Jakobus 4,7–10: — “So seid nun Gott untertan. Widersteht dem Teufel, so flieht er von euch. Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch. Reinigt die Hände, ihr Sünder, und heiligt eure Herzen, ihr Wankelmütigen. Klagt, trauert und weint; euer Lachen verkehre sich in Weinen und eure Freude in Traurigkeit. Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen.”
“Da unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: Tut Buße, will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete oder unaufhörliche Buße sein soll.” – Mit dieser These eröffnete Luther bekanntlich seine 95 Thesen. Ist es nicht interessant, dass das Dokument, das Auslöser für den Bruch innerhalb der westlichen Kirche wurde, sich vornehmlich mit der Buße, nämlich der Unterscheidung von richtiger und falscher Buße beschäftigt?
Wenn wir die Frage nach der Buße stellen ist sie also zunächst einmal zu bejahen! Keiner kann zu Christus mit den Fragen kommen “Was fehlt mir noch?” oder “Was muss ich tun?” ohne als Antwort mit seinem Versagen konfrontiert zu werden. Als ein wohlhabender Jugendlicher, überzeugt von seiner Rechtschaffenheit, auch von Jesus die Absolution hören wollte, wird sein Herz enttarnt, es wird ihm plötzlich bewusst, dass er bereits gegen das erste Gebot auf krasse Weise verstößt (Lk. 18,18-27).
Ich beobachte es unter Christen sehr häufig, dass die Botschaft “Jesus nimmt die Sünder an” (Luk 15,2) keine Freudenschreie für sie persönlich auslöst. Wohl ist es die Botschaft, die sie an ihren atheistischen Nachbarn oder an ihren gottlosen Kollegen weiterreichen, aber als Christen selber haben wir es verlernt, uns als der Gnade bedürftige Sünder zu sehen. Denken wir nur, wie man immer damit ringt, die ausgeschüttete Gnade an den verlorenen Sohn (Luk. 15) auf sich selbst anzuwenden. Ständig deutet man das Gleichnis irgendwie doch so, um ja nicht sich selbst als den angenommenen Sünder sehen zu müssen. Auf eine Weise möchte man dann zum Übersohn werden, der nicht so fällt wie der jüngere Sohn und doch nicht die Selbstgerechtigkeit des zweiten Sohnes besitzt. Welch Fehlinterpretation! Dabei ist genau das die beste Botschaft, die die Bibel für uns hat: “Jesus nimmt die Sünder an”. Die Gerechten, also die, die nach Verdienst umgehen wollen, die kann Jesus auch nicht annehmen und diese werden auch keine Notwendigkeit darin sehen, einen zu suchen, der demütig, sanftmütig ist und die Lasten abnehmen will.
Damit dürfte es sich auch lohnen darüber nachzudenken, wofür wir Buße tun sollen. Wie oft hört man im Gebet jemand sagen, “wenn ich hier oder dort etwas falsch getan haben sollte, dann vergib es mir doch”. Ich kann mich darüber immer nur wundern. “Was, du hast den ganzen Tag lang “Gott aus ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft” geliebt und deinen Nächsten wie dich selbst?” (Mk 12,30), möchte ich dann den Beter fragen. Die ganze Zeit tun wir Buße für “Puppensünden” und gehen am eigentlichen Versagen vorbei. Unsere Buße ähnelt oft den “First-World-Klagen” eines Perfektionisten als des einen, der wie Jak 4 es ausdrückt, darüber bestürzt ist, dass ein gravierender Bruch mit Gott vorliegt. Oftmals tun wir so, als ginge bei der Buße um ein paar fehlende Prozente zur Vollkommenheit und eben nicht um radikale Umkehr und Gessinungsänderung, ja um das Abtöten des Alten Menschen und um das Leben des Neuen Menschen.
Hier wiederum sehe ich das Potential, Buße zu einem Vorwurf an Gott verkommen zu lassen: “Gott, du forderst Vollkommenheit von mir Unvollkommenen ein und nun bekenne ich zwar, aber ich tue es zähneknirschend”. Gott wird so in unserem Gebet zu einem unbarmherzigen Tyrannen und wir verzerren die biblische Selbstoffenbarung Gottes als “barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Güte” (Ps 103,8). Den Gott der vierfachen Gnade sehen wir als unbarmherzigen Tyrannen! Wie oft falle ich in diese Falle! Plötzlich tue ich Buße einfach für meine Menschlichkeit, weil ich mir vor Augen nicht Christus, den wahren Adam vorhalte, sondern eine griechisch-stoische, emotionslose Fälschung. Ich tue Buße dafür, dass ich als Mensch beschränkt und begrenzt bin, statt dafür ein Rebell und Sohn eines Rebellen zu sein. Auf die Frage ob “Gott dem Menschen nicht Unrecht tut, wenn er etwas fordert, was dieser nicht halten kann” antwortet der Heidelberger Katechismus gläubig (Frage 9): “Nein (Eph 4,24), denn Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er es halten konnte. Der Mensch aber, angestiftet vom Teufel, hat sich und alle seine Nachkommen durch mutwilligen Ungehorsam dieser Gabenberaubt (Röm 5,12)”
Wie oft tun wir Buße und vergießen Tränen im Gebet, weil wir uns schämen und es uns “peinlich ist, sich wieder so blamiert zu haben”. Ohne hier Scham verteufeln zu wollen, ist auch hier die Frage berechtigt, wessen Ehre wir in dieser Art der Buße suchen? Suchen wir dann nicht oftmals vielmehr die Wiederherstellung unserer eigenen Ehre, statt die Wiederherstellung der Ehre Christi? Ähnliches dürfte auch für die Reue gelten, die zumindest im Falle des Judas nicht zur echten Reue führte und von der Reue dieser Welt warnt auch Paulus die Korinther (2. Kor. 7,8-11). Wohl bilden Buße, Reue und Scham ein oftmals untrennbares Gefilde und an Reue und Scham ist zunächst einmal nichts falsches und bedenkliches, doch auch diese Bereiche sind den Angriffen Satans ausgeliefert. Es gibt die Traurigkeit der Welt, die nur zum Tode führt.
Ich schreibe gerade den letzten Absatz nicht einfach leichthin nieder. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, die Vergebung nicht kannte. Schuld, auch geringste Schuld wurde oft Jahre später mit äußerst ernster Minne und schweren Konsequenzen geahndet. Mit der Zeit gewöhnte ich es mir an, “möglichst bald und früh um Verzeihung zu bitten”. Ich habe mich dabei auch ziemlich fromm gefühlt, bis mir klar wurde, dass auch diese meine Strategie nur eine Verdrängungstaktik ist, mit Schuld konfrontiert zu werden.
Das wiederum macht klar, dass Buße und/oder Reue Schuld nicht wieder gut machen können. Das Lied “Nichts habe ich, was nicht frei ich empfing” drückt es besonders schön aus. Dort heißt es in der dritten Strophe:
“Nicht meine Tränen je haben’s gemacht,
Nur Sein Erbarmen hat alles vollbracht!
Sünden vergiftet, einst abgewand,
bin ich einer, den die Gnade fand!”
Es ist nicht so, dass mit einem “Bußritual” alles gut wird. Selbst bei zwischenmenschlicher Schuld macht ein “Es tut mir leid” den Schaden ja nicht wett! Damit auf Buße Versöhnung folgen kann, muss einer “auf den Kosten sitzen bleiben”. Ich denke das Gleichnis Jesu vom unversöhnlichen Knecht macht dies auf besonders feinfühlige Weise deutlich. Wir können die Schuld tragen, die unsere Mitmenschen uns anfügen, weil wir wissen, dass Gott uns eine viel größere Schuld erlassen hat. Erlassen bedeutet für uns wohl “freie Gnade”, für Gott selbst aber bedeutet es, die Schuld zu bezahlen. Das führt uns zum Zentrum des Christentums, zum Kreuz Christi, an dem das Lamm Gottes, das vor Beginn der Welt geschlachtet ist (Offb. 13,8), die Kosten unserer Sünden trägt.
Ich schreibe das so ausführlich, weil das Wissen um vergebene Schuld, also Heilsgewissheit, Erwählungsgewissheit und Glaubensgewissheit nicht aus der Anzahl unserer Tränen oder aus der “Ernsthaftigkeit unserer Bußwilligkeit” folgen kann, sondern nur aus dem Werk Christi. Calvin schrieb einst: “Christus genügt mir statt tausend Gründen. Denn wenn wir uns in seinem Leibe vorfinden, so ruht unser Heil auf einem sichern und ruhigen Standort, gleichsam wie in dem Himmel aufbewahrt“”
Buße steht gerade heute in der Gefahr zu einem “sühnenden Werk” zu verkommen. Wenn wir aber für unsere Schuld selber zahlen wollen, missachten wir das, was uns Gott in Christus darreicht: Das Lamm, dass unsere Sünden trägt. Ich denke, es lohnt sich an dieser Stelle Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Was lief denn bei den mittelalterlichen stundenlangen Bußübungen wirklich falsch? Wenn wir uns dadurch als “Protestanten” definieren, weil wir “wissen, dass man nicht so übertreiben muss”, dann ist die Antwort falsch. Mit Buße kann man ja wohl kaum übertreiben! Auch Jakobus fordert uns auf (vgl. den Leittext aus Jak. 4), es mit der Buße ernst zu meinen Doch bleibt die Gefahr, die Buße selbst als das Versöhnungswerk zu betrachten. Das geht dem jungen Luther so, der sechs Stunden am Tag verbringt, seine Sünden zu bekennen, geht aber auch dem jungen Christen so, der damit ringt, ob seine “Bekehrung” beim Altarruf nun ausreichend ist. Beide Perspektiven blicken nicht mehr auf das Werk Christi am Kreuz sondern auf die eigene Erfahrung.
Obwohl Buße also derart notwendig ist, gibt es kaum etwas, dem wir derart aus dem Weg zu gehen scheinen. Meist verstecken wir uns hinter Selbstrechtfertigungen. Ich kann mich erinnern, als ich als Jugendlicher meinem Pastor meine Selbstbefriedigung beichtete und er als Reaktion gleich anfing in meinen Vorfahren zu forschen. “Womöglich wäre mein Vater damit verflucht gewesen?” Die Verlockung der Selbstrechtfertigung ist da hoch. Ich habe mich im sexuellen Bereich dann nicht im Griff, aber schließlich kann ich da ja nichts dafür, wenn da ein Fluch anliegt. Und plötzlich muss ich gar nicht mehr für meine Schuld Buße tun. Vieles vom heutigen Gerede über dämonische Belastungen und der zahlreichen Befreiungsdiensten schlägt doch schließlich in die sellbe Kerbe der Verschiebung der Schuld (Vgl. auch diese Fabel von Krylow). Der Psalmist belehrt uns etwas Besseres: “Psalm 51,6: An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf dass du recht behaltest in deinen Worten und rein dastehst, wenn du richtest.”
Es lohnt sich auch darüber nachzudenken, was Buße nicht ist. Buße ist sicherlich nicht der Ausruf: “Das mache ich nie wieder!”, auch kaum die Aussage “Ab morgen wird alles anders!”. Damit würden wir ja nur wieder auf unsere eigene Kraft bauen. Buße ist alles andere als “Gute Vorsätze”, ohne dass dadurch “Gute Vorsätze” oder gar die Gebote Gottes dadurch falsch würden. Wichtig ist auch hier unsere Perspektive: Geht es mir bei der Buße “um das feste Vornehmen es nun besser zu machen” oder um die Versöhnung mit Gott? Suche ich Christus oder meine Gerechtigkeit? Geht es mir um Erlösung oder darum mein Selbstwertgefühl in guten Vorsätzen zu stärken?
Wie ist es nun mit Buße, Bekehrung und Wiedergeburt? Es kann angebracht sein von der Bekehrung als das Ereignis zu sprechen mit dem man vom Heiden zum Christen wird , dennoch lässt sich diese klare Trennung so nicht in der Bibel finden, da z.B. die alttestamentlichen Propheten ständig gerade das Volk Gottes zur Bekehrung und Umkehr aufrufen. Also zu einer Umkehr, wohl von nichtigen Götzen zum einzigen lebendigen Gott Jahwe, und doch geht der Aufruf vorerst zu einem Volk, dass schon in einem Bund mit Gott steht. Hat man die Beziehung zu einem Bundesgott im Blick und sieht die Notwendigkeit der Heilung des Bundesbruches vor sich, ist es nicht mehr notwendig, strikt zwischen Buße und Bekehrung zu trennen. Schließlich feiern wir ja auch in jedem Abendmahl die Bundeserneuerung mit unserem treuen Gott. Der Bund wird trotz all unserer Brüche erneuert, weil Christi Werk ein sicherer Anker in Gottes Heiligtum ist (Heb 6,19). Auch scheint es mir nicht weise zu sein, Bekehrung und Wiedergeburt als aufeinanderfolgende Prozesse zu trennen, obwohl klar sein dürfte, dass nur Seelen, in denen der Heilige Geist das steinerne Herz mit einem fleischernen ersetzt hat, dem Wort gehorsam sein können (Hes. 11,19). Nur der Heilige Geist kann Früchte des Geistes wirken und so kann auch Johannes der Täufer von der Frucht der Buße sprechen (Mt 3.8). Somit ist es töricht davon zu sprechen, dass die Wiedergeburt etwas ist, dass uns Gott als Belohnung für unsere Bekehrung gibt/schenkt. Hosea wusste um das Herz der Israeliten, dass kaum anders sein dürfte, als unseres: “Hosea 5,4: Ihre Taten lassen es nicht zu, dass sie umkehren zu ihrem Gott; denn sie haben einen Geist der Hurerei in ihrem Herzen, und den HERRN kennen sie nicht.”
Wie mag das zugehen? (Joh. 3,9). Was sollen wir nun tun, wenn wir eigentlich gar nicht Buße tun können, ja auch nicht tun wollen? Sollen wir dafür Buße tun, dass selbst unsere Bußübungen so sündhaft sind? Natürlich! Doch vielmehr spüre ich einen besonderen Trost darin, dass Buße ein Geschenk von Gott ist. Jeremia ruft einmal aus (Jer. 31,18-19)aus: “Bekehre du mich, so will ich mich bekehren; denn du, Herr, bist mein Gott! 19 Nachdem ich bekehrt war, tat ich Buße, und als ich zur Einsicht kam, schlug ich an meine Brust”.
Wenn mein Herz mich anklagt, ich keine Kraft für Buße finde, wenn selbst meine Tränen mir wie ein erbärmliches Kleid der Selbstrechtfertigung vorkommen, was soll ich dann tun? Dann sollte ich nicht “mich noch mehr anzustrengen”, ” es noch ernster zu meinen”, sondern mit meiner Not zu Christus gehen, mit all meinem Elend zu dem, “der die Sünder annimmt”. Somit dürfen wir auch zu Gott darum rufen und schreien, und unsere Herzen zerreißen, wie auch die Kleider, in unserem Flehen darum, dass uns “Raum zur Buße” geschenkt wird. Und wir werden erleben, dass “wir unsere Bitten schon haben, während wir darum beten” (1 Joh 5,15). Wir haben einen Gott der gerne und ausgiebig gibt, er wird uns eine Veränderung gewähren, die wir uns gar nicht zu hoffen wagen würden. Er sieht uns vollendet in Christus und will uns in die Gestalt seines Sohnes formen. Unser himmlischer Vater verfolgt mit uns eine Vision, ein Ziel, von dem wir nicht mal zu hoffen wagen würden. Somit kann uns nichts besseres geschehen, als das wir wieder zu Gott umkehren von unseren lehren Götzen. Bei Buße steht schließlich einiges auf dem Spiel, wie Jeremia uns erinnert: “Jeremia 2,13 Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und das Wasser nicht halten.”.
Gott ist vielfach gnädig, somit dürfen und sollen wir uns zu ihm nahen, wenn unser Herz uns verdammt, wenn unsere Buße wie ein schändliches Werk aussieht, wenn wir keinen Glauben haben, wenn wir von Zweifeln zerfressen sind, wenn wir nur wenig oder nichts bereuen, wenn wir keinerlei Heilsgewissheit spüren oder was es sonst sein mag. Gottes Annahme ist an keine Bedingung geküpft, außer an das Werk Christi: “Jesaja 55,1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!”