Die Versöhnung von Jakob und Esau, die uns in 1 Mose 33 recht ausführlich berichtet wird ist echt und wahr. Dennoch glaube ich, dass es Jakob nicht so ganz wohl zu Mute war, als Esau ihm anbot, von nun an gemeinsam zu reisen. Wir lesen:
“Er aber sagte zu ihm: Mein Herr weiß, dass die Kinder zart sind und dass säugende Schafe und Kühe bei mir sind; wenn man sie nur einen Tag zu schnell triebe, so würde die ganze Herde sterben.” (Genesis 33,13, ELB 2006)
Auch wenn ich also in dieser Aussage Jakobs ganz klein wenig eine Ausrede vermute, glaube ich dennoch, das Jakob einen wichtigen Aspekt des Familienlebens anspricht, den er auch zu berücksichtigen versucht hat. Z.B. bei der Überführung seiner Familie über den Jordan an der Furt Jabbok: Erst bringt Jakob die Familie über den Fluss, dann kümmert er sich um sich (Genauer kümmert sich Gott um ihn und ringt erst einmal mit Jakob eine ganze Nacht durch).
Jakob kannte auf jeden Fall das richtige Tempo für seine Familie (und seine Herde), und ist damit eine Herausforderung für Eltern, aber eigentlich auch für Landwirte, Manager und alle sonstigen die “Kinder hüten”.
Ist es nicht interessant, das gerade die Kleinsten und Schwächsten in Jakobs Familie das Tempo vorgaben? Das bedeutet eine Neuorientierung vorzunehmen. Einst war es der Wunsch den Schwierigkeiten zu Hause so schnell wie möglich zu entkommen, der Jakobs Tempo vorgab. Aber schon als er vor den nächsten Schwierigkeiten flieht, ist es Laban ein leichtes ihn einzuholen. Hier sind es bereits die zarten Kinder und Kälber die Jakobs Taktgeber sind. In ähnlicher Weise kann er nicht mit dem gewünschten Tempo an der Gefahr “Esau” vorbeirauschen. Einerseits sind es schlichtweg die Tatsachen der Realität: Entweder dieses Tempo oder alles geht zu Grunde. Dennoch sehe ich hier auch etwas, was ich “hartnäckige Rücksicht” nennen möchte. Jakob riskiert es eben trotz drückender und beängstigender (er hat tatsächlich Todesangst) Schwierigkeiten nicht, das Tempo zu überdrehen. Stattdessen greift er auf andere Tricks zurück: Bei Laban versucht er sich mit einer unerwarteten Flucht einen möglichst großen zeitlichen Vorsprung zu verschaffen und vor der Begegnung mit Esau wird relativ ausführlich eine doch ziemlich kompliziert anmutende Geschenkezeremonie beschrieben, eine Art elendslanger “Zornpuffer” gegenüber Esau.
Diese hartnäckige Rücksicht gegenüber seinen Kleinsten vermisse ich manchmal gerade in christlichen Kreisen. Meines Erachtens wird zu vieles “auf Kosten der Kinder gemacht”. Der Gottesdienst ist spät, eigentlich viel zu spät, als dass die Kids am nächsten Morgen ausgeschlafen zur Schule erscheinen könnten, Egal!, mit Sack und Pack beladen besucht man diesen, wobei mir manch einer schon berichtet hat, dass er das alles nur macht, da man sonst negativ über ihn denken könnte! Ohne Jakob allzu sehr verklären zu wollen: Jakob war es schlichtweg egal was Esau und Laban über ihn denken!
Das Beispiel soll zeigen, dass es gar nicht so einfach ist, das rechte Tempo auszutarieren. Dabei habe ich oft genug versagt. Trivialbeispiel Urlaubsfahrten als Familie. Als Junggeselle oder junges Paar hat man da ein völlig anderes Tempo drauf als eine Großfamilie. Ich habe festgestellt, dass meine regelmäßig auftretende Frustration auf Urlaubsfahrten genau auf eine Fehleinschätzung eines passenden Reisetempos zurückzuführen ist.
Nun sind Urlaubsfahrten in der Kategorie “Luxus” einzuordnen. Viel Herausfordernder ist es das richtige Tempo in Fragen der religiösen Mündigkeit, der Bildung, des Umgangs mit Sport, Musik, Tieren. Ich habe immer wieder beobachtet, dass zu starkes Drängen/Erziehen/Formen einfach eine Totgeburt produziert.
Ich will mit diesen Überlegungen auf ein Maß dafür, wie man das richtige Tempo austarieren kann. Wenn ich etwas auf Kosten meiner Kinder mache, dann sollten bei uns die Sirenen blinken. Etwas auf “Ihrem Rücken” auszutragen widerspricht der hartnäckigen Rücksicht.
Das reduzierte Tempo ist ja nicht Selbstzweck sondern nötig, damit die Kinder erwachsen werden, die schon bald einen viel schnelleren Gang einlegen können.
Wie schon zu Beginn geschrieben: Das ist bei weitem nicht nur die Verantwortung von Eltern, sondern z.B. von Managern, die mit überstürzten Einführungen neuer Verwaltungsmethoden/Dokumentationsprinzipien/Anwendungssoftware/(Hier könnte ihr Beispiel stehen) nicht nur die Mitarbeiter verwirrt und entmutigt haben, sondern gerade mit dieser Überdrehung der Produktivität ihres Teams geschadet haben.