1. Petrus 3,18 (LU) — 18 Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte; er ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.
Dieser Artikel soll eine Trilogie fertigstellen, die schon längst hätte fertig sein sollen.
Teil 1: 10 Jahre unverdiente Treue
Teil 2: 20 Jahre irritierende Vaterlosigkeit
Alle diese Artikel sind sehr persönlich und geradezu von intimen auch zerbrechlichem Charakter. Ich weiß nicht ob ich in Zukunft Kraft für solche Einblicke finden werde. Dennoch wollte ich euch diesen sensibelsten Teil meiner Biographie nicht vorenthalten, der mein theologisches Denken, wenn auch auf schmerzliche Weise, für immer geprägt hat.
Sehr häufig beobachte ich, das Eltern von Ihren Kindern auf eine Weise schwärmen, die sie blind für die Fehler und auch Vergehen ihrer Kinder macht. Ich habe bis heute keine Erklärung dafür, warum das in unserem Hause umgekehrt war. Meine Mutter legte Wert darauf, mich vor anderen lieber in einem negativen, manchmal bewusst künstlich negativem Licht stehen zu lassen… Und Sie nahm Vergehen ernst! Sehr ernst! Bis heute ist es so, dass ein Großteil unserer gemeinsamen Gespräche über mein Versagen handelt, das sie fürchterlich mitnimmt. Häufig werden mir Übertretungen aus der Grundschulzeit in aller Deutlichkeit vorgehalten. Nun könnte man sagen, meine Mutter kann nicht vergeben! Aber versucht die Situation aus meiner Perspektive zu sehen.
Ich schreibe das hier gerade ohne Groll aber sich nicht ohne Schmerz nieder. In allen Vorwürfen konnte ich immer die Berechtigung derselben sehr klar wahrnehmen. Denn die Schuld, die mir angekreidet wird, ist ja echte Schuld. Mir ist in meiner Kindheitvso immer klarer geworden, was sie so echt macht: Schuld ist nämlich nicht mehr wieder gut zu machen. Man mag törichterweise an ein Aufwiegen von Gut und Böse denken, aber das würde in diesem Denken keinen Sinn machen. Warum sollte eine Gehorsamstat eine Ungehorsamstat wieder aufwiegen? Die Blamage und Beschämung, – beides nahm und nimmt meine Mutter besonders mit – kann dadurch ja nicht aufgewogen oder vernichtet werden. Und je mehr ich darüber nachdachte und heute nachdenke, desto mehr macht das Sinn. Schuld ist wirklich unvergebbar! Angenommen ich handele töricht und frech gegenüber meiner Mutter, warum sollte ein “Es tut mir leid” ausreichen, um das Vergehen “wieder gut zu machen”. Bei diesem Punkt war meine Mutter wirklich konsequent: Schuld kann nicht wieder gut gemacht werden. Beachtet das Wahre dieser Anklage: Das Schuld wirklich so real ist, dass sie nicht einfach durch ein “Es tut mir leid”, oder “Ich will mich ändern” oder durch eine Anzahl guter Werke aufgewogen oder entfernt werden könnte. Denn das Vergehen, die erlittene Beschämung bleibt bestehen.
Irgendwie ist dieses Konzept der unvergebbaren Schuld immer mehr in mein Fleisch und Blut übergegangen und hat mich natürlich tief geprägt. Ich glaube auch, dass hier die Bibel furchtbar konsequent ist: Schuld ist real, Schuld kann nicht “vergeben” werden. Nicht vergeben im Sinne von, dass sie durch eine Zeremonie, gute Tat, oder durch irgendeine Tat oder Macht oder sonst Etwas überwunden werden kann…außer durch den Sühnetod Jesu. Schuld wird vergeben, weil sie bezahlt ist. Ich habe 1 Pet 3,18 im Blick, als einen von vielen Versen, die über dieses Konzept der biblischen Sühne sprechen: Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte; er ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.
Warum hat diese Erfahrung, das Vergebung nicht “einfach so zugesprochen” wird, mich so tief geprägt?
Da wäre zum einen die theologische Ausrichtung. Ich bin im Wesentlichen aufgrund der Betonung der Stellvertretenden Sühne durch Christi Tod Anhänger reformierter Theologie geworden. Im klassischen Evangelikalismus wird Gott allzu häufig als ein Gott “der ja vergeben muss, weil es sein Job ist”, dargestellt. Eine Verzerrung seiner Gnade auf Kosten seiner Gerechtigkeit.
Wenn schon meine ungerechte Mutter so einen berechtigten Anspruch auf Gerechtigkeit besitzt, wie sollte Ihn nicht der vollkommene Gott besitzen? Nur wer keine Ahnung von der Tiefe menschlicher Schuld hat, kann von Vergebung ohne Sühne sprechen.
Aber da wäre auch die Sensibilität bei der Frage nach der Heilsgewissheit. Ein Thema, zu dem ich mich in vielen Artikeln geäußert habe und mich wirklich bewegt! Aber wie häufig wird über Heilsgewissheit auf eine ungewöhnlich plumpe Weise gesprochen. Man spricht von einer Kette: Bekehrung – Wiedergeburt- (Ein bisschen) Heiligung – Heilsgewissheit. Folgt man dieser Kette konsequent, ist aber vollkommene Heiligung gefordert, damit man Heilsgewissheit beanspruchen könnte! Zurück zu meiner Kindheit: Damit die Beziehung mit meiner Mutter wiederhergestellt werden könnte, hätte gar keine Schuld vorliegen dürfen oder ich müsste zumindest gewähren, nie wieder solche Vergehen zu bringen. Deswegen ist auch der Pfand unserer Seligkeit, also die Gewährung unserer Heilsgewissheit nur der Botschaft vom Kreuz zu entnehmen. Man betrachte aber so viele schriftliche oder visuelle Beiträge zu Fragen wie “Kann ich das Heil verlieren?”, “Woher weiß ich, dass ich gerettet bin?” und derlei mehr, die den Sühnetod Jesu ausblenden und stattdessen irgendwelche Prozesse im Blick haben.
Stichwort: Prozesse. Wie oft wird man, wenn man auf der Suche nach der Heilsgewissheit ist, darauf hingewiesen, dass man nur “ernstlich Buße tun solle”. Aber das ist schlichtweg nicht wahr! Wie viele Stunden habe ich in Tränen gerungen, das mir meine Mutter nur ein Vergehen vergeben mag! Das wurde nie gewährt! Denn nicht ein flehentliches Bitten um Vergebung gewährt uns diese, sondern der Sühnetod Jesu. Das ist nicht im Mindesten ein Angriff auf ernste und erschütternde Buße, sondern eine Wiederherstellung der richtigen Priorität. Wir dürfen Buße tun und uns wird Vergebung gewährt, weil Christus unsere Schuld getragen hat: “Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.” (Jesaja 53,5)
Nun sollte man nicht meinen, dass ich das Rechtsempfinden Gottes mit dem meiner Erzieher gleich stelle. Aber wenn ich die Ansprüche meiner Mutter für berechtigt hielt, wie viel mehr die von Gott! Denn Gott weiß ja auch um die ganzen verborgenen Fehle, um die verderblichen Gedanken und um das böse Trachten des Herzens, von dem die Menschen höchstens eine Ahnung haben könnten! Konfrontiert mit meiner Schuld war mir vor allem in meinen jungen Jahren noch furchtbarer zu Mute, wenn ich an die definitiv berechtigten Ansprüche Gottes des Vaters denke. Immer wieder will das Bangen wiederkehren, und nur der Blick zum Kreuz gewährt die Gewissheit der Vergebung. Hier erfahre ich, das “Gott den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.” (2 Kor 5,21).
Aber man sollte mit diesem oben geschriebenen nicht meinen, dass die Gerechtigkeitsansprüche einer Frau die Wirkung von Moses Gesetz entfalten, die uns zu einem Zuchtmeister wird, der uns zu Christus treibt. Auch wenn dies in meinem Leben durch Gottes Gnade der Fall war, treibt diese Art fleischlicher Gerechtigkeit, also diese Unbarmherzigkeit, die nicht zu Christus sondern normalerweise zum Perfektionismus . Weil aber dieser nie erreicht wird, folgt Frustration und Selbsthass. Die Reue dieser Welt wirkt den Tod. Das wiederum macht mich heute so sensibel auf jegliche Art von Selbstgerechtigkeit, die in der Christenheit so häufig aufkeimen möchte. Euch möchte ich zurufen: Ihr Sünder könnt euch die Gerechtigkeit nicht verdienen, ihr könnt nicht gerecht werden vor Gott, ihr könnt durch Gott nur für “gerecht erklärt werden”, dies aber nicht, weil er blind wäre für eure Schuld, sondern weil sein Sohn eure fürchterliche Schuld getragen und bezahlt hat. Hier erweist sich der Weg zu echter Selbstgerechtigkeit, hier wird klar, wie kostbar es ist, wenn in Christus “unvergebbare Schuld” vergeben wird.
Nun bin ich endlich durch meine drei biographischen Perspektiven gekommen:
Den ersten Teil habe ich gewählt, um den Beziehungsaspekt zu Elvira, meiner Frau, und zu meinen Kindern zu beschreiben, der mich zutiefst prägt und herausfordert. Zuerst kommt meine Berufung als Ehemann und Vater, dann kommt meine Berufung als Ehemann und Vater, und dann kommt eine ganze Weile erst nichts, bevor die anderen Berufungen meinetwegen kommen mögen.
Mein Verständnis von meiner Außenwelt ist zutiefst von der klaffenden Vaterwunde geprägt (Teil 2). Es ist grausig ohne Vater aufzuwachsen, das wünsche ich niemanden. Ich habe versucht zu beschreiben, wie meine Frage nach der Identität in unserer Gesellschaft in meinem Fall mit dieser Wunde zusammenhängt.
In diesem Letzten Teil beschreibe ich in irgendeiner Weise ein Schlüssel-element meiner Beziehung zu Gott. Mich graust es vor seiner Gerechtigkeit! Diese ist sicher viel berechtigter, als die Ansprüche meiner Mutter, die schon furchtbar waren und sind! Nur im Blute Christi finde ich Zuflucht. Diese Erfahrung treibt mich auf eine ganz existentielle Weise zu Christus und schafft mir einen Frieden, der höher ist, als alle Vernunft.