Es wird häufig gemeint, dass Monergismus kein Konzept ist, das vor Augustin vertreten wurde. Das Argument geht in etwa so: “Reformierte Theologie kann gar nicht stimmen, denn die Kirchenväter haben diese schließlich nicht vertreten.” Nun könnte man gegen diesen Einwand vieles einbringen. Zunächst einmal, ist die Schrift und nicht die Urkirche unsere Leitinstanz. Zudem hätten auch baptistische Christen (also gerade die, die obiges Argument gerne verwenden) Schwierigkeiten, auf diese Weise auch bezüglich der Taufe zu argumentieren. Man könnte auch, was in der Tat gravierender ist, einwenden dass dem Evangelikalen des 21ten Jahrhunderts die Kirchenväter völlig schnuppe sind. Zumindest kenne ich persönlich keinen einzigen Menschen, der jemals ernsthaft Ambrosius oder Athanasius oder Cyprian gelesen hat. Kommt man zur Frage der Erwählung, findet man aber plötzlich überall Experten der frühen Kirchengeschichte.
Doch ehrlich gesagt, würde meine Kritik tiefer gehen. Denn an ein Ereignis, das schon einige Zeit her ist, kann ich mich noch so gut erinnern, als wäre es gestern gewesen. Damit meine ich meine erste Begegnung mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis. Ich habe erst Jahre nach meiner Bekehrung zu Christus überhaupt etwas von einem Apostolischen Glaubensbekenntnis gehört. Umso spürbarer war möglicherweise dadurch die Reibung. Ich kann noch heute dieses seltsame Gefühl spüren, als ich es zum ersten Mal gelesen habe (Der Text des Apostolikums findet sich auch auf meinem Blog). Ich war sofort mit dem Text einverstanden (welcher Christ wird schon die Dreieinigkeit ablehnen?), aber dennoch irritierte mich etwas, was mir rückblickend zunehmend wichtig wird. Mir wurde sofort klar, dass ein Glaubensbekenntnis, welches ich selbst verfasst hätte, einen wesentlich anderen Schwerpunkt besessen hätte. Ich hätte über die Bedeutung der Bekehrung geschrieben, über die Notwendigkeit der Wiedergeburt und schließlich auch über ein Heiliges Leben. Ehrlich gesagt, mein Glaubensbekenntnis wäre fast gänzlich ohne Gotteslehre ausgekommen. Spannend finde ich, dass die Urkirche hier einen ganz anderen Weg wählt, indem sie die ganze Ehre Gott gibt und das Zentrum ihres Glaubens wirklich in Gott sieht. Das Apostolikum macht klar, Christlicher Glaube macht nur Sinn, wenn er sich völlig um den Dreieinigen Gott dreht. Der Glaube der Kirche hängt und klammert sich an Gott. Die Themen sind klar: Gott der Vater erschafft alles, Gott der Sohn erwirkt das Heil und Gott der Heilige Geist bringt das Werk zur Vollendung/Erfüllung. Faszinierend! Dieser Dreiklang beeinflusst bis heute die biblische Systematik! Übrigens: Kann es vielleicht sein, dass das Apostolikum in der Tat gerade deswegen im Evangelikalismus kaum bekannt ist, weil wir mit dieser Theozentrik nichts mehr anfangen können?
Die hier geschilderten Gedanken beschäftigen mich schon lange und ich habe lange gedacht, dass diese Argumentation zu wagemutig ist. Das Apostolikum zur Verteidigung reformatorischer Theologie heranzuziehen, welche Frechheit! Aber in der Tat bewahrheitete sich das, was ich vermutet hatte: Natürlich bin ich bei weitem nicht der Einzige und erst recht nicht der Erste, der dieses Loblied und Bekenntnis der Gottesabhängigkeit erkannte. Der Zeuge, den ich zur Verteidigung aufrufe, ist niemand geringeres als Martin Luther. In seinem Kleinen Katechismus hält er am dritten Artikel des Apostolikums fest (Mehr zu Luthers Ausführungen siehe hier):
Was ist das? Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten;
Natürlich: Gott ist es, der nicht nur alles erschafft, sondern durch seine Vorsehung erhält. Ähnlich auch Luthers Ausführungen zum ersten Artikel:
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; (…) mich reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohne all mein Verdienst und Würdigkeit;
Der zweite Artikel macht klar. Die Kirche glaubt und bekennt das, weil sich ihre Besitztümer geändert haben.
Lasst mich noch zwei abschließende Punkte anfügen:
1) Bereits Augustin wusste um Vorgänger und sah sich klar in kirchlicher Tradition (ansonsten macht auch seine “katholische” Sicht auf die Kirche überhaupt keinen Sinn). Er zitiert Ambrosius und Cyprian in “Die Gabe des Beharrens” mit “Wenn Christus gewollt hätte, hätte er aus Ungehorsamen Gehorsame gemacht. Aber Gott beruft diejenigen, die er würdigt, und macht gottesfürchtig wen er will.” (Zitiert ist Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam, I,10 und VII, gefunden bei Joh. Calvin: Von der ewigen Vorherbestimmung Gottes)
2) Durch das sehr interessante Kapitel “We Trust in the Saving Blood”, welches das Verständnis der Definitiven Sühne in der Urkirche untersucht, bin ich in dem Buch From Heaven He Came and Sought Her darauf gestoßen, dass bereits John Gill ca 1730 eine Unmenge an Aussagen der Kirchenväter zu den Themen Erwählung, Verwerfung, Effektiver Gnade, Totaler Verderbtheit und Bewahrung gesammelt hat. Das gigantische Werk trägt den Titel: The Cause of God and Truth. Wenn man bedenkt, dass hier die Zitate nur mit manuellen Mitteln zusammengetragen wurden, haben wir in Gill in der Tat einen Experten der Kirchenväter vor uns.
Fazit: Eine Untersuchung der Beweislage zeigt, dass der in der Einleitung genannte Einwand gegen den Monergismus nicht haltbar ist.