Vom Vergleich fauler Birnen mit knackigen Äpfeln

Ich liebe Birnen. Habe ich die Wahl zwischen einer Birne und einem Apfel, werde ich eine Birne bevorzugen. Aber nicht immer. Den Äpfel mag ich auch. Und natürlich will ich lieber einen knackigen saftigen Apfel essen, als eine faule oder unreife Birne.

Das Sprichwort, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen soll, überzeugt mich also nicht. Ich denke schon, dass man beide vergleichen kann und auch vergleichen soll, um sie unterscheiden zu können. Was ein Unding ist, ist der Vergleich fauler Birnen mit knackigen Äpfeln.

Hier lag und liegt in meinem Leben viel Lernpotential. Ich erwische mich immer wieder, dass ich faule Birnen mit knackigen Äpfeln verglichen habe. Was ich damit meine ist, dass man, wenn man zwei Positionen erwägt, von einer Position ein besonders unvorteilhaftes Beispiel wählt, während man von der anderen Position ein besonders vorteilhaftes wählt. Interessanterweise passiert mir dieser Fehler recht häufig.

Zum Beispiel vergleicht man die Predigtweise einer Russlanddeutschen Gemeinde mit der in einer reformatorisch geprägten Freikirche. Auf der einen Seite findet sich eine hohe Beteiligungstiefe, viele Laien werden in den Predigtdienst eingebunden, die Predigten sind häufig eher kurz, auf der anderen Seite finden sich pastorale Predigten, gehalten oftmals von wenigen (oder einem), häufig in einer thematischen oder logischen Kohärenz und eine Predigt steht im Zentrum des Gottesdienstes.

Ich habe sehr viel Kritik am “russlanddeutschen” Modell gehört, die oft sehr überzeugend klingt, weil die Fehler dieses Modells jedem bekannt sein dürften, die es erleben: Manchmal schwierig ausführliche Gedanken zu schildern, thematische Überschneidungen, ungewollte Themenbrüche, nicht gut vorbereitete Prediger usw.

Getrieben von der Kritik, war ich schon ziemlich überzeugt, dass dieses ganze Modell ein Unding ist, und war sehr neugierig “mal das Echte und Wahre zu sehen”: Gute Exegetische Predigten, die auf einander aufbauen, in die Tiefe, wie in die Breite gehen, evangeliums- und christuszentriert den ganzen Text der ganzen Bibel auslegen, und dem Leser das Wort Gotte schmackhaft machen.

So sollte es doch sein! Wären doch Birnen Äpfel! Aber die Realität ist ja, dass Fehler im Umgang mit dem Predigtdienst nicht dadurch gelöst werden, dass man “nicht mehr auf russlanddeutsche Weise den Gottesdienst gestaltet”. Tatsächlich erlebte ich einen Pastor, der seine Predigten immer kontinuierlich am Bibeltext aufbaute, und er wurde schon bei der zweiten Predigt langweilig. Ich sah fast nur Wiederholungen, Einbezug der Lieblingsthemen usw. Mir wurde so klar, dass auch Äpfel schimmeln können!

Überhaupt gibt es in Deutschland in jedem Ort noch Kirchen und Gottesdienste. Hier predigen fast immer gut ausgebildete Menschen, die ein intensives Theologiestudium hinter sich haben. Gutes hört man aber dann doch eher selten. Mir hilft das direkte Erleben z.B. durch Besuche unterschiedlichster Gemeinden, besser zu erkennen, ob ich gerade dabei bin die schlechten Seiten von Birnen mit den guten Seiten von Äpfeln zu vergleichen und so ein unfaires Urteil zu bilden.

Ich bin also viel vorsichtiger geworden, das mir bekannte Modell zu kritisieren. Die Einbindung vieler Laien birgt auch viele Vorteile und kennt man die Problemstellen kann man sie “at his best” bringen. Dass sich mit dem russlanddeutschen Modell, wenn es gut realisiert wird, nicht so viele messen können, wird mir auch dadurch klar, dass z.B. unsere Gemeinde einige wirklich tüchtige und gesegnete Prediger besitzt, die vollgetränkt sind vom Worte Gottes: Ein Birnbaum wird nicht davon abgehalten Gute Frucht zu bringen, weil er kein Apfelbaum ist!

Das obige Beispiel ist nur eines von Legion:

  • Man bewertet eine Denomination nach ihren schlimmsten (oder natürlich wenn man sie verteidigen möchte, nach ihren besten Vertretern). Ich sehe hier vor allem die charismatische Bewegung, die von ihren Kritikern immer an ihren schlimmsten Auswüchsen bewertet wird, so dass man gar nicht weiß, was eigentlich Charismatiker sind
  • Man sieht in einer historischen Person nur / vor allem gute oder schlechte Seiten.

Anderes Beispiel: Ich stehe persönlich kritisch zu den in vielen Gemeinden praktizierten Altarrufen/Zurufspraktiken (siehe mehr hier). Mir ist aber bewusst geworden, dass ich oft besonders misslungene Altarrufe beschreibe, die eher selten praktiziert werden. Ich muss lernen jede Situation neu und einmalig, so wie sie gerade erlebt wurde zu bewerten. Es ist schon ein “Abfall von Bibeltreue” wenn wir ein bestimmtes System als unantastbar betrachten.

Ich verstehe aber auch, dass es übermenschliche Weisheit Dinge so zu bewerten, wie sie eigentlich wirklich sind. Wir Menschen tragen alle einen furchtbar starken Bias mit uns. Und es ist möglich, zu denken, dass man gerade bemüht ist, von einem System die guten Seiten zu sehen, während man eigentlich schon längst dabei ist, sich Verfaulungen schön zu reden.

Auf “irdischen/menschlichen” Wegen ist diese Weisheit, die “unparteiisch und ungeheuchelt” (vgl. Jak. 3,15-18) nicht zu bekommen. Wir brauchen Weisheit von oben! Diese Weisheit gibt es bei Gott!

Ich denke jeder Bibelleser, selbst ein äußerst oberflächlicher ist von der unbestechlich schonungslosen Art, wie die Bibel über ihre “Helden” berichtet, überrascht. Das haben mir selbst viele Menschen berichtet, die an sich nichts mit der Bibel und dem Evangelium zu tun haben wollen. Hier wird eben nicht ein vorbildlich stilisierter David mit einem wilden Saul verglichen. Es gibt die Tragik des so hochbegabten Sauls mit seiner letztlichen Abwendung von Gott, die genauso ehrlich und authentisch berichtet wird, wie die Tragik des hochbegabten Davids mit seiner immer wiederkehrenden Zuwendung zu Gott.

Das gibt mir Hoffnung! Möchte ich wirklich ein faires Urteil zwischen Äpfeln und Birnen treffen, benötige ich mehr Vertiefung im Wort Gottes!

 

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