Christus im AT(4): Joseph erinnert mich an Jesus

“Es gibt mehr als hundert Bezüge zwischen dem Leben Josephs und dem des Herrn Jesus, so ist es kein Wunder, wenn sich unsere Herzen zu ihm hingezogen fühlen. Die Bibel sagt nirgends, er sei ein Abbild Christi, doch sind die Ähnlichkeiten unübersehbar. Wir können seine Geschichte nicht lesen, ohne an den Retter der Welt zu denken. Joseph lebte 2000 Jahre vor Jesus, und Menschen, die sich natürlich nicht absprechen konnten, schrieben die Biografien beider, trotzdem besteht eine frappierende Vergleichbarkeit” (William MacDonald in Joseph erinnert mich an Jesus)

MacDonald geht in seinem Kurzen Werk dieser Ähnlichkeit Schritt für Schritt nach. Obwohl einige Parallelen der Tat etwas konstruiert zu sein scheinen (z.B. “Vom Vater gesandt” wurde Christus auf die Erde und Joseph zu seinen Brüdern (S.16). Später erinnert das “Hirtenamt” Josephs MacDonald an Christus den guten Hirten (S.18).), lassen sich bestimmte Parallelen kaum übersehen. So wird Joseph von seinem Volk verraten und für eine sehr ähnliche Summe wie Christus verkauft. Die Joseph-Erzählung ist eine Erzählung des Heils, die selbst Dichter wie Thomas Mann faszinierte. Geradezu lässig berichtet uns das erste Buch Mose, wie Gott ein Verbrechen und einen Verrat nutzt, um Heil für sein Volk zu schaffen und seinen Verheißungen weiter voran zu bringen. Ob Joseph nun bereit ist oder nicht. Dass sich das so ähnlich auch in Christi Leben wiederholen wird, erwartet man als Leser geradezu.

Trotz der sorgfältigen Aufbereitung der Parallelen zwischen Joseph und Jesus Christus, habe ich immer noch etwas Vorbehalte gegen die Art der Darstellung, die MacDonald wählt. Ich hoffe, ich kann das an dieser Stelle klar schildern:

Zunächst einmal, bin ich kein Joseph, auch die meisten (wenn nicht alle) meiner Leser werden nicht als Hirten in eine Grube geschmissen und von ihren Verwandten als Sklaven verkauft. Das Dilemma geht jedoch noch weiter: Es könnte sein, dass ich in meinen Versuchungen, nicht “josephsche Qualitäten” entwickele. Schön, dass Joseph seinen Hass kontrollieren und seinen Brüdern vergeben kann, ich kann es vielleicht nicht. Schön, dass Joseph ein feiner keuscher Kerl ist, ich kann der Versuchung nicht widerstehen. Schön, dass Gott mit ihm ist und ihm alles gelingt, bei mir aber geht alles schief und eigentlich habe ich eh immer zwei linke Hände gehabt… Kurz: Wir landen in einer zermürbenden Gesetzlichkeit, wenn die Geschichte Josephs nur eine einzige Ermahnung bleibt, “es einfach härter zu versuchen”. Ich habe an anderen Stellen bereits ausführlich versucht, aufzuzeigen, dass die Botschaft des Evangeliums, auch des Evangeliums, wie es sich im AT offenbart, nicht diese ist: “Es das nächste Mal einfach härter zu wollen/probieren”. Lesen wir die Joseph-Erzählungen so, wartet eigentlich nur Verzweiflung an der nächsten Tür auf uns. Was geschieht? Aus einer Erzählung des Heils wird plötzlich eine Moralgeschichte.

Vielleicht könnte etwas mehr Ehrlichkeit uns helfen: Eigentlich kann ich mich mit den Brüdern Josephs deutlich besser identifizieren. Die sind so herrlich erlösungsbedürftig. Wechselt diese Perspektive, wird aus einer Moralgeschichte (man denke an die zahlreichen Sonntagsschul-Varianten) eine Erzählung des Heils. Plötzlich erfahren verdorbene Menschen unerwartetes Heil. Ausgebrühten Betrügern wird Gnade zuteil, weil Gott seinem Wort treu bleibt. Letzten Endes bleibt auch Joseph immer nur ein Antityp für Christus. Sein ganzes Leben bezeugt: Ich bin nicht die endgültige Lösung. Ich bin nicht die Erfüllung der Verheißung in 1 Mo 3,15.

Im neunten Band der Wilhelm-Busch-Bibliothek “Spuren zum Kreuz” finden sich zwei Predigten von Wilhelm Busch, die diese Analogie zwischen Joseph und Christus näher untersuchen. Ich denke, Busch ging in der Erklärung der Analogien zwischen Joseph und Jesus besser als MacDonald vor. Busch schreibt:

“Ich sehe im Geiste die Szene vor mir, wie die Brüder um die Zisterne stehen und voll Verachtung auf ihren Bruder hinabblicken, den sie einmütig verurteilt haben. Man greift sich an den Kopf: Wenn jemand in diese Grube gehörte, dann waren es die Brüder. Und wenn einer Richter sein konnte, dann war es Joseph. Die rollen waren geradezu sinnlos vertauscht. Und nun lasst uns unter Jesu ‘Kreuz treten. Denn niemals wieder in der Welt werden so unglaublich die Rollen vertauscht wie dort. Jesus, dem der Vater alles Gericht übergeben hat, ist verurteilt. Und wir, die Verurteilten, stehen um das Kreuz her. (S. 77)”

“Wie Joseph den Hungernden Brot gab, so reicht der gekreuzigte Jesus Brot des Lebens den hungernden Gewissen dar. Denn schlimmer als alle äußre Hungersnot ist ja die Not der Seelen, die schuldbeladen ewig verloren gehen, der Herzen, die keine Frieden mit Gott haben. O, kommt zum Kreuz Jesu! Hier ist alles bereit, wonach eure Seele hungert. (S. 86)”

Der rote Faden für meine Christologie des AT ist die Entwicklung der Verheißungen Gottes, die mit 1. Mo 3,15 anfangen und im Leben, Sterben und Auferstehen Christi ihren Höhepunkt finden und schließlich am Tag des Herrn einen ewigen Abschluss. Ich denke in der “Joseph-Affäre” entwickelt die Bibel zum ersten Mal in besonders tiefer Weise den Gedanken, dass Gott das Böse der Menschen nutzt, um Heil zu wirken. Joseph bekennt selber:

Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. (1 Mo, 50,20)

Im nächsten Teil dieser Serie, wollen wir diesen Gedanken der Geschichten des Heils weiter vertiefen. Dafür betrachten wir vor allem das Leben der Richter. Damit werden wir zwar zunächst einen beachtlichen Teil Erlösungsgeschichte Israels überspringen. Zu den Erlebnissen des Volkes Israel in der Wüste kehren wir erst später wieder zurück.


Bisher in dieser Reihe erschienen:

  1. Vorüberlegungen: Rechtfertigt das NT überhaupt, dass man Christus im AT entdeckt?
  2. Ausgangspunkt und Quelle: Die Verheißung einer ultimativen Heilung in Gen.3,15
  3. Die Verheißung bricht sich Bahn: Gottes vertiefte Beziehung mit Abraham und seinen Nachkommen. Der Bund stützt sich auf Gottes Treue gegenüber seinen Verheißungen.

Weitere Überzeugungsarbeit…

Ich habe lange Zeit Mühe gehabt, die Geschichten des AT als Geschichten des Heils zu sehen. An dieser Stelle bin ich der reformierten Theologie besonders dankbar, die uns lehrt, hier nicht nur Moral-Geschichten zu sehen. Entsprechend bin ich über einen Hinweis von Timothy Keller gestoßen. Es geht zwar nicht über Joseph, aber ich denke, dass sich die Argumentation leicht übertragen lässt. Wenn wir Erzählungen des Heils als Erzählungen des Heils verstehen, lesen wir die Bibel nicht nur treuer und gläubiger, wir erfahren auch die befreiende Botschaft dieser Erzählungen.

“David war der Held meiner Bubenträume (…)! Unvergesslich die Szenen, in denen er mutig und ohne zurückzuweichen dem Riesen entgegentrat und ihn mit einem Steinwurf niederstreckte! So wollte ich auch sein…
Doch geht es in dieser Geschichte wirklich um mich? Oder geht es um Jesus? In anderen Worten, geht es in der Bibel grundsätzlich darum, was ich tun muss, oder darum, was er gemacht hat? Wenn ich mich mit David identifiziere und mir ein Beispiel an ihm nehme, dann ist diese Geschichte eine Ermahnung, dass ich den Glauben und den Mut aufzubringen habe, um die Riesen in meinem Leben zu bekämpfen!

ABER wenn ich akzeptiere, dass sich die Bibel im Grunde um unseren Herrn und seine Erlösung dreht, und ich die Geschichte von David und Goliath in diesem Licht lese, stellt er eine Menge anderer Erkenntnisse ins Licht. Der entscheidende Punkt ist nämlich, dass die Israeliten nicht in der Lage waren, dem Riesen selber entgegenzutreten. Sie brauchten einen Helden, der an ihrer Stelle kämpfe würde, einen Stellvertreter, der an ihrer Stelle der tödlichen Gefahr entgegentreten würde! Und der Stellvertreter, den Gott zur Verfügung stellte, war nicht ein starker Krieger sondern ein schwacher Jüngling, der nicht einmal eine Rüstung zu tragen vermochte. Gott gebrauchte exakt diese Schwachheit, um den höhnenden, sich selbst überschätzenden Goliath zu Fall zu bringen. David triumphiert durch seine Schwachheit und sein Sieg wird seinen Leuten zugerechnet. Und so macht es Jesus. Es ist durch sein Leiden, Schwachheit und Tod, dass die Sünde besiegt wird. Jesus ist der ultimative Held, unser wahrer Champion, der sein Leben nicht nur riskierte, sondern es für uns hingab. Und jetzt ist dieser Sieg auch unser Sieg, und alles was er erreicht hat, wird auch uns zugerechnet. (Timothy Keller: Center Church S. 78 f.)”

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