Sich “Anstoß zu nehmen” ist weltlich!

Unsere Zeit lebt von Empörung und Anstoß.

Eine Auswahl aus den täglichen Nachrichtenmeldungen bestätigt das schnell:  Passend zum 6. Januar ist es schwarze Schminke, die verletzend für schwarze Menschen ist.  Katholisch.de berichtet gar über einen konservativen Kulturkampf auf dem Rücken der Sternsinger, denn alle ausüben, die das nicht verstehen. Neulich wurde Tetris in der NES-Version zum ersten Mal durchgespielt, von einem 13 jährigen Gamer. Die Frage der Moderatorin, ob der junge Mann nicht auch mal an die Luft sollte, erntet “Shitstorm”. Und Harvard hatte zwar nun schon eine schwarze Frau als Direktorin (keinen alten weißen Mann). Dennoch schützte es sie nicht, sich antisemitisch zu äußern  und zu plagiieren. Aber auch sie empört sich jetzt an der Empörung über sich.  Das Stichwort ist schon wieder alt, aber hier sei es genannt: “woke”.

Wir sehen: Sich zu empören ist hip, ist cool, ist in. Wer sich häufig genug empört, gehört zur moralischen Sorte. Empörung ist der Ausdruck moderner Überlegenheit über die Menschen. Sehr geschickt ist dabei auch die Empörung über die “Überlegenheitsgefühle” anderer. Man fühlt sich überlegener, weil man andere nicht für so überlegen hält, wie sie es tun.  (Hier eine nette Reportage).

Was mich als Christen irritiert: Wo bleiben die ganzen konservativen Prediger, die immer von der Gefahr von Zeitgeist und weltlichen Einflüssen sprechen an dieser Stelle? Wieso befeuern so viele, gerade erzkonservative Evangelikale genau diesen Geist “der Empörung” unter den Christen.

Natürlich nennt man es unter Christen nicht “Empörung” und “Wokeness” . Die sehr ähnliche Handlung trägt den Namen “Anstoß”. “Ich nehme mir Anstoß an…”. Wie oft ich diesen Satz gehört habe. Neulich erklärte mir ein kirchlicher Mitarbeiter, dass man keine Einladungen zum Erntedankfest drucken könne, da sich daran “einige Anstoß nehmen könnten”. Das führt die Liste der besten “ich nehme mir daran Anstoß”-Erklärungen beinahe an, aber gerade vor kurzem meinte jemand, er kann keine Predigten anhören, die von einer Frau vorgelesen werden. “Sich Anstoß” zu nehmen, gilt dabei immer als gut und richtig und wird immer berücksichtigt, da wir ja als Christen immer Rücksicht nehmen. Als Jesus seinen Heimatort besucht (Mt. 13,57) da geschah es: sie ärgerten sich an ihm. Und natürlich war Jesus wahrscheinlich auch “woke” und nahm Rücksicht und entschuldigte sich an den Befindlichkeiten? Den schließlich musste er ja auf jeden Anstoß Rücksicht nehmen? Ist es das, was in euren Bibeln steht?

Lobt Jesus die Pharisäer dafür, dass sie sich an seinem Umgang mit Sündern und Huren stoßen?

Ich fürchte, ich muss vielen, die sich ständig an allem Anstoß nehmen, sagen, dass sie auch aufhören sollten, ihre Bibel zu lesen. Denn da stehen furchtbar viele anstößige Dinge drin! Schütze doch deine Frömmigkeit und lese keine Bibel, mein Lieber!

Reagiert Jesus Rücksicht nehmend, als seine Verwandten ihn suchen (Mk. 6,3. es heißt gezielt: “und sie ärgerten sich an ihm.”). Wer ständig an allem Anstoß nimmt, und sich deswegen für geistlich hält, muss auch von Jesus mal die Frage hören, die seine Jünger zu hören bekamen, als “Jesus ihnen zu viel wurde: “Nehmt ihr daran Anstoß?” (Joh. 6,61).

“Nehmt ihr daran Anstoß?”. Das ist eine gute Frage, die man sich immer stellen sollte, wenn man merkt, dass man sich Anstoß an den Frisuren oder den Bärten oder den Kleiderfarben oder der Wortwahl, oder am verwendeten Plastik, an der Beleuchtung, am Essen oder der verwendeten Bibelübersetzung seines Nächsten nimmt

Wir haben dieses Anstoß nehmen mit ernsten Minen derart verherrlicht, dass selbst die Pharisäer über uns staunen müssen. Denn sie waren schließlich bereit und in der Lage mit den Aposteln darüber zu streiten, was ihnen sehr anstößig war: Nämlich die Missionsarbeit von Paulus und Co. unter den Heiden. Und offensichtlich fügten sie sich sogar dem Beschluss der Apostel (vgl. Apg. 15, genauer 15,V.1 + 4!) bis immerhin die Zeit als Paulus erneut nach Jerusalem zurückkehrt und die Legalisten es endgültig nicht mehr in der Gemeinde aushalten konnten (vgl. Apg. 21, genauer V.20-22).

Natürlich wird  das Anstoß nehmen im gemeindlichen Kontext auch von anderen Fragen tangiert. Da gibt es zum einen zu wenig Kenntnisse der Schrift, so dass man nicht zwischen dem
“Anstoßnehmen”, wie es in Röm.14 betrachtet wird und dem Ungläubigen Ärgernis unterscheidet. Oft ist der Verweis auf den “Anstoß der anderen” auch einfach eine Machtbegründung, da “weil ich es sage, deshalb” nicht so zieht. In beiden Fällen ist es auf jeden Fall so, dass mehr Schriftkenntnis uns helfen würden, nicht ständig diese Karte zu ziehen.

Aber das beides so stark verbreitet ist, und zwar über die Denominationen hinweg, zeigt mir, dass wir alle vom Zeitgeist infiziert sind. Das liegt schließlich nah: Die Liebe zur Welt ist eine Versuchung, also hat es etwas sehr verlockendes dieser Augen und Fleischeslust nachzugeben: Was ist es? Können wir es lokalisieren, was unserem Fleisch “am Anstoß” gefällt? Es ist der einfache und leichte Weg zur Glückseligkeit! Anstatt Christus nachzufolgen, kann ich mit einem Ausruf der Empörung “gut” werden. Das ist die Verlockung an dieser Stelle! Ich erhebe mich zum Richter, ich werde wie Gott, der über die Frömmigkeit meiner Nächsten urteilt und das mit einer Gewissheit, die faszinierend ist. Neulich meinte jemand, der vertrat, dass “der Männer-Bart etwas anstößiges ist” doch ernsthaft, dass niemand einen Bart wachsen lassen könne, ohne dabei weltliche Motive zu haben! Und die Empörung ist perfekt! Auch bei mir! Tim Keller meinte einst, dass es keinen schnelleren Weg gibt, um ein Pharisäer zu werden, als Pharisäer zu hassen. Und er hatte recht: Da empört sich einer über die Bartträger und ich empöre mich über die, die sich über Bartträger empören. Der Anstoß an den Anstoßnehmenden ist sicherlich immer noch der am weiten Verbreitetste. Und ich hoffe, dass dieser Artikel nicht genau dazu führt.

Besser ist die Frage Jesu: “Nehmt ihr daran Anstoß?”

Fragen, die auch mich beschäftigen: Was ärgert mich im Jahr 2024? Woran nehme ich mir “Anstoß”? Kleide ich mein Murren, meine Unzufriedenheit fromm ein oder meinen Hochmut? In wie weit ist mein “Ärger” weltlicher Art?

 

 

5 Kommentare

  1. Hallo Sergej, nette Ausführung mit folgender zurückbleibender Frage: Was ist die Konsequenz? Vollständige Toleranz? Das wäre aber ganz gewiss nicht Jesu Art… Ich möchte mal Augustinus zitieren: “Einigkeit in großen Fragen, Gleichgültigkeit in kleinen Fragen, aber in allem die Liebe” (Ist zwar für die Ehe gedacht passt aber auch ganz gut zu Gemeindefragen)

    1. Hallo Rudolf, danke für deinen Kommentar. Jeder Kommentar ist immer eine Ermutigung für mich und ich freue mich über jeden, der meine Artikel liest.
      Also die Frage die du stellst, nämlich “wie man auf anstößiges Verhalten reagiert” (wenn ich sie so ausdrücken darf) ist natürlich nicht der Scope meines Artikels. Der Scope war es zu zeigen, dass “empfindliches an allem stoßen” eigentlich typisch “weltliches Verhalten ist”, das habe ich versucht auf zwei Pfaden zu zeigen, zunächst durch Analogie ( Sternensinger, Harvard-Dozentin) und, theologisch wichtiger das Argument, das “Anstoß nehmen” (häufig) von der Ursünde der Weltliebe schlechthin, nämlich vom Stolz getrieben ist.

      Um deine Frage zu beantworten (das Zitat ist übrigens nicht von Augustinus, siehe hier : https://www.ligonier.org/learn/articles/essentials-unity-non-essentials-liberty-all-things), ich glaube nicht, dass diese Sache wirklich zur Lösung führt, denn das ist doch genau der Punkt, dass z.B. für den Kommentator schwarz angemalte Kinder eine üble Form von Rassismus ist. Der Kommentator erwartet in so einer großen Frage Einigkeit, gerade meine Gleichgültigkeit, dass mir diese Frage klein ist, ist doch der Ursprung des Ärgernisses.

      Das Problem mit dem “Bart” ist ähnlich gelagert: Den Menschen, die hinter dem Rasiergebot stehen, ist dieser Punkt wichtig, so wichtig, dass sie meist selbst Rückfragen dazu oder Bitten um Erklärungen oder überhaupt schon das Ansprechen des Themas bereits als bedenkliche Provokation empfinden. Ich verwerfe das Rasiergebot als unbiblisch UND gerade, dass man diese Sache für wichtig hält, halte ich für ein entscheidendes Problem an der Sache. Dabei bekenne ich vor Gott, dass ich nicht in rebellischer Absicht dieses Problem anspreche, sondern aus Liebe zu meiner Gemeinde. (Natürlich bin ich dankbar über eine derart geeignete Steilvorlage wie das Rasiergebot, da es sich einfach wunderbar als Anschauungsbeispiel eignet, aber das sollte nicht hinwegtäuschen, dass sich zu stoßen überall gang und gäbe ist und häufig gerade als “chirstliche Tugend” gilt, gerade in “hippen und coolen” Kirchen. ).

      Bei den Korinthern gab es Menschen, die zu Prostituirten gingen und überhaupt sexuelle Ethik war eher unten. Paulus muss sie deutlich zurechtweisen. Jedoch nicht zu “mehr empfindsamkeit”, sondern dazu, ein klareres Bild davon zu entwickeln was Sünde ist, und was heilig ist. Das entschieden auszuleben, zu erkennen, zu bewerten, genau daran, also an geistlicher Reife arbeitet Paulus. Geistliche Reife ist ja genau das Gegenteil von “empfindsamer Anstoßnehmerei”.

      Ich hoffe, die Antwort ist ein bisschen hilfreich.

      Grüße

      1. Danke für deine schnelle Antwort. Ich wollte darauf hinaus das nur das Heilsnotwendige als groß zu betrachten ist und der Rest dementsprechend klein. Zum Beispiel “Bart” habe ich dir aber eine interessanten Blickwinkel aus Kirgistan. Kein Bart ist ok und Vollbart ist ok, “5 Tage” Bart gilt als unordentlich und ist dementsprechend nicht ok. Meine Schlussfolgerung: Immer auch die Zeit, Region und Kultur mitdenken. Ergo: Kleinigkeit.
        P.S.: Ärgernis/ Streit: groß…

  2. Danke Sergej für diesen Artiel. Als “überzeugter” Bartträger und ehemaliger “Langhaarträger” kann ich die Empörung (negativer Narzissmus) die einem entgegenschlägt sehr gut nachvollziehen. Es in Kreisen, in denen Wert auf solche Kleinigkeiten gelegt wird nicht immer so, dass deswegen die wichtigen Sachen (alles was heilsnotwendig ist) vernachlässigt werden. Aber die Gefahr der Überbetonung von Kleinigkeiten ist gegeben. Überall wie mir scheint.
    Ich versuche es einerseits mit Paulus zu halten wenn er sagt: “Prüft alles, das Gute behaltet”. Hier gibt es natürlich die, die sagen, dass sich das nur auf Prophetie bezieht. Ich fasse das aber als generelle Richtlinie auf. Denn als “gut” deute ich hier das, was sich mit der Bibel deckt. Wozu die Bibel nichts sagt, dazu kann ich mir nicht anmassen, etwas zu sagen, ausser meiner persönlichen Meinung, die dann auch als solche erkennbar sein sollte, um die Diskussion nicht in verhärtete Fronten ausarten zu lassen.

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