Wie wurde John Piper Calvinist?

Dieser Artikel von John Piper erschien am 19.08.2020 unter dem Titel: „How Did John Piper Become a Calvinist?“  Übersetzt von Viktor Zander, mit freundlicher Genehmigung von Desiring God (download)

Audio Transkript

Manche Leute denken vielleicht, dass John Piper als Calvinist geboren wurde. Falsch gedacht. Tatsächlich geschah seine Annahme Reformierter Heilslehre mit dem Preis von einigen sehr schmerzhaften Lebenserfahrungen. Einige davon teilte er in einer Predigt im Jahr 2002 (hier auf Deutsch) mit. Hier ist Pastor John und erzählt von einigen dieser Schlüsselmomente seines Lebens in der Hochschule, nämlich der Konfrontation mit Philipper 2,12-13 und Römer 9. Im Folgenden seine Erklärung.

Es gibt zwei Erlebnisse in meinem Leben, die Römer 9 für mich zu einem der wichtigsten (wenn nicht sogar zu dem wichtigsten) Kapitel in der Bibel machen. Dies dahingehend, wie es die Art geformt hat, wie ich über alles denke, und wie es den Ort bestimmt hat, an den ich von Gott in den Dienst geführt wurde, nämlich nach Bethlehem[2].

Lehre und Leben

Der Grund dafür, dass ich mich auf diese autobiographische Weise öffne, liegt nicht darin, dass es wirklich wichtig ist, was ich erlebt habe. Es geht nicht darum, was ich über irgendetwas denke oder darum, was ich irgendwo erlebt habe. Ich erzähle das autobiographisch, weil es bei den Lehren aus Römer 9 um das Leben geht.

Es geht dabei um Entscheidungen, die du treffen wirst, die unumkehrbar sein werden. In Krisensituationen des Lebens erlebst du Situationen, und du weißt, dass du niemals wieder zurückkehren wirst, wenn du die Linie überschreitest. Du musst wissen, dass es genau das ist, womit wir es in Römer 9 zu tun haben. Es geht hier nicht einfach nur um ein Streitthema. Es geht nicht bloß um intellektuelle Gedankenspiele. Es geht nicht bloß um Lehre. Es geht darum, was aufgrund einer Sicht über Gott und über die Erlösung, die in diesem Beitrag vermittelt wird, mit deinem Leben geschehen wird.

Ein Gott der wirkt

Als ich 1968 mit meinem Studium anfing, glaubte ich an die Freiheit meines Willens im Sinne von entscheidender Selbstbestimmung. Ich hatte das nicht aus der Bibel gelernt. Ich hatte das aus der selbstverliebten, selbsterhöhenden, selbstachtenden, selbstgenügsamen Strömung aufgesaugt, die du und ich in dieser Welt täglich einatmen. Hier atmete ich sie ein. Sie steht nicht in der Bibel. Nicht ein einziger Vers lehrt den selbstbestimmenden Willen des Menschen, aber ich glaubte daran, wie eben die meisten Leute daran glaubten. Die Souveränität Gottes bedeutete für mich, dass er alles mit mir tun konnte, was ich ihm zu tun erlaubte. Das bedeutete Souveränität Gottes für mich.

Gerade mit dieser Geisteshaltung kam ich in eine Vorlesung von Daniel Fuller über den Philipperbrief. Ich besuchte zudem eine Vorlesung  über die Heilslehre von James Morgan, der während meiner Zeit am Fuller-Seminary an Krebs starb. Ich hatte einen Frontal-Crash mit Philipper 2,12: „Bewirkt euer Heil mit Furcht und Zittern!“ Ich rannte gegen Phil. 2,13 wie gegen eine Mauer an: „Denn Gott ist es, der in euch wirkt, sowohl das Wollen als auch das Wirken zu seinem Wohlgefallen.“ Meinem Wollen liegt Gottes Wollen zugrunde, meinem Tun liegt Gottes Tun zugrunde.

Die Frage war nun nicht: Habe ich einen Willen? Die Frage war: Warum will ich das, was ich will? Die endgültige Antwort (nicht die einzige Antwort) darauf lautet: Gott.

Unverrückbare Erwählung

Daraufhin belegte ich Systematische Theologie bei James Morgan. Wir beschäftigten uns, wie für Kurse der Systematischen Theologie üblich, mit der Lehre der Erwählung und der Gnade. Römer 9 erwies sich in diesem Kurs als der Text, der ein Scheideweg war. Ich stieß auf diese Verse in Römer 9,11-12:

„Denn als die Kinder [Jakob und Esau] noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten – damit der nach freier Auswahl gefasste Vorsatz Gottes bestehen bliebe, nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund des Berufenden -, wurde zu ihr [Rebekka] gesagt: “Der Ältere wird dem Jüngeren dienen”.“

Bevor sie irgendetwas Gutes oder Böses getan hatten, damit die Auswahl bestehen bliebe, wurde Esau Jakob unterworfen. Und das wirft die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes auf. Und daher lasen wir im Kurs, und auch du kannst es genau jetzt in deiner Bibel lesen, Römer 9,14: „Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?“

Paulus antwortet mit einem Nein. Er zitiert in Römer 9,15 Mose: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und werde Mitleid haben, mit wem ich Mitleid habe.“ Was die Frage nach seinem unwiderstehlichen Willen aufwirft, welche Paulus in Römer 9,19 stellt: „Was beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“ Und in Römer 9,21 antwortet er: „Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das ein Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“

Eine weitaus bessere Sache

Nun ja, bei einem 22-Jährigen (oder einem 82-Jährigen) brodeln Gefühle sehr schnell über, wenn er sieht, wie seine mensch-zentrierte Welt um ihn herum zusammenbricht. Eines Tages traf ich auf dem Flur James Morgan, der mich mit diesen Texten, die mich äußerst wütend machten, konfrontiert hatte und mich am Nachmittag, wenn ich meine Bibel las, zum Heulen brachten.

Ich zog meinen Stift aus der Tasche und stellte mich vor ihn hin. Nach einigen Minuten hitziger Diskussion hielt ich meinen Stift vor sein Gesicht und ließ ihn auf den Boden fallen. Mit viel weniger Respekt, als diesen ein 22-Jähriger vor einem Professor haben sollte, sagte ich: „Ich habe ihn fallen gelassen. Ich habe ihn fallen gelassen.“ Als würde das die Sache klären, als gäbe es keine göttliche Autorität oder Macht, die irgendwie mein Fallenlassen beherrscht hätte. Gefühle kochen sehr hoch, wenn die Welt zusammenbricht.

Am Ende des Semesters lag meine Welt in Trümmern. Und ich schrieb in mein blaues Buch – ich kann mich noch ganz genau an den Platz im Klassenraum erinnern, an dem ich saß: „Römer 9 ist wie ein Tiger, der umhergeht und Anhänger des freien Willens wie mich verschlingt.“ Und das war das Ende meiner Affäre mit der Autonomie des Menschen und der schlussendlichen Selbstbestimmung meines Willens. Es war zudem der Beginn einer Liebesgeschichte mit der souveränen Erhabenheit Gottes.

[1] https://www.desiringgod.org/messages/the-absolute-sovereignty-of-god.

[2] Gemeint ist die Bethlehem Baptist Church in Minneapolis, in der John Piper leitender Pastor ist.

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