Ein Artikel von Hans Boersma. Erschienen am 03.11.2020 auf FirstThings unter dem Titel: „Ugly Chickens in Heaven?“. Übersetzt von Ruth Metzger, mit freundlicher Genehmigung von FirstThings (Download als .pdf).
Ich befand mich in einer Einführungsvorlesung in Kunst im Rahmen des Grundstudiums an einem evangelikalen College. Das Ziel war ziemlich eindeutig definiert: den Glauben mit dem akademischen Bereich zu verbinden und hier ganz spezifisch das Christentum mit der Kunst.
Die Schlussfolgerung lautete im Kern: Wahre Kunst ist nicht sentimental. Die Malerei von Thomas Kinkade diente als Beispiel. Die idyllischen Bilder des amerikanischen Malers, so die Professorin, sind nicht schön. Schönheit und Sentimentalität sind zweierlei. Wahrhaft schöne Kunst zeigt das Leben wie es ist – ungeschminkt und ungeschönt.
Ich empfand eine gewisse Verlegenheit, denn irgendwie gefielen mir die Bilder von Kinkade in ihrer PowerPoint-Präsentation (und insgeheim fragte ich mich, was sie wohl von Picasso hielt, verglichen mit Kinkade). Aber die Vernunft siegte, und ich beschloss, dass meine Geschmacksknospen wohl der Erziehung bedurften.
Nun ist dieser Artikel kein Plädoyer für Kinkade oder für die Sentimentalität in der Kunst allgemein.
Sentimentalität mag oft zu Unrecht einen schlechten Ruf haben (wie auch ihre Verwandte, die Nostalgie), aber sie hat auch ihre Schattenseite.
Und doch stört mich bis heute, dass in dieser Vorlesung die Proportionalität – ein wichtiger Aspekt von Schönheit – fehlte. Ganz klar zielte der Vortrag darauf ab, konservative evangelikale Studenten zu dekonstruieren – ein sehr beliebter Zeitvertreib unter Professoren an christlichen Colleges.
Die Philosophen sprechen von drei Transzendentalien: Wahrheit, Gutheit und Schönheit. Was auch immer wir unter „Transzendentalien“ verstehen – der Begriff bezeichnet offensichtlich etwas Würdiges. Wenn wir eine Aussage als wahr, eine Handlung als gut oder eine Erscheinung als schön bezeichnen, dann ist das ein explizites Lob. Wir wollen jetzt hier nicht über die Beziehung zwischen Wahrheit und wahren Aussagen, Gutheit und guten Handlungen oder Schönheit und einer schönen Erscheinung rätseln. (Aber ich will ganz offen sein: Ich bin ein christlicher Platoniker und denke, dass in jedem dieser Fälle das Letztere am Ersteren Anteil hat.) Der Punkt ist: Worte streben nach Wahrheit, Handlungen nach Gutheit und das Erscheinungsbild nach Schönheit. Anders ausgedrückt: Falschheit ist kein Teil der Wahrheit; Böses ist kein Teil des Guten; Hässlichkeit ist kein Teil der Schönheit.
Oder doch? Hans Urs von Balthasar wählt das Kreuz als Ausgangspunkt seiner Theologie der Schönheit. Er geht davon aus, dass die sich selbst opfernde Liebe Christi das Kreuz zum zentralen Moment der göttlichen Selbst-Offenbarung und damit der Schönheit selbst macht. Ausgerechnet in der Hässlichkeit des Kreuzes sehen wir also die Schönheit Gottes.
Die zauberhaften Romane und Kurzgeschichten von Flannery O`Connor verwenden das Groteske ganz exzessiv und stören dadurch ständig unseren Wunsch nach Harmonie und Ausgewogenheit. Michael Brunners A Subversive Gospel stellt klar, dass O´Connor absichtlich die traditionellen Transzendentalien auf den Kopf stellt, indem sie sie als „schreckliche Schönheit, gewalttätige Gutheit und törichte Wahrheit“ darstellt. Es ist tatsächlich Konsens geworden, die Vorstellung von Schönheit „in und aus sich selbst“ als etwas rein „Konventionelles“ abzutun und damit dem Misthaufen der Geschichte zu überantworten.
Balthasar war ein großer Theologe und O´Connor eine großartige Schriftstellerin. Aber ich bin ganz und gar nicht davon überzeugt, dass das Kreuz die klassische Vorstellung von Schönheit unterläuft. Wir sollten den Wunsch nach Auflösung nicht zu schnell aufgeben. Und wir sollten auch nicht zu schnell schließen, dass Gottes eigene Schönheit auch ihr Gegenteil enthalten könnte.
Kunst sollte trotz allem die Verzerrung, die Gewalt und die Torheit miteinschließen. Die Kunst kann ja die Errettung nur auf dem Hintergrund des Elends abbilden. Der Kontrast mit dem Grotesken lässt die Schönheit umso mehr erstrahlen, so wie das mea culpa unserer angeborenen Sündhaftigkeit uns Gottes Gnade umso mehr bewundern lässt. Und obwohl sie in enger Beziehung zueinanderstehen, sind Kunst und Schönheit nicht dasselbe. Kunst schließt berechtigterweise hässliche Dinge mit ein.
Es ist also nicht verkehrt, wenn O´Connor in ihren Geschichten von Hühnern „mit einem grünen und einem orangen Auge oder mit überlangen Hälsen und schiefen Kämmen“ schreibt. Nur – so ein Huhn ist nicht schön. Es ist hässlich. Im Himmel gibt es keine hässlichen Hühner. Und der christliche Künstler tut gut daran zu bedenken, dass Auflösungen in der Kunst die Auflösung der Geschichte vorwegnehmen. Durch das Kreuz ist die eschatologische Zukunft der Schöpfung in göttlicher Schönheit sichergestellt.
Hans Boersma ist Professor für Asketische Theologie am Nashtoah House Theological Seminary.