bezeichnung. Dass ist genau diese Art von Christ, von der ich mir wünsche, das wir es werden: Evangeliumschristen. Das wollen wir sein: Christen, die das Evangelium wertschätzen, kennen, anwenden, verkündigen.
Was bedeutet diese allgemeinen Ziele praktisch?
Monikas übersetzte Artikel legen den Schwerpunkt deutlich darauf, wie das Evangelium das Leben einer Frau und Mutter prägt und wie das ganz praktisch in den unzähligen Situationen des familiären Alltags aussieht. Hier entstehen wertvolle Artikel, die mit Gottes Hilfe viel Frucht bringen werden
Ich (Sergej) möchte vermehrt kurze Artikel darüberschreiben, wie Gottes Wort in mein Leben hineinspricht. Das Ziel wäre Artikel mit etwa 500 Wörtern Länge, wie auch einige der letzten Artikel bereits auf diese Art und Weise gestaltet wurden.
Was denkt ihr? Welche Themen treiben euch im Neuen Jahr rum? Worüber sollten wir mal einen Artikel schreiben? Schreibt uns eine mail an info@glaubend.de oder hinterlasst einen Kommentar.
Zu erst einmal möchte ich dem Autorenteam und ihren Angehörigen ein frohes neues Jahr und Gottes reichen Segen wünschen.
Auch viel Kraft und Weisheit für eure Beiträge hier.
Die beiden Kernziel sind sehr spannend. Wobei es hier auch ein paar Problemabfragen gibt.
Zu 1:
Das man sich nicht selber retten kann, ist wohl war.
Aber was heißt das zu Ende gedacht?
Wieso kann man sich nicht selber retten, aber eine Taufe, der man nicht willentlich zustimmt, ist nicht gültig (zumindest bei Baptisten). Hier zählt nur das man sich selber entscheidet…
Luther argumentiert in seinem Katechismus ganz ähnlich gegen die “Wiedertäufer”.
Freilich: manch einer könnte zwischen Rettung und Taufe differenzieren, letztendlich bleibt aber: der eigene Wille zählt.
(Das ich die taufe als Erwachsener durchaus präferiere, tut hier keiner nichts zur Sache. Befindlichkeiten sind keine Argumente)
Zu 2:
Rein praktisch sehe ich hier Probleme.
“Rasiergebote” zb mögen für manche zwar als lächerlich erscheinen. Erfahrungsgemäß können sie bei der Auswahl des nächsten Predigers entscheidender sein als Glaube, Theologie und Qualifikation des Predigers. Mose dürfte vermutlich (3.Mose 19, 27 macht einen Bart bei ihm wahrscheinlich) in manchen Gemeinden nicht zu weit vorne sitzen.
Das bloße Argumentieren gegen solche Regeln kann durchaus als Spalterei, widerspenstiger Geist usw gedeutet werden. Die Verantwortlichen werden sich ja schließlich etwas dabei gedacht haben…
Und da anscheinend für manche auch die Familie eines “Haters” nicht koscher sein kann, nutze ich ein Speudonym…
Umso beachtlicher sind diejenigen, die sich Kritik erlauben.
Ich kann nur meine Wünsche nach Kraft, Weisheit und vor allem Gottes Segen für euch, wiederholen.
Zu deinen Fragen:
Was mich in letzter Zeit interessiert sind unter anderem eine Beschäftigung mit dem Judentum. Wie sehen Sie Jesus bzw das Christentum? Was sind Ihre Gründe? Auslöser war Chaim Cohns Buch “Der Prozess Jesu”.
Auch die Deuterokanonischen Schriften will ich mal angucken.
Liebe Grüße euch noch
Spinoza
Danke für diesen ausführlichen Kommentar.
Die Beziehung von Judentum zum Christentum ist für mich eine der spannendsten Fragen überhaupt. Ich nerve meine Mitmenschen gerne mit der Frage ob ein alttestamentlicher Glaube auch heute ausreichend zum Heil wäre. Aus diesem strömen unendlich viele andere Punkte, z.b. der, dass nicht die Ablehnung der Dreieinigkeit, sondern die Ablehnung Christi (und seines Werkes) der entscheidende Punkt zwischen “Christen” und Juden wurde (wenn ich mir so die Argumentation des Hebräerbriefes und des Römerbriefes anschaue). Um was handelt Cohns Buch?
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Was die Offenheit der Kritik angeht: Ich habe schon so oft erlebt, dass Feinde auf geradezu wunderbare Weise “blind” wurden, dass ich sehe, dass hier all mein Geschick in Gottes Hand liegt. Meine Versuchung ist im wesentlichen zu “geschickte Strategien” zu greifen und doch “mit Berechnung zu handeln”. Manchmal sehr verlockend, aber gottesfürchtiger erscheint es mir doch, “strategisch unklug zu handeln”, dafür aber wahrhaftiger. Zu oft habe ich erlebt, dass die Menschen ihre Seele für ein bisschen Profit verkauft haben (um mich drastisch auszudrücken), aber was bleibt einem Menschen noch, wenn er sich selbst verliert? Was hülfe es ihm dann, dass er gar die ganze Welt gewöhne! Aber so viel kann man auch nicht verlieren, außer etwas Reputation, die natürlich zu etwas peinlichen und unangenehmen, auch beschämenden Momenten führt, aber sonst bisher nicht mehr gekostet hat.
Ich gebe dir aber recht, dass man, da “der Vater” (oder die Mutter) unerreichbar ist, sich an den Kindern rächt. Das habe ich schon oft, zwar nicht im Falle von uns, aber bei anderen beobachtet.
By the way, ist das nur meine Meinung und keine Andeutung oder so etwas, dass du mit deinem Klarnamen auftreten solltest, ein Blog rein unter einem Pseudonym freilich dürfte kaum funktionieren.
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Zu deinen zwei Fragen:
a) was das Argumentieren gegen die Regeln angeht. Ich denke, du nennst die Antwort mit deinem Beispiel selbst. Es ist eben keine “Kleinigkeit” ob man ein Rasiergebot aufstellt. Gerade “die Regelaufsteller” argumentieren gerne so. “So eine Kleinigkeit, sich zu rasieren/…please fill in a rule… und du bist ungehorsam!”. Aber wenn es eine Kleinigkeit ist, warum ist sie derart entscheidend, dass sie selbst die theologische Ausrichtung nachfolgender Generationen mitprägt. – Der Vorwurf des Ungehorsams wiegt für mich schwer. Die Bibel fährt FÜR den Gehorsam die stärksten Geschütze auf. Dennoch findet eine unzulässige Vermischung statt. dieser Absolute Gehorsam bezieht sich auf die Gebote Gottes, nicht auf “Nettigkeiten”. Ich sehe noch nicht ganz eindeutig in dieser Frage, dass ich jede Kritik (intellektuell sättigend) widerlegen könnte, aber ausreichend genug, dass ein Ungehorsam gegenüber solchen Regeln möglich sein kann. (ich denke nicht, dass er verpflichtend ist, sowieso scheint es hier unterschiedliche Verfeinerungen zu geben, auch Christi Wort “was sie euch sagen, das tut, aber wie sie handeln, handelt nicht” ist für mich persönlich hilfreich: Eine Sache ist, ob ich eine Regel befolge, aber eine andere, ob ich sie von anderen verlange. Ich habe das persönlich bei den Corona-Regeln beachtet. Ich selber habe diese recht penibel befolgt (was mir sogar etwas peinlich ist, rückblickend), aber nicht dafür eingesetzt, dass andere, sie halten sollen).
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b) zu der Vorauseilenden Gnade VOR dem Glauben. Natürlich glaube ich auch daran. In absoluter Kürze: Ich denke nicht, dass man die vorauseilende Gnade nur glauben/bekennen kann, wenn man auch Säuglinge tauft. Da sehe ich vor allem in der presbyterianischen Literatur ein zu starkes Argumentieren in diese Richtung: Weil Gnade vorausläuft, deswegen taufen wir unsere Kinder. Mir erscheint dieses Argument, nicht so “deep” zu sein. Aus drei Gründen:
b)1.: Wie gesagt, auch als Baptist kann ich an die vorauseilende Gnade glauben. Letztlich würde ich in meiner Taufe ja auch nur die bereits geschehene Rettung bekennen.
b).2.: Die Taufe vor dem Glauben ist nicht eine notwendige Bedingung für dieses Model.
b) 3.: Es ist auch umgekehrt nicht so, dass alle die die Kindertaufe praktizieren, wirklich alle an die vorauseilende Gnade glauben. Katholiken gehen so weit, in der Taufe gar die Wiedergeburt (somit auch diese gegen den eigenen Willen zu sehen) und sind doch nicht Monergisten (zumindest nicht so eindeutig). Und in ähnlicher Weise wäre das ja auch in den östlichen Kirchen.
Ich habe nach meiner Antwort deinen Einwand zu diesem Punkt noch einmal gesehen, und womöglich wolltest du in dieser Sache auf etwas anderes hinaus, nämlich um unseren Anteil an der Errettung. In diesem Fall verstehe ich das so:
– Vom freien Willen und der erfüllten Selbstbestimmung als Ideal der Errettung des Menschen halte ich nicht viel. Für mich klingt das meiste, was dazu geäußert wird, eher bizarr, denn die Bibel lehrt uns nicht Selbsterfüllung, sondern Selbstverleugnung, gerade Christus lehrte das seine Jünger so intensiv! – Aber ich gestehe, dass man da oft über Worte streitet, wenn jemand unbedingt den Willen des Menschen braucht, sei’s drum (by the way, auch das wird ja gerade uns Baptisten oft angekreidet, als hätten wir diese Selbstbestimmung und Individualismus erfunden, aber das wäre ein Thema für einen eigenen Artikel) . Dennoch klingt die Kritik am Model der Selbsterfüllung/Selbstbewertung/Selbstverbesserung etc.. für manche Ohren so, als wäre ein Teil des Menschen, nämlich sein Wille von der Errettung ausgenommen. Aber natürlich rettet Gott den ganzen Menschen und somit auch seinen Willen. Aus dieser Perspektive MUSS sich der ganze Wille des Menschen retten lassen. Deswegen ist es natürlich notwendig, dass der Mensch zu hundert Prozent an seiner Errettung mitwirkt. Aber nicht dieses Mitwirken rettet ihn, denn es ist auch nicht zu einem hundertstel Prozent Fundament oder Grundlage seines Heils, sondern einzig das Werk Christi. Das ist der evangelische Glaube.