Biblische Lehre, Kirchengeschichte, Theologie

Warum ich Baptist bin

Ein Artikel von R. Albert Mohler Jr.,: „Why I am a Baptist.“ Erschienen in der Printausgabe von First Things, August 2020.  Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung  von First Things (download als .pdf).

Übersetzt von Viktor Zander. (Infos darüber, wie ihr Viktors Übersetzungsarbeit unterstützen könnt, findet ihr ganz unten)

Desiderius Erasmus hat einmal bei seinen Debatten mit Martin Luther, zunächst ungläubig und schließlich außer sich, den großen Reformer als Doctor Hyperbolicus bezeichnet. Laut Erasmus konnte Luther nicht anders, als jede Streitfrage auf die Spitze zu treiben. Wir können darüber nur phantasieren, was Erasmus über Baptisten gesagt hätte, die glauben, Luther habe seine Streitfrage nicht weit genug gedacht. Selbst der eloquente Erasmus wäre dann wohl sprachlos geworden.

Sicher, weder Erasmus noch Luther sind je einem Baptisten begegnet. Die Bewegung, die wir heute unter dem Namen Baptisten kennen, entstand auf dem Kontinent erst im sechzehnten und in England erst im siebzehnten Jahrhundert. Seitdem ist die Welt weniger still.

Jede große Bewegung beginnt wahrscheinlich mit irgendeiner Art von Streitfrage, so entstanden die Baptisten im Zusammenhang mit einer Streitfrage, die intensiv, bedeutend und manchmal tödlich war. Luther fing damit an. Die Calvinisten glaubten, er habe sie nicht weit genug gedacht. Die englischen Puritaner kamen ebenso zu der Überzeugung, dass die moderat reformierte Kirche Englands die Streitfrage nicht weit genug gedacht habe. Die Separatisten (aus Kongregationalisten und Presbyterianern bestehend) glaubten, dass die Puritaner, die in der Kirche Englands verblieben, sie nicht weit genug gedacht hätten. Die Baptisten separierten sich dann von den Separatisten, weil sie sie nicht weit genug dachten. Seitdem haben Baptisten nicht aufgehört zu streiten. Sie streiten oft unter-einander, aber viel dringlicher streiten sie für die Notwendigkeit der Bekehrung, für die aus Gläubigen bestehende Gemeinde, für die alleinige Taufe Gläubiger, und für die Gewissensfreiheit.

Die Baptisten behaupteten nicht, Christi Gemeinde wieder aufgerichtet zu haben, sondern sahen sich stattdessen als Fortführung des Reformationsprozesses der Kirche durch die Aufrichtung wahrhaftiger und Gott wohlgefälliger Versammlungen sichtbarer Heiliger an. Von diesen tritt jeder durch persönliches Bekennen des Glaubens an Jesus Christus als Erlöser und durch persönliche Hingabe, Christus in der Taufe und in treuer Jüngerschaft zu gehorchen, in die Bundesgemeinschaft der Versammlung ein.

Jene frühen Baptisten waren fest entschlossen, klarzustellen, dass sie vorbehaltlos die große Tradition klassischen Christentums bejahen. Sie wollten, dass die Welt um ihre Bejahung der zentralen Lehren des christlichen Glaubens weiß, wie sie zum Beispiel in der Nicäanisch-Chalcedonischen Überlieferung klar ersichtlich sind. 1679 übernahmen Baptisten in London das „Orthodoxe Glaubensbekenntnis“, das zur Absicht hatte, „alle wahren Protestanten in den fundamentalen Grundsätzen der christlichen Religion zu vereinen und zu bestätigen“. Was die Baptisten jedoch vereinte, war ihre Verwirrung über die Tatsache, dass andere Protestanten anscheinend zögerten, der Logik der Reformation bis zum Ende zu folgen. Welchen Wert haben die berühmten solas der Reformation, wenn die Bedeutung und die Notwendigkeit der Bekehrung so sehr verdunkelt und dadurch gerade das Wesen der Kirche so sehr durcheinander gebracht werden konnte?

Die Grundlage für Baptisten ist die radikale Realität der Bekehrung gleichbedeutend mit dem Beginn des Lebens als Christ. Ist das nicht die klare Lehre Christi selbst, der Nikodemus sagte: „Wundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden.“ (Joh 3,7)? Für Baptisten ist die Notwendigkeit der Bekehrung der Schlüssel zum Verständnis des Evangeliums und der ganzen Schrift. Die menschliche Rasse ist unterteilt in die, welche nicht an Christus glauben und jene, die es tun, in einfach Geborene und zweifach Geborene, in Rebellen gegen Gott und jene, die durch die Gnade Christi überwunden wurden und für immer und ewig ihm gehören.

Baptisten lehnen die Vorstellung ab, dass ein Mensch, der nicht wiedergeboren wurde, tatsächlich ein Gläubiger ist. Zweifellos wird das für jene, die das Evangelium und die Kirche ganz anders verstehen, alarmierend klingen. Für die Kirche Englands im siebzehnten Jahrhundert war das schockierend und alarmierend.

1646 definierten Baptistengemeinden in London den rettenden Glauben mit folgenden Worten:

Glaube ist die Gabe Gottes, durch den Geist Gottes hineingelegt in die Herzen der Erwählten; durch diesen Glauben können sie die Wahrheit der Schrift, ihre über alle anderen Schriften und alle Dinge in der Welt hinausragende Bedeutung erkennen und glauben, wenn sie die Herrlichkeit Gottes in seinen Merkmalen, die überragende Stellung Christi in seinem Wesen und seinen Ämtern, und die Kraft und Fülle des Geistes in seinem Wirken und Handeln hochhalten; und so werden sie befähigt, ihre Seelen auf diese solcherlei geglaubte Wahrheit zu werfen.

Solch rettender Glaube, so fuhren die Baptisten fort, „wird üblicherweise durch die Predigt des Evangeliums oder des Wortes Christi empfangen“. Wenn Sie wirkliche Baptisten vorfinden, dann werden Sie die Predigt des Evangeliums vorfinden – die Verkündigung der großartigen guten Nachricht, dass allen Rettung und Sündenvergebung verliehen wird, die das Wort Christi hören und glauben; die von ihren Werken ruhen, sich selbst der Erlösung würdig zu machen; und die allein durch das Verdienst Christi mittels der Gnade durch den Glauben die Barmherzigkeit Gottes empfangen.

Diese Verkündigung erklärt die von den Baptisten empfundene Dringlichkeit im Predigen des Evangeliums. Wenn Baptisten-Gemeinden zusammenkommen, wie es die Southern Baptists in den Vereinigten Staaten 1845 taten, dann gründen sie Missionswerke und organisieren Evangelisation, bevor sie irgendetwas anderes tun. Die Southern Baptists haben erst 1859 ein theologisches Seminar und erst 1891 ein Verlagshaus gegründet, aber ihr erstes Treffen haben sie nicht beendet, ohne Missionswerke zu gründen. Das wichtigste zuerst zu tun, bedeutet für Baptisten das Predigen des Evangeliums zur Buße von Sündern. Alles andere wird warten müssen.

Die Notwendigkeit der Bekehrung führte jedoch zu einem Konflikt mit dem vorherrschenden Verständnis des Wesens der Kirche, ganz besonders wenn dieses Verständnis mit katholischer oder anglikanischer Ekklesiologie in Übereinstimmung stand. Wie könnte die Kirche Christi aus Menschen bestehen, die nicht zu Christus gehören?

Die Definition der Kirche Christi als vollständig wiedergeboren ist vielleicht die radikalste aller baptistischen Lehren. Die Notwendigkeit der Bekehrung führt zur Bekräftigung der Gemeinde als die Körperschaft derer, die bekehrt sind, die das Evangelium gehört haben und gerettet wurden. Andere unter den Puritanern und Separatisten näherten sich dieser Bekräftigung, aber die Baptisten nahmen unversehens deren Argumente auseinander und bestanden darauf, dass es keine andere Vorstellung der Kirche Christi geben könne, als die, dass sie aus den zweimal geborenen, wiedergeborenen, an den Herrn Jesus Christus Gläubigen besteht, die individuell ihren Glauben an Christus bekannt und ihre Wiedergeburt durch Gehorsam gegenüber Christus und seinen Geboten gezeigt haben.

Mit dieser Bekräftigung verwandelten sich die Baptisten in wahrgenommene Feinde der etablierten Kirchen und der gesellschaftlichen Ordnung. Die Einheit von Thron und Altar machte aus Kirchenzugehörigkeit und Staatsangehörigkeit im Endeffekt dasselbe. Die Baptisten wurden der Irrlehre und des Verrats beschuldigt. Wie wir noch sehen werden, trennte die Logik der Baptisten politisch gesehen die Staatsangehörigkeit von der Mitgliedschaft in einer etablierten Kirche. Man könnte als Engländer geboren sein, aber man musste wiedergeboren werden, um ein Christ zu sein. Die Gemeinde besteht nur aus Christen unter der Herrschaft Christi.

Sowohl zivile als auch kirchliche Machthaber waren empört. Für Monarchen war die Bedrohung ganz real. Kann es eine stabile Ordnung (und einen sicheren Thron) für sie geben, wenn ihre Untertanen ihren Priestern nicht untertan sind? Kann die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten werden, wenn bürgerliches und kirchliches Recht komplett voneinander getrennt werden? Kann die Regierung wirkliche Autorität ausüben, wenn ihr einziges Druckmittel die Hinrichtung ist? Kann ein aus der Kirche ausgeschlossener Mensch ein guter Staatsbürger sein? Sind Ungläubige und noch-nicht-Gläubige überhaupt nicht Teil einer Kirche?

Die Baptisten beantworteten nach und nach alle diese Fragen mit einem Ja. Bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatten die Baptisten die Kirche sehr sorgfältig durchdacht und sie mit diesen Worten definiert:

Jesus Christus hat hier auf Erden ein geistliches Reich [bzw. eine Manifestation desselben], welches seine Kirche ist, die er erkauft und für sich selbst zum eigenen Erbe erlöst hat; diese Kirche ist eine Gemeinschaft sichtbarer Heiliger, aus der Welt herausgerufen und von ihr getrennt durch das Wort und den Geist Gottes, zum sichtbaren Bekenntnis des Glaubens des Evangeliums, in diesen Glauben hineingetauft und dem Herrn und zueinander hinzugefügt, durch gegenseitige Übereinstimmung in den praktischen Genuss der durch Christus befohlenen Anordnungen gekommen, der ihr Oberhaupt und König ist.

Die Frage einer wiedergeborenen Kirche war wie die Frage der Bekehrung für die frühen Baptisten ganz klar, wenn sie ihre Bibel lasen. Sie beobachteten die Kirchen in der Umgebung und schlussfolgerten, dass eine Reformation unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich war. Etwas, das nicht richtig geformt wurde, kann man nicht reformieren. Das Konzept der Baptisten war radikal, und sie wussten es. König James I. von England war bekanntlich besorgt über den schleichenden Presbyterianismus. „Kein Bischof, kein König“, das waren seine Gedanken. Er verstand die Baptisten zurecht als eine sogar noch akutere Gefahr. Baptisten erkannten keinen Bischof an, keinen vermittelnden Priester außer Christus und kein Presbyterium. Baptisten waren nicht die Erfinder von Selbstverwaltung, aber für sie war sie der Kern ihrer Ekklesiologie.

Sie bekräftigten das, was Martin Luther als das Priestertum aller Gläubigen definieren würde, gingen dann weiter und machten klar, dass jede richtig geordnete Versammlung komplett für den Dienst ermächtigt und autorisiert ist. Kein Papst, kein Bischof, kein Presbyterium, keine notwendige oder angestrebte Erlaubnis.

Francis Wayland, der einflussreiche Präsident der damals baptistischen Brown Universität, antwortete auf die Frage eines Bischofs der Episkopal-Kirche, warum Baptisten an der amerikanischen Grenze des neunzehnten Jahrhunderts so schnell wuchsen, mit folgenden Worten: „Wir bitten nicht um Erlaubnis.“ Wahrscheinlich war er versucht, hinzuzufügen: „Und wir haben keine Bischöfe“.

Baptisten werden oft einer mangelhaften Ekklesiologie beschuldigt, und viele, die sich in jüngster Zeit Baptisten nennen, geben dieser Anklage recht. Aber das war bei Baptisten in der prägenden Zeit nicht der Fall, die sehr sorgfältig über eine Ekklesiologie nachgedacht haben, welche in Übereinstimmung war mit dem, was spätere Generationen „Prinzipien des Neuen Testaments“ nennen würden. Ebenso wenig ist es der Fall bei denen, die heutzutage authentische baptistische Identität und Ekklesiologie ehren. Die richtig geordnete Kirche ist eine Körperschaft aus wiedergeborenen Gläubigen, versammelt durch gemeinsamen Glauben und gemeinsames Bekenntnis und einen Kirchenbund, der die Verpflichtungen von Gemeindezugehörigkeit definiert. Diese richtig geordnete Kirche ernennt Älteste und Pastoren, die für ihren Dienst notwendig sind und organisiert ihr Werk durch eigene               Autorität.

Einer der ehrwürdigsten Grundsätze unsere baptistischen Kirche erklärt:

So wie wir vertrauen, dass wir durch göttliche Gnade und durch den Einfluss seines Geistes dazu gebracht wurden, den Herrn Jesus Christus anzunehmen, damit wir uns ihm hingeben, so verbünden wir uns nun feierlich miteinander: Gott befähige uns, dass wir gemeinsam in brüderlicher Liebe wandeln werden; dass wir eine christliche Fürsorge und Achtsamkeit füreinander ausüben, und einander je nach Erfordernis treu warnen, ermahnen und verwarnen; dass wir unsere Zusammenkünfte nicht verlassen, noch die großartige Pflicht des Gebets unterlassen, sowohl für uns selbst als auch für andere; dass wir an den Freuden der anderen teilhaben, und es auf uns nehmen, einander mit Sanftmut und Zuneigung Lasten und Sorgen zu tragen; dass wir ernstlich auf uns nehmen, solche die sich in unserer Fürsorge befinden, in der Furcht und Ermahnung des Herrn zu erziehen; dass wir göttliche Hilfe suchen werden, uns zu befähigen besonnen und wachsam in der Welt zu leben; dass wir Gottlosigkeit und jeder weltlichen Lust absagen; dass wir gemeinsam kämpfen werden für die Unterstützung eines treuen, evangelikalen Dienstes unter uns; dass wir es durch Vorbild und Anstrengung auf uns nehmen, Seelen für Christus zu gewinnen; und das Leben lang inmitten guter und schlechter Nachrichten danach streben, zur Ehre dessen zu leben, der uns aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.

Wie andere festgestellt haben, waren Baptisten keine leidenschaftlichen Anhänger der Ökumene. Aber sie haben immer anerkannt, dass es in anderen Gemeinden und Gemeinschaften wahre Christen gibt. Sie haben geglaubt, dass eine  Gemeinschaft, der die Predigt des Evangeliums fehlt, überhaupt keine Kirche ist; und dass sogar manche Kirchen, die das Evangelium predigen, am Neuen Testament gemessen falsch strukturiert sind. Baptisten sind nicht ohne Grund Baptisten.

Die richtig organisierte Kirche als eine versammelte und einander mit einem Bund verpflichtete sichtbare Gemeinschaft der Heiligen übt einen vernehmbaren Dienst des Evangeliums aus. Das Wort Gottes wird gepredigt, die Anordnungen hinsichtlich der Taufe und des Abendmahls werden beachtet, Gemeindezucht wird angewandt, und die Gemeinde breitet durch Mission und Evangelisation das Evangelium aus.

Die Praxis, nur jene Menschen zu taufen, die sich persönlich zum Glauben an Christus bekennen, ist für Baptisten zur entscheidenden Frage geworden. Beim Lesen des Neuen Testaments zogen sie die Schlussfolgerung, dass die Kindertaufe keine wahre Taufe sei und dass die Taufe, wie das Abendmahl, kein Sakrament, sondern eine Anordnung war – ein von Christus befohlener Akt. Der neue Gläubige wird, nachdem er Zeugnis des rettenden Glaubens abgelegt und eine Verpflichtung zur Nachfolge Christi ausgesprochen hat, in die Gemeinschaft der Kirche getauft, wobei das Wasser der Taufe der Zusammenhang für das Glaubensbekenntnis des Gläubigen ist. Die Taufe ist ebenso eine Anordnung zum Eintritt in die Mitgliedschaft und Gemeinschaft der Kirchengemeinde.

Die Wiedertäufer in der Schweiz im sechzehnten Jahrhundert haben nur die Taufe für Gläubige bekundet, aber sie haben nicht allgemein das Untertauchen praktiziert. Die frühen britischen Baptisten schlussfolgerten, dass Texte wie Kolosser 2,12 und Römer 6,4 ganz klar darauf hinwiesen, dass neue Gläubige komplett in Wasser getaucht wurden, was den Tod, das Begräbnis und die Auferstehung Jesu Christi darstellt. Viele Millionen von Baptisten sind begleitet von den Worten „mit Christus begraben in der Taufe“ ins Wasser untergetaucht worden, und mit den Worten „auferweckt zum Wandel im neuen Leben“ aus ihrem nassen Grab aufgestanden.

Anfänglich haben Baptisten sich selbst wahrscheinlich nicht Baptisten genannt. Es scheint, dass andere, wahrscheinlich in verächtlicher Weise, der neuen Gemeindebewegung in England diesen Namen verpasst haben. Im nächsten Jahrhundert haben die Methodisten, ihrer Methode der Hingabe geschuldet, so ziemlich dieselbe Behandlung erfahren. Irgendwann akzeptierten die Baptisten (und nach ihnen die Methodisten) den Namen. Warum auch nicht? Für die Baptisten war die Praxis der Glaubenstaufe ein Kurzsymbol ihrer gesamten Glaubens- und Gemeinde-Praxis.

In den Worten der Londoner Baptisten von 1646 ist das „Untertauchen“ des Körpers unter Wasser „ein Zeichen“ und als solches „muss es die angedeuteten Dinge beantworten, welche sind: so sehr die Heiligen Anteil haben am Tod, am Begräbnis und an der Auferstehung Christi, und so sicher wie der Körper unter Wasser begraben wird und wieder aufsteht, so gewiss werden die Körper der Heiligen durch die Kraft Christi am Tag der Auferstehung auferweckt werden, um mit Christus zu herrschen.“ Wenn man die Wortwahl des „Untertauchens des Körpers unter Wasser“ betrachtet, dann hätte man den Baptisten auch sehr leicht den Namen „die Untertaucher (engl.: Plungers)“ geben können. Da bin ich doch dankbar für den Namen „Baptist“.

Die Notwendigkeit der Bekehrung führte logischerweise zum Konzept der wiedergeborenen Kirche, was wiederum zum Verständnis der Glaubenstaufe als öffentliches Glaubensbekenntnis und Eintritt in die Bundesgemeinschaft der lokalen Kirche führte. Heutzutage sind andere Christen oft empört über den Nachdruck baptistischer Kirchen, dass Mitglieder getauft werden müssen, durch Untertauchen, als Gläubige. Manchmal fallen selbst Baptisten in diese alten Denkweisen zurück und sprechen dann davon, dass eine „Neu-Taufe“ erforderlich ist. Tatsächlich ist die historische Position der Baptisten, dass jeder Akt, der eine Taufe zu sein behauptet, aber nicht die Taufe eines bekennenden Gläubigen ist, tatsächlich überhaupt keine Taufe ist. Ebenso ist jede Glaubenstaufe, die nicht durch komplettes Untertauchen in Wasser ausgeführt wird, keine richtig gehorsame Taufe. Wir führen keine „Wieder-Taufe“ von Menschen durch, wir taufen sie zum ersten Maö.

Mittlerweile sehen Sie das Muster. Ich habe Sie im Vorfeld gewarnt: Es hat alles mit einer Streitfrage begonnen.

Die radikale Vorstellung einer aus Gläubigen bestehenden Kirche, einer wiedergeborenen Versammlung, geriet in Konflikt mit einigen nahezu universellen Annahmen der damaligen Zeit: Dass die Kirche mit dem Staat verbunden sein muss, dass die (Kinder-)Taufe mit Vorstellungen der Staatsangehörigkeit in Verbindung steht, und dass der Staat die Verantwortung für die religiöse Ordnung, Konformität und Rechtgläubigkeit trägt. Andere Denkweisen wurden als ketzerisch und verräterisch betrachtet, als die nationale wie auch gesellschaftliche Stabilität untergrabend.

Für die meisten modernen Menschen, die in westlichen Ländern leben, und insbesondere für die meisten Amerikaner, erscheint die Vorstellung eines Staates, der als Wächter der Seelen und Beschützer der Rechtgläubigkeit dient, wahrscheinlich als sehr seltsam. Für König James I und seine Bischöfe erschien diese Vorstellung als offensichtlich und die Baptisten bekamen sehr bald die Wucht der Verfolgung zu spüren.

Die Baptisten waren im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert kaum die Einziogen, die religiöse Verfolgung erlebten. Was sie abhob, war die wachsende Erkenntnis, dass ihre eigene theologische Logik die Anerkennung religiöser Freiheit für alle Menschen erforderlich machte. Sie wären vielleicht auch unabhängig von ihrer eigenen Verfolgungserfahrung auf solche Schlussfolgerungen gekommen, aber die Bedrohung durch Leid, Haft und Tod haben ihre Überzeugungen sehr schnell kristallisiert.

Einer der frühesten Baptisten, Thomas Helwys aus Nottinghamshire, schrieb 1612 ein mächtiges Traktat mit dem Titel „A Short Declaration of the Mistery of Iniquity“.[1] In seiner handgeschriebenen Widmung an König James I. schrieb Helwys:

Höre, o König, und beachte gewissenhaft den Rat deiner Armen, und lass ihre Klagen vor dich kommen. Der König ist ein sterblicher Mensch und nicht Gott, daher hat er keine Macht über die unsterblichen Seelen seiner Untertanen, ihnen Gesetze und Anordnungen zu erlassen und geistliche Herren über sie einzusetzen. Wenn der König die Autorität hat, geistliche Herren zu ernennen und geistliche Gesetze zu erlassen, dann ist er ein unsterblicher Gott und kein sterblicher Mensch. Oh König, lass dich nicht von Betrügern zur Sünde gegen Gott verführen, dem du gehorchen solltest, noch gegen deine armen Untertanen, die dir in allen Dingen mit Leib und Gütern gehorchen sollten und es auch werden, und falls sie es nicht tun, möge ihr Leben von der Erde genommen werden. Gott schütze den König.

Helwys bestand darauf, dass „die Religion des Menschen eine Sache zwischen Gott und ihm selbst ist. Der König wird dafür nicht Rechenschaft ablegen müssen. Noch soll der König Richter zwischen Gott und Menschen sein. Mögen es Irrlehrer, Türken, Juden, oder was auch immer sein, es ziemt sich nicht für die irdischen Machthaber, sie im geringsten Maße zu bestrafen.“

König James I sah es anders. Sein Argument lautete: „Es ist die höchste aller königlichen Pflichten … Angelegenheiten der Religion zu regeln.“ Helwys floh gemeinsam mit anderen frühen englischen Baptisten in die Niederlande. Später kehrte er nach England zurück, wurde verhaftet und starb im berüchtigten Newgate Gefängnis.

Robert Louis Wilken bezog sich auf Helwys‘ „unwiderstehliche Strahlkraft“, weil er nicht nur Protestanten und Katholiken, sondern auch Juden und Muslime einschloss. Wilken stellte fest: „Wenn es überhaupt für irgendjemanden die Gewissensfreiheit geben soll, dann muss es sie für alle geben. Helwys hatte einen klaren Blick und erkannte, dass die herrschenden Mächte um der Gerechtigkeit willen Gewissensfreiheit gewähren müssen, ganz egal an welchem Glauben die Menschen festhalten.“

In der Neuen Welt waren die selben baptistischen Überzeugungen der Antrieb für Roger Williams, die Kolonie Rhode Island auf dem Prinzip der Religionsfreiheit zu gründen (ursprünglich bekannt als Providence Plantations). 1644 veröffentlichte er sein berühmtestes Buch, „The Bloudy Tenent of Persecution“.[2] Darin argumentiert Williams, dass der König kein Recht hat, Glauben, Konfession oder Überzeugung zu erzwingen. Williams sah die Kirche als getrennt von der Welt, als einen Weinberg, der allein Gott gehört. Er bestand darauf, dass die Kirche in der Welt von einer Mauer oder einer Hecke „zwischen dem Garten der Kirche und der Wüste der Welt“ getrennt werden müsse.

Wie Thomas Helwys weitete Williams die Religionsfreiheit weit über die Vorstellungskraft seiner Zeitgenossen aus – sie umfasste „die allerheidnischsten, jüdischen, türkischen, oder antichristlichen Gewissen und deren Art der Anbetung.“ Seine Weitherzigkeit wurde weder in London noch in Boston geschätzt, und das Unterhaus ordnete an, „The Bloudy Tenent of Persecution“ zu verbrennen.

Später wurde der Präsident Thomas Jefferson, obwohl viele Baptisten ihn damals (und heute) als ungläubig betrachteten, aus Dankbarkeit für seine Unterstützung der Religionsfreiheit mit einem 1325 Pfund schweren Käse beschenkt, der von baptistischen Frauen aus Massachusetts gemacht und durch den Ältesten John Leland ins Weiße Haus gebracht wurde. Als Jefferson 1802 der Danbury Baptist Association in Connecticut schrieb, borgte er sich eine Formulierung von Roger Williams, als er „eine Trennwand zwischen Kirche und Staat“ definierte.

In jüngerer Zeit ist Jeffersons Formulierung einer „Trennwand“ zu böswilligen Zwecken von denjenigen eingesetzt worden, die sich jedem religiösen Einfluss in der Zivilgesellschaft widersetzen. Aber in ihrem historischen Kontext stand Jeffersons Zusicherung an die Baptisten im Gegensatz zu der Verfolgung, die Baptisten seitens der Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks erlebten.

In einem Großteil der Welt hält die religiöse Verfolgung an. In unserem eigenen Kontext drohen sich die von Walter Lippmann so genannten „Säuren der Moderne“ durch die gesamte Gesellschaft durchzufressen und alle religiösen Überzeugungen aufzulösen. Ein zunehmend aggressiver Säkularismus, dem sich Mächte zur Seite stellen, die mit moralischem Fortschrittsglauben im Bunde sind, betrachtet alle traditionellen theistischen Glaubensüberzeugungen als subversiv und rückschrittlich. Das gesamte Erbe der Christenheit und des Christentums wird als dem Projekt der säkularen Befreiung hinderlich verworfen.

Diejenigen unter uns, die an traditionellen Formen der Christenheit, offenbarter Religion und religiöser Autorität festhalten, finden sich und einander in gemeinschaftlichen Überzeugungen. Wir lassen uns auf Gespräche und gemeinsamen Mut ein, während wir danach streben, treu zu bleiben, indem wir klarstellen, dass unsere Glaubensgrundsätze sowohl öffentliche als auch private Bedeutung haben.

Vielleicht besteht ein Teil unseres Beitrags als Baptisten darin, einfach authentisch Baptisten zu bleiben und uns weiterhin zu weigern, um Erlaubnis zu bitten. Punkt.

Warum bin ich Baptist? Ich muss zugeben, dass es etwas damit zu tun hat, dass ich als Kind von Baptisten geboren wurde. Aber niemand wird durch Geburt ein wahrer Baptist – nur durch Wiedergeburt. Als Junge bekannte ich meinen persönlichen Glauben an Jesus Christus als Herrn und Erretter und wurde von Kopf bis Fuß unter Wasser in die Gemeinschaft einer baptistischen Gemeinde hineingetauft. Später dachte ich, wie die meisten jungen Erwachsenen, dass ich meine Glaubensgrundsätze genauer unter die Lupe nehmen und einen Einblick in die Glaubensgrundsätze anderer gewinnen sollte. Ich bin ein noch leidenschaftlicherer Baptist geworden und habe mein gesamtes Leben als Erwachsener im Dienst der Baptisten verbracht.

Ich glaube, Baptisten haben heute der christlichen Tradition etwas Wichtiges – sogar Entscheidendes – beizutragen und das christliche Zeugnis in der Welt zu stärken. Wir Baptisten sind oft ein lautstarker Teil des Leibes Christi, aber ich hoffe, dass wir auch ein notwendiger Teil sind.

Erwarten Sie jedenfalls nicht, dass wir um Erlaubnis bitten. Stecken Sie uns ins Gefängnis, nehmen Sie unser irdisches Hab und Gut, tun Sie das schlimmste, was Sie können – wir werden bei den jeweiligen Machthabern nicht um Erlaubnis bitten. Egal was bei der Entfaltung der Weltgeschichte geschieht, wir werden weiterhin das Evangelium predigen, Gläubige unter Wasser tauchen, Menschen von Jesus erzählen, und von der uralten Geschichte Jesu und seiner Liebe singen.

Als junger Mann hörte ich einen alten Baptisten Folgendes sagen: „Ich bin als Baptist geboren, als Baptist erzogen, und selbst wenn ich tot bin, werde ich noch ein Baptist sein.“ Zu der Zeit hielt ich diese Worte für abgedroschen, primitiv und theologisch gesehen beklagenswert mangelhaft. Nun, in meinem siebten Lebensjahrzehnt, klingen sie ein wenig anders für mich. Dankbarkeit gegenüber der Kirche mischt sich mit einer Verachtung für die Welt. In Anbetracht dessen, wie unsere Welt funktioniert, bin ich bereit, mich diesem alten Baptisten zur Seite zu stellen, der nun schon lange von uns gegangen ist, und zu versprechen, selbst bis in den Tod treuer Baptist und treuer Christ zu sein. Dafür benötige ich keine irdische Erlaubnis.


[1] Auf deutsch etwa: „Eine kurze Erklärung des Rätsels der Ungerechtigkeit“.

[2] Auf deutsch etwa: „Der blutige Sold der Verfolgung“

Unterstütze Viktors Übersetzungsarbeit: Ganz ehrlich, ich (also Sergej Pauli) empfinde die Qualität von Viktors Übersetzungen als legendär. Kein Wunder, hat er schon einige Werke für christliche Verlage übersetzt, z.B. “Kinderherzen prägen” von Tripp. Mich unterstützt er dabei völlig kostenfrei und seine “richtige” Übersetzungsarbeit wird über ein Spendenkonto informiert. Wer Viktor dabei unterstützen möchte, kann bei mir unter pauli@glaubend.de Informationen für das Spendenkonto anfragen. Über seine Arbeit informiert Viktor übrigens in einem Newsletter, der sich unter diesem Link abonnieren lässt.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

1 Kommentar

  1. […] Der gleiche Bruder stellte aber auch das Exklusivitätsproblem des Baptismus fest : “Nicht einmal Calvin dürfte bei uns predigen”. Während alle christliche Denominationen im wesentlichen die christliche Taufe  anderer Denominationen akzeptieren, tun wir Baptisten uns sehr schwer damit, nicht nur mit Menschen das Brot zu brechen, die als Kinder getauft wurden, sondern auch mit denen, die die Taufe als Erwachsene erfuhren, die dabei aber nicht “untergetaucht” wurden. (Niemand geringeres als Albert Mohler artikuliert das recht deutlich hier) […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert