Von der Gefahr der Menschenfurcht

Marshall Segal:

Wer auch immer du bist, wo auch immer du lebst, wie alt auch immer du bist, du lebst entweder, um Menschen zu gefallen oder du lebst, um Gott zu gefallen. Wenn du denkst, es sei möglich, beiden zu dienen, lebst du eher, um den Erstgenannten zu gefallen und nicht Letzterem.

Gott ist zu Recht liebevoll eifersüchtig auf unsere uneingeschränkte Hingabe. Und jede bedeutungsvolle Beziehung, die wir haben, wird darum wetteifern, ihn vom Thron zu stürzen, ob offensichtlich oder auf subtile Weise. Aus diesem Grund sagt Jesus: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ (Matth. 10,37). Die Sünde schafft es, die Liebe und Anerkennung der Menschen aufregender und erfüllender erscheinen zu lassen als die Liebe und Anerkennung Gottes.

Der Apostel Paulus kannte die Versuchung der Menschenfurcht und er hatte gelernt, dass niemand zwei Herren dienen kann.

„Denn rede ich jetzt Menschen zuliebe oder Gott? Oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefiele, so wäre ich Christi Knecht nicht“ (Gal. 1,10).

Die Gegenüberstellung ist genauso treffend wie erschreckend: Wir können nicht danach streben Menschen zu gefallen und gleichzeitig Christus dienen. Nun kann natürlich auch Paulus selbst sagen: „wie auch ich in allen Dingen allen zu gefallen strebe“ (1. Kor. 10,33), aber nur, weil diese Liebe Ausdruck seiner vorrangigen Bestrebungen ist, Gott zu gefallen
(1. Kor. 10,31; 33). Wenn wir allerdings leben um Lob, Anerkennung und Annahme anderer zu bekommen, können wir nicht zu Jesus gehören.

Erkennen wir also die tödliche Versuchung in unseren Beziehungen? Sind wir wie Paulus der Anerkennung von Menschen gestorben? Sein Brief an die Galater gibt uns einen Einblick in dieses Schlachtfeld und liefert uns einige Waffen für den Kampf.

Wohl vertraut damit, Menschen gefallen zu wollen

Paulus kann persönlich und tiefgreifend über die Menschenfurcht sprechen, weil er selbst einst nach der Anerkennung anderer strebte. Dies sind seine Bekenntnisse:

„Denn rede ich jetzt Menschen zuliebe oder Gott? Oder suche ich Menschen zu gefallen?
Wenn ich noch Menschen gefiele, so wäre ich Christi Knecht nicht.
Denn ihr habt von meinem früheren Verhalten im Judentum gehört, dass ich die Gemeinde Gottes über die Maßen verfolgte und sie zu vernichten suchte und im Judentum mehr Fortschritte machte als viele Altersgenossen in meinem Volk; ich war ja für meine überkommenen väterlichen Überlieferungen in viel höherem Maße ein Eiferer.“

(Gal. 1,10; 13-14)

Sein früheres Leben veranschaulicht, wie zerstörerisch Menschenfurcht sein kann. Indem er die Gemeinde gewaltsam durch Verspottung, Angriffe, Inhaftierung und sogar Hinrichtung von Jesus-Gläubigen verfolgte, erhielt er ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, ein bisschen mehr Anerkennung, ein bisschen mehr Lob als seine Mitstreiter. Natürlich hätte er behauptet, er strebe nur danach Gott zu gefallen und vielleicht dachte er sogar, er strebe danach, Gott zu gefallen, aber im Nachhinein sieht er seine verborgenen Beweggründe deutlicher.

Wenn Paulus sagt: „Wenn ich noch Menschen gefiele, …“, ist das „noch“ wirklich wichtig. Er hatte dem Götzen namens Menschenfurcht jahrelang gedient und ihn als grausamen Meister entlarvt, der einem das Leben, die Liebe und die Freude raubt, und in eine Sackgasse führt. Und im Galaterbrief schreibt er an eine Gemeinde, die versucht war, demselben Götzen zu dienen.

Der Götze des guten Ansehens

Wie wurde die Gemeinde der Galater konkret von der Menschenfurcht beherrscht? Irrlehrer hatten sich eingeschlichen und lehrten die nichtjüdischen Gläubigen, dass sie die jüdischen Gesetze befolgen müssten, um gerettet zu werden. Wir können jedoch feststellen, dass es ihnen nicht um die Gemeinde ging, sondern um sich selbst.

Sie wollten der möglichen Verfolgung durch die Juden entgehen, sollten die Galater sich zwar zu Christus bekennen, sich aber weigern die Beschneidung, die Speisevorschriften und andere spezifisch jüdischen Gesetze zu befolgen. Sie wollten auch die Anerkennung und das Lob der jüdischen Autoritäten für die Bekehrung der Nichtjuden zum Judentum. Anders ausgedrückt: Sie fürchteten die Ablehnung und die Anfeindungen bestimmter Leute und suchten nach ihrer Bestätigung und ihrem Beifall.

Paulus erklärt: „Die Ansehen haben wollen nach dem Fleisch, die zwingen euch zur Beschneidung, nur damit sie nicht um des Kreuzes Christi willen verfolgt werden. Denn nicht einmal sie selbst, die sich beschneiden lassen, halten das Gesetz, sondern sie wollen, dass ihr euch beschneiden lasst, damit sie sich eures Fleisches rühmen können.“ (Gal. 6,12-13 LUT2017)

Ihre Doppelmoral ist offensichtlich. Sie halten sich nicht einmal selbst an das Gesetz, aber sie verlangen es von anderen, weil die Einhaltung des Gesetzes durch andere sie gut dastehen lässt. Und ihr wahrer Gott ist das gute Ansehen.

Erste Falle: Schmeichelei

Weil der Apostel die Versuchungen aus eigener Erfahrung kannte, erkannte er die Einflüsse, die die Gemeinde in Galatien schädigten und verdarben. Die falschen Lehrer, die selbst von der Menschenfurcht versklavt waren, nutzten nun den Wunsch der Galater nach Akzeptanz und Bestätigung aus. Man achte genau darauf, wie Paulus ihre Vorgehensweisen beschreibt, denn das sind die wesentlichen Strategien für vieles, was wir heute in der Welt sehen und hören.

„Es ist nicht recht, wie sie um euch werben; sie wollen euch ausschließen, damit ihr dann um sie werbt.“ (Gal. 4,17)

Sie beginnen mit Schmeicheleien, einer wirksamen Taktik, um Menschen zu überzeugen, die anderen gefallen wollen. So schön sich Schmeicheleien im ersten Moment auch anhören und anfühlen mögen, Schmeichelei ist immer egoistisch und immer zerstörerisch. Sie verzerrt die Realität, zerstört das Vertrauen und ergötzt sich selbst auf Kosten eines anderen (Sprüche 26,28). „Es ist nicht recht, wie sie um euch werben; sie wollen euch ausschließen, damit ihr dann um sie werbt.“ Sie beschönigen ihre Worte, um euch zu gewinnen, ohne wirkliches Interesse an euch und eurem Wohl.

Das Evangelium sagt: „Du bist schlimmer als du glaubst, aber die Gnade Gottes ist größer als deine Sünde.“ Schmeichelei sagt: „Du bist besser als du denkst und du bist auf jeden Fall besser als diese anderen Leute.“ Wenn wir mehr für die Bestätigung von Menschen als für die von Gott leben, machen wir uns umso anfälliger für Schmeicheleien. Menschen werden in der Lage sein, uns zu beeinflussen und zu manipulieren, indem sie unseren Durst nach Bestätigung stillen.

Um diese Gefahr in unseren persönlichen Beziehungen zu erkennen, könnten wir uns fragen: „Fordern mich die Menschen, die mich immer wieder bestätigen, auch regelmäßig heraus? Wenn sie mich so gerne loben, sind sie dann auch bereit, mich zu korrigieren?“

Zweite Falle: Ablehnung

Die Irrlehrer bedienten sich zwei sehr unterschiedlichen Strategien, um die Menschenfurcht der Galater auszunutzen (was verdeutlicht, wie subtil und komplex dieser Kampf sein kann). Beide Strategien setzen auf Unsicherheit, aber auf völlig unterschiedliche Weise.

Ja, die Schriftgelehrten umschmeichelten diese Christen mit ihren Schmeicheleien, aber wir sehen auch, dass sie denen, die sich nicht fügten, mit Ausschluss drohten. Sie versuchten diese neuen Gläubigen zu überzeugen, dass sie bestimmte jüdische Gesetze übernehmen müssten, um zu Gottes Familie zu gehören. „Es ist nicht recht, wie sie um euch werben; sie wollen euch ausschließen, damit ihr dann um sie werbt“ (Gal. 4,17). Sie versuchen eine besondere und exklusive Gruppe von „wahren“ Gläubigen zu schaffen. Sie ziehen dich hinein, indem sie dir das Gefühl geben, ausgeschlossen zu sein. Haben wir etwa gedacht, „Cancel Culture“ sei etwas Neues? Satan weiß, dass Menschen, die sich nach Anerkennung anderer sehnen, oft deren Ablehnung noch mehr fürchten.

Wo sind wir also anfällig für diese Furcht vor Ausgrenzung? Eine Möglichkeit uns selbst zu prüfen, wäre die Frage: Welche christlichen Überzeugungen sind wir versucht zu verbergen – über Abtreibung, über Sex und Sexualität, über ethnische Zugehörigkeit, oder was auch immer – um zu der Gruppe zu gehören, deren Anerkennung wir suchen? (by the way: Das kann eine „weltliche“ Gruppe oder eine Gruppe in der Gemeinde sein.) Führt der Wunsch nach Akzeptanz dazu, dass wir uns für irgendetwas schämen, das Gott in seinem Wort sagt?

Schmeichelei bedient sich unseres Verlangens, bewundert zu werden. Dieser zweite Punkt bedient sich unserer Angst, ausgeschlossen zu werden, zurückzubleiben – letztendlich, allein zu sein.

Die Welt ist für mich gestorben

Wie entkommen wir also diesen beiden Fallen, die uns die Menschenfurcht stellt? Nachdem er selbst befreit wurde, zeigt Paulus einen Weg für diejenigen auf, die in ähnlichen Versuchungen stecken. Die Freiheit von ungesunder Menschenfurcht erfordert zwei große Tode:

„[Die falschen Lehrer] wollen, dass ihr beschnitten werdet, damit sie sich eures Fleisches rühmen können. Mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.“ (Gal. 6,13-14)

Zuerst muss die Welt für mich sterben. Was bedeutet das? Als Paulus sich bekehrte und sein Verhalten, das auf Menschenfurcht basierte, hinter sich ließ, änderte sich in der Welt nichts. Genau derselbe Druck versuchte ihn einzuschüchtern, damit er sich anpasste. Genau dieselben sozialen Erwartungen umgaben ihn. Genau dieselben Risiken drohten ihn zu isolieren und zu belasten. Und dennoch kann er sagen, dass die Welt vor seinen Augen starb, als er Jesus kennenlernte. Die Welt – all die weltlichen Meinungen, Wünsche, Lob und Kritik der Menschen – verlor plötzlich ihre Macht über Paulus. Es war, als ob alles, was ihn einst bestimmte, ans Kreuz genagelt wurde, um dort zu sterben.

Wie verliert die Welt diese Art von Macht über uns? Durch einen zweiten, schmerzvolleren Tod: Ich muss der Welt sterben. Damit die Welt ihre Macht über uns verliert, müssen wir unser Bestreben, der Welt zu gefallen, aufgeben. Um dem gekreuzigten Sohn zu folgen, müssen wir unseren früheren Herrn kreuzigen (welche Sünde auch immer uns im Griff hatte). Um die Freude des Lebens in Christus zu erfahren, musste Paulus erst der Bewunderung und dem Lob seiner Mitmenschen sterben. Er konnte nicht beides haben. „Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.“ Also lehnte er den Herrscher ab, der Angst schürte während er das Leben stahl, der Schuldgefühle vergrößerte während er den Frieden verringerte, der die Unsicherheit verstärkte während er die Liebe dämpfte.

Die Entscheidung, für Gottes Wohlgefallen zu leben und nicht für das der Menschen, wird uns in diesem Leben viel kosten. Paulus wurde für seine Entscheidung gejagt, geschlagen, ausgeraubt, gefangen genommen und fast zu Tode gesteinigt. Und doch konnte er sagen: „Denn ich denke, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Römer 8,18). Nicht ins Gewicht fallen. Das ist der Schlüssel zum Überwinden der Menschenfurcht. Wir werden den Bequemlichkeiten sterben, die die Beliebtheit bei den Menschen mit sich bringt, wenn wir mit Paulus erkennen, wie viel erfüllender es ist, dafür zu leiden, Gott zu gefallen.


Marshall Segal: Confessions of a Former People Pleaser veröffentlicht am 27.12.2021 auf desiringGod.
Übersetzt von Monika Peters.

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