Vor Jahren schon habe ich über schockierende Eindrücke berichtet, als ich das erste Mal ernsthaft die Bibel las. Von Beginn an irritierte mich damals auch, dass die Bekehrung der Christen so eine “kleine Rolle” in der Bibel spielt. Irgendwie hatte ich gerade beim Neuen Testament das Gefühl, dass viel zu wenig über Bekehrung geredet wird. Ich fragte mich ständig, wann haben die sich eigentlich bekehrt. So sehr unterschied sich die Erfahrung mit Gottes Wort mit der alltäglichen Erfahrung bzw. auch mit meinen Vorstellungen.
Diese Sorge hielt sich relativ lange und gerade in den ersten Monaten habe ich mir wiederholt die Frage gestellt, ob die Christen um mich herum überhaupt das Richtige/Biblische mit “Bekehrung” verstehen, da doch das biblische Zeugnis ein anderes ist. Doch diese Unruhe konnte ich bald betäuben. Gott sei dank wirkte Gott weiterhin treu an meinem Herzen.
Ganz offiziell bekehrt habe ich mich auf einer evangelistischen Veranstaltung mit Altarruf, in unserem Umfeld “Zuruf” bezeichnet. Der Evangelist führt eine evangelistische Veranstaltung durch und lädt ein “nach vorne zu kommen”, “die Gelegenheit wahrzunehmen, als verlorener Sohn heimzukehren”. Und obwohl ich solche Veranstaltungen schon zu dutzenden besucht habe, stand diesmal mein Entschluss fest, sich nun wirklich zu bekehren. (Im Übrigen hat mich das auch schon damals immer irritiert, warum Spurgeon eigentlich nur evangelistische Predigten hielt und nicht mal auch “normal predigt”)
Also ging ich nach vorne (ich war sechzehn), dann auf die Knie und bekannte alle Sünden. Ich gestehe, ich war etwas enttäuscht, dass entgegen vieler Zeugnisse, nicht das große Gefühl der Erleichterung über mich kam. Doch ich tröstete mich an Gottes Wort, “dass Jesus jede Sünde vergibt”. Dieser Trost sollte jedoch nicht lange anhalten. Denn zur Tradition eines Zurufs gehört auch, dass anschließend ein Seelsorgegespräch mit einem Pastor folgt. Den Mann kannte ich nicht, er kannte mich nicht und fragte mich, ob ich bekennen wolle. Ich war irritiert, dachte ich doch, dass ich mich schon “vorne am Altar bekehrt” hätte.. Ich sagte ihm, dass ich schon vorne Jesus alle Sünden bekannt habe, aber der Älteste war offensichtlich enttäuscht von meiner Herzenshärte. . Er sagte mir schon, dass er verwundert sei, warum ich so wenig Reue habe, wenn ich mich doch bekehren möchte. Ich wagte kaum zu widersprechen, meinte aber doch , dass mir doch schon gerade vergeben wurde. Ich wagte nicht viel zu widersprechen, bei einem Mann der eine so hohe Würde von Gott hat. So bekannte ich zwar auch einige Sünden, bekam aber auch eine tüchtige Ermahnung mit, “es mit meiner Bekehrung ernst zu meinen”. Ich war zutiefst irritiert. Reichte die Bekehrung “am Altar” etwa nicht aus? Offensichtlich hat mir keiner gesagt, dass das Bereuen der eigenen Sünde auch bis einschließlich dem anhängenden Seelsorgegespräch anhalten muss. Dabei war ich überzeugt, es so ernst und entschieden zu meinen, wie noch nie….
Obwohl mit Kirche und Bibel schon seit etwa meinem zehnten Lebensjahr leidlich vertraut, fühlte ich mich nun wie ein blanker Anfänger. Offensichtlich durchschaute der Seelsorger dass etwas mit mir nicht stimmte. Und so krochen schon nach “meiner offiziellen Bekehrung” Zweifel ein? War ich wirklich völlig hingegeben? Habe ich wirklich alle Sünden bekannt? Hätte ich doch auch die Grabschereien in der Schule dem Seelsorger gestehen sollen (und nicht “nur” Jesus)?
Erst viele Jahre später verstand ich eine andere Lektion: Als ich zehn Jahre alt war, fing ich an, die Kirche zu besuchen. Die Geschichten von Jesus faszinierten mich. Der Kinderstundenleiter war wirklich kreativ und erzählte ergreifend von Jesus. Er machte deutlich, dass nur in Jesus das Heil ist, das Jesus alle retten will und seine Schäfchen rettet. Er stirbt für sie aus Liebe. Das fesselt mich ungemein. Ich wage nicht, mich am Altar zu bekehren ,sondern gehe auf eine Wiese, kniee mich hin, rufe den Namen des Herrn an und lade ihn ein, mein Erretter zu sein. Als ich das einen Tag später einem Verantwortlichen der Gemeinde erzähle, weist er mich entschieden zurecht: Kinder können sich nicht ernsthaft bekehren. Sie führen nicht zur echten Wiedergeburt. Und sowieso kann ich gar nicht recht bekehrt sein, denn ich schaue ja auch weiterhin Fernseher.
So etwas prägt ungemein. Letztlich ist es auch eine Theologie der Furcht und des Zweifels. Aber auch der Begriff “Bekehrung” wird gänzlich ergänzt. Statt damit ein “Kommen zu Jesus” oder Glauben an Jesus, oder gar auch bloß “Bereuung der Sünde” zu meinen, wird damit irgendwie “völlige Hingabe”. Nur wer gänzlich der Welt absagt, und nur für Jesus lebt, kann sich “als echt bekehrt” oder “richtig durchgedrungen” zählen. Erst viele Jahre später verstehe ich, dass es absurd ist, vom “Fleisch etwas zu fordern, dass Gott gefallen könne”. Schließlich lehrt uns die Bibel, dass sich das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht unterwirft; denn es vermags auch nicht (Röm. 8,7). Kann etwas das “geistlich tot” ist, für Gott völlig hingegeben sein? Kann ein Blinder hören? Ein Panther seine Flecken ändern? Ein Mohr seine Farbe? Ein Toter selbst auferstehen?
Die Wahrheit ist so nah und so greifbar und ehrlich gesagt, habe ich sie genau sie immer gespürt. Letztlich ist es mein Unglaube, dass ich eher dem Zeugnis der Menschen, statt Gottes Wort glaubte.
Nun zurück zu meinem rettenden Seelsorgegespräch. Ich verlasse es zutiefst verunsichert. Ich wage kaum mit jemanden darüber zu sprechen, obwohl ich rückblickend gestehen muss, dass viele meine Unsicherheit gespürt haben. Aber ich konnte mich niemanden anvertrauen. Ich erinnere mich an die “erste bewusste Sünde” nach meiner Bekehrung. Meine Mutter war nicht amüsiert über meinen Bericht, “dass ich mich nun bekehrt habe und für Gott lebe”. Sie hasst Gott und mit Freude sah sie es, als sie einen Zornanfall bei mir provozieren konnte. Ich war erschüttert. Ich wollte doch hingegeben leben, und nun bin ich wenige Tage nach der Bekehrung in Sünde gefallen. Mit Tränen suchte ich Frieden mit Gott und doch blieben Zweifel, ja sie wurden größer, denn schon bald folgte der nächste Fall und noch ein Fall. Der Seelsorger hatte recht, meine Bekehrung war bloß ein Fake, hatte keine echte Reue. Diese Tage las ich intensiv viel im Neuen Testament. Geradezu fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg für mich. Dann stieß ich das allererste Mal auf Heb. 6,4-6. Das Urteil war für mich eindeutig: Ich bin endgültig abgefallen. Ich war geradezu wütend darüber, dass mir noch nie jemand jemals etwas von dieser Stelle gesagt hatte. Der Text war derart eindeutig: Einmal abgefallen, endgültig abgefallen. Hätte ich das doch vor meinen Grobheiten, vor meinen schlechten Witzen usw… gewusst, dann hätte ich wenigstens noch eine Chance gehabt, dachte ich.
Ich beschwor Gott unter Tränen mir doch eine Chance zu geben. Ich flehte um ein Zeichen. Ich suchte verzweifelnd in der Bibel, fand aber überall nur Anklagen. Auf jeder Seite der Bibel sah ich den klaren Anspruch, dass von mir völlige Einhaltung der Gebote gefordert wird.
Die Krise hielt etwa drei Monate. Ein Lichtblick kam, als mich “mein geistlicher Vater” fragte, ob ich Zweifel habe, dass ich gerettet bin. Erst versuchte ich auszuweichen, dann zu lügen, doch er blieb beharrlich. Interessanterweise folgte keine Rüge, sondern der Hinweis, dass ich gar keinen Grund habe an Christus zu zweifeln, da er doch gesagt hat, “dass er niemanden ausstoßen würde, der zu ihm kommt” (ich meine Joh. 6,37 und er wie ich betonten nicht den anderen Teil dieser Stelle). An dem Tag raste ich nach Hause, schlug die Stelle nach und ein erster Friede zog ein. Langsam verstand ich, dass bereits das zu Gott kommen, eine Gnade, ein Geschenk von Gott ist. Dass gerade dieses Kommen bereits zeigt, dass man ein “Schaf Jesu” sei.
Etwa zwei Monate später, dann die nächste Krise. Erneut eine evangelistische Veranstaltung. Während der Predigt betete ich ernstlich, dass möglichst viele Sünder zu Jesus kommen, dass der Evangelist mit Vollmacht “die Scheunen vollmacht”. Doch plötzlich war ich verwirrt. Die Botschaft klagte auch mich an. Der Prediger sprach über die Bedeutung echter Hingabe, Notwendigkeit wahrer Buße, des Lebens im Geist. Ich musste mir gestehen, in allen drei Fällen war bei mir noch einiges im Argen. Den ganzen Zuruf hindurch betete ich zu Gott, dass er mir vergeben soll, dass ich nun nicht “nach vorne gehe”. Rückblickend glaube ich, dass ich schon damals gespürt habe, dass das keine rechte Lösung sein kann, bei jedem einzelnen Zuruf/Altarruf “nach vorne zu kommen”.
So oft habe ich mich also falsch bekehrt. Wenn es eine Sache gibt, die ich ständig falsch gemacht habe, dann sind es meine Bekehrungen. Erst später lernte ich, dass dieser Konflikt nicht nur auf den Friedensstimme – Konferenzen stattfindet, sondern die Frage “wie man einen gnädigen Gott haben kann” Luther dazu trieb, einen Riss in die Kirche zu jagen. Noch später verstand ich, dass Bunyan jahrelang ähnliche Kämpfe durchstand (obwohl von guter Theologie umgeben). Dieser Kampf des Glaubens hängt sehr wohl mit Theologie zusammen und ist doch vor allem ein Kampf des Herzens. Schlechte Theologie gab dem Feind ordentlich Munition in diesem Kampf.
So blicke ich es eigentlich erst die letzten Jahre, dass es ein ordentlicher Fehler war Bekehrung mit “ganzer Hingabe” gleichzusetzen. Aber wahrscheinlich ist es ein noch größerer Fehler, Buße nicht als Frucht des Geistes zu sehen.
Von ferne betrachtet klingt es wie ein seltsamer religiöser Feinschmecker-Streit, wenn man der Frage nachgeht, ob nun die Wiedergeburt oder die Buße zuerst da sei. Diese Formulierung las ich heute im Glaubensbekenntnis einer Gemeinde: “Jeder Mensch muss sich in Reue und aufrichtiger Buße zu Gott wenden, um das Heil seiner Seele, die Wiedergeburt, zu erleben”. Des Menschen Anteil sei die Buße, dann komme Gottes Anteil, die Wiedergeburt. So suchte ich jahrelang nach ausreichend Buße, um mir die Gewissheit der Wiedergeburt zu erringen. Gerade mein Versuch Gott mit meiner Buße zu beeindrucken wird so zu einem Werk des Fleisches, dass Gott nicht gefallen kann. Aber ändere nun die Reihenfolge. Stelle die Wiedergeburt als Werk Gottes an den ersten Platz und die Buße als Frucht des Neuen Lebens hinterher und schon sind alle Probleme die oben geschildert werden, gelöst. Eigentlich ist es doch genau das, was Jesus Nikodemus erklären möchte: Es sei denn, dass du von Neuem Geboren wirst, kannst du Gottes Reich nicht sehen…
Natürlich ist es offensichtlich, dass ich mich nun an Sola Gratia. Gott rettet Sünder. Diese Botschaft kann man unterschiedlich ausdrücken:
- Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide (Ps. 100,3)
- Gott hat seine Gemeinde gereinigt durch das Wasserbad im Wort (Eph. 5,26)
- Er hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünde (Kol 1,13-14)
- Einst waren wir nicht sein Volk, nun sind wir Gottes Volk, einst nicht in Gnaden, nun in Gnaden (1. Pet 2,10 spielt auf Hos. 2,25 an)
- Aus Gnade sind wir gerettet durch Glauben, und das nicht aus uns, sondern es ist Gottes Gabe, nicht unser Werk (Eph. 2,8-9)
Die Bibel betont auf so vielen Arten, dass unsere Errettung ein Werk Gottes ist, dass ich nur über meine Blindheit staunen kann, dass ständig (und auch bis heute) zu übersehen. Immer wieder will ich es versuchen, mir Gottes Güte zu verdienen. Mir seine Vergebung durch ausreichend Zerknirschung/Reue/Selbsthass/Versprechen oder sonst was anzueignen. Man könnte noch viel darüber schreiben, aber wenden wir uns doch einer biblischen Bekehrung zu. Blicken wir darauf, wie sich Zachäus bekehrt hat.
Schon seit ich das erste Mal von Zachäus gehört habe, habe ich mich immer gefragt, warum seine Bekehrung derart unspektakulär ist. Wo sind denn die Tränen? Wo die Reue? Wo die Aufzählung aller Vergehen? Aber das ist es eben, wenn eine Bekehrung Geistgewirkt ist. Da ist erst der Wunsch Jesus zu sehen (Luk. 19.3), da ist Jesus, der bewusst ihn sucht (V5). Jesus, der bei ihm einkehren muss!!! Da ist Gemeinschaft mit Jesus. Das alles bewirkt eine Veränderung in Zachäus Leben. So bringt Jesus diesem Hause Heil (V.9) und rettet Zachäus, rettet ihn von einem Leben voller Betrug, Unsicherheit, Gottes Feindschaft. Zachäus ist ein Sohn Abrahams, deswegen widerfährt ihm Heil. So sind heute alle, die aus dem Glauben sind, Söhne Abrahams (Gal. 3,7)
Jesus ist wirklich der gute Hirte. Verirrte Schafe brauchen keinen Lehrer, der ihnen den Weg zurück weist. Denn den können Sie nicht laufen. Sie sind verheddert im Gestrüpp der Sünde. Sie sind verletzt und krank. Sie brauchen einen Hirten, der sie sucht, aus den Dornen befreit, auf die Schulter nimmt und nach Hause bringt. Genau das tut Jesus für sein Volk. Das tut er für dich und mich! Zu ihm wollen wir im Glauben aufblicken. Oder anders gesagt: Hör damit auf, dir die Gunst Jesu verdienen zu wollen. Verschwende nicht die Kraft damit, den Weg nach Hause selbst zu finden. Vertraue Jesus und seinem Licht, alles andere hilft dir nicht!
Amen Bruder. Unser Heil ist sicher in unserem Heiland, in Jesus Christus. Und nicht in uns. Und genau DAS befreit und weckt den Wunsch ihm zu dienen und zu folgen.
Danke für die einfache Erklärung einer einfachen Tatsache. Warum nur machen wir es häufig so kompliziert?
Wahrscheinlich musste ich lernen, dass ich selbst für meine Buße Buße tun muss.
Erstaunlich wie reichhaltig die biblischen Texte sind. Ganz anders als du, erfreue ich mich immer wieder daran, wieviele, und gerade radikale, Bekehrungen in der Bibel beschrieben sind.
In den Evangelien Maria, Andreas, Petrus, Zachäus, Simon von Kyrene, um nur einige zu nennen. Und in der Apostelgeschichte überhaupt Bekehrung um Bekehrung.
Danke für deinen Kommentar. Du hast natürlich recht, ich musste lernen genau in den Begegnungen mit Jesus “Bekehrung” zu sehen. Zuerst erschienen die mir alle “nicht fromm” genug. Zudem, im Kontext, dass “Gemeinde /Zeit des Neuen Testamentes” erst zu Pfingsten beginnt, wären alle in den Evangelien geschilderten Bekehrungen ja nicht zur “Wiedergeburt” führend und somit irgendwie auch nicht wirklich bedeutend. – Wie du siehst geht es mir um eine verkorkste Exegese. Übrigens über die Bank her begegnet, in den Anfangsjahren habe ich einige gefragt, wann den Petrus und Maria sich bekehrt haben, es wurden dabei selten die Evangeliums Begegnungen genannt.