Biblische Texte

Die Vielfalt der Gaben und der Gottesdienst

Für F.W.:

“Das ist ja nicht schwer, dass jeder Hausvater seine Bibel, oder wenigstens das Neue Testament bei der Hand habe, und täglich etwas darin lese, oder, wenn er des Lesens unerfahren, sich von Andern lesen lasse.(…) Nächstdem, dass also die Leute zum häuslichen Bibellesen angetrieben würden, es ratsam, wenn man es einführen könnte, dass zu gewissen Zeiten in öffentlicher Gemeine die biblischen Bücher nach einander ohne weitläufiger Erklärung, als etwa kurzer Summarien, die man dazu täte, verlesen würden, zu Aller(…) Erbauung (…)

Es wäre vielleicht auch nicht undienlich, (…), wenn wir wieder die alte apostolische Art der Kirchenversammlungen in den Gang brächten, da neben unsern gewöhnlichen Predigten auch andere Versammlungen gehalten würden auf die Art, wie Paulus 1 Kor. 14 dieselben beschreibt, wo nicht einer allein aufträte, zu lehren (welches für die gewöhnlichen Gottesdienste bleibt), sondern auch Andere, die mit Gaben und Erkenntnis begnadigt sind, jedoch ohne Unordnung und Zanken mit dazu reden, und ihre gottseligen Gedanken über die vorgelegte Materie vortragen, die Übrigen aber darüber richten möchten. (…)Dabei wäre teils Jedem, der die Sache nicht hinlänglich verstände, seine Zweifel vorzubringen und deren Erläuterung zu begehren erlaubt, teils müssten die, welche weiter gekommen, so wie die Prediger, ihre Einsicht, die sie in jede Stelle hätten, mitteilen; was nun Jeder vorgebracht, würde dann von den Übrigen, sonderlich den berufenen Lehrern, untersucht, wie es der Meinung des heiligen Geistes in der Schrift gemäß sei, und so die ganze Versammlung erbauet. (…) .

Hieraus wäre nicht geringer Nutzen zu hoffen. Es lernten die Prediger selbst ihre Zuhörer, und derselben Schwachheit oder Zunahme in der Lehre der Gottseligkeit kennen, auch würde ein zu Beider Bestem viel beitragendes Vertrauen zwischen ihnen gestiftet; sodann hätten die Zuhörer eine gute Gelegenheit, ihren Fleiß im göttlichen Wort zu üben, und sich dazu aufzumuntern, so wie ihre aufsteigenden Bedenken, wegen welcher sie nicht grade jedes Mal den Prediger zu besuchen das Herz sich nehmen, demselben bescheiden vorzutragen, und dessen Entscheidung anzuhören; und so würden sie in kurzer Zeit, sowohl für sich selbst wachsen, als tüchtiger werden, in ihrer Hauskirche Kinder und Gesinde besser zu unterrichten. (Philipp Jakob Spener in Pia Desideria, 1675).


 

Dieser Artikel versteht sich als eine Verteidigung der Vielfalt des Gottesdienstes, so wie ich es in Deutschland bisher nur in russlanddeutschen und manchmal in charismatischen Gemeinden beobachten konnte.

König David schreibt die Psalmen

In der Hausandacht lesen wir gerade die Lebensgeschichte Davids und dabei ist mir aufs Neue aufgegangen, dass es ausgerechnet David war, der die jüdische Liturgie derart geprägt hat. Es waren seine Psalmen, und nicht etwa rein levitischer Herkunft, die im Gottesdienst gesungen wurden. Damit dürfte hinlänglich bewiesen sein, dass das öffentliche Sprechen in den Versammlungen nicht ausschließlich der Priesterkaste zugelassen war. Die aktive Einbindung von Laien in den Gottesdienst findet sich selbst im Leben Jesu. Er “stand auf um zu lesen”, ohne dass er ein offiziell “eingesegneter Rabbiner oder wichtiger Pharisäer war”. “Und es wurde ihm die Schriftrolle gerecht” und er las. (Luk. 4,3ff).

Als ich vor einigen Jahren eine Synagoge besuchte wurde mir beinahe die gleiche Ehre zuteil. Da man mich als Gast ehren wollte, fragte mich der verantwortliche Rabbi, ob ich aus einer Schriftrolle lesen möchte, was schließlich nur daran scheiterte, dass ich kein Ivrit beherrsche.

Im Neuen Testament: Vielfalt im Wirken des Geistes

Gerade das macht den Neuen Bund ja aus, dass uns das Gesetz Gottes nun ins Herz geschrieben ist (Jer. 31,33), dass wir “das außerwählte Geschlecht sind, ja das königliche Priestertum”, was Petrus sehr weit anwendet (1. Pet.2,9). Gerade diese Vielfalt der Gemeinde wird in der Pfingstpredigt von Petrus besonders unterstrichen, als er das Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinde mit Verweis auf Joel 3,1 als Erfüllung des Neuen Bundes sieht: “Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.” (Joel 3,1)

Ein vielfältiger Gottesdienst

Ich habe regelmäßig konfessionelle Gemeinden besucht, auch evangelikale und reformatorische. Sehr häufig wurde ich von der Predigt gesegnet und doch schmerzte ein Punkt:  Die Beteiligung der Gemeinde ist meist so eingeschränkt, dass ein Laie sich nicht einmal am Gebet beteiligen kann. In vielen Fällen wurde der vollständige Gottesdienst von einer einzigen Person durchgeführt, samt Aufruf zum Gebet, zur Spendensammlung und den abschließenden Vermeldungen. Ich denke, dass dies der Durchführung widerspricht, wie sie uns der Apostel Paulus in 1. Kor 14 aufzeigt: “Wie ist es nun, Brüder und Schwestern? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!” (V. 26). Bekanntlich spricht 1. Kor 14 vom Gottesdienst der ganz frühen Art, als die schriftliche Offenbarung des Neuen Testaments noch nicht vollständig fertig war. Könnte es dann sein, dass die hier dargestellten Ordnungen damit auch obsolet geworden sind, so wie die genannten Gaben? Selbst jemand, der den Weg vertritt, dass die Gaben aufgehört haben, müsste ja dann erklären, warum dann 1 Kor. 14,34 über die Zurückhaltung der Frauen im Gottesdienst weiter bindend sein sollte. Um was es mir hier geht: In der Beweispflicht sind ja nicht die, die vertreten, dass auch heutige Gottesdienste 1. Kor. 14,26 widerspiegeln sollten, sondern jene, die diese Anwendung ablehnen. Mir wäre es unklar, welche Bibelstelle gegen eine weitere Anwendung der Richtlinien von 1. Kor 14, auch nach (einem möglichen) Aufhörne der Gaben sprechen sollte.

Ein Leib – Viele Glieder

Wenn Paulus von der Gemeinde spricht, gebraucht er regelmäßig das Bild der vielen Glieder eines Leibes (Eph. 5,24.30; 1.Kor 12,14-27; Röm. 12,3-7). Wenn wir nun die Vielfalt der Glieder auf einen zentralen Dienst, z.B. die Predigt reduzieren, würden wir nicht gerade ein Problem mit 1. Kor.12.19 haben, dass uns fragt, wo der Leib bliebe, wenn alle Glieder das gleiche Glied wären. Nun heißt das nicht, dass alle Glieder aktiv in den Gottesdienst eingebunden werden (müssen). Vielmehr meine ich, dass die Sprache, die Paulus verwendet, von einer Vielfalt der Gottesdienstdurchführungen spricht. Einer hat ein Wort der Weisheit, einer ein Wort der Ermahnung, einem anderen ist der Glaube (1.Kor.12,8-9). Alles zum Nutzen aller, durch die Wirkung des Geistes (1. Kor. 12,7). Einer kann lehren, ein anderer ermahnen, ein dritter trösten (Röm. 12,6). Hier ist eine Vielfalt der Gaben so klar zu sehen, dass natürlich die Frage entsteht, wie man das an einem Sonntag mit ausschließlich einem Redner und dann noch in 60. Minuten abbilden soll?  Diese Frage stellt sich aber nur unter der Prämisse einer fixen und eher seltenen Liturgie. Warum sollte z.B. jeder Gottesdienst gleich ablaufen?

Entsprechend dankbar bin ich für Bibelstunden, Gebetsstunden, Musikstunden, Kindergottesdienste und vieles mehr. Selbst beim Thema Kindergottesdienst können wir aus genannten Abschnitten etwas lernen. Warum sollten Kinder nur zum Kindergottesdienst abgeschoben werden, und nicht aktiv einen Gottesdienst z.B. mit einem Kinderchorbeitrag mitgestalten? Mit welchem Bibeltext würde das genau kollidieren? Und würde es nicht genau die Segnungen bringen, die P.J. Spener bereits 1675 erkannt hat: Die Gemeinde wächst näher zusammen. Das Wort Gottes wird besser kennengelernt.

Bestätigung in der Kirchengeschichte

Wenn die Apostel zum Apostelkonzil in Apg.15 einladen, dann muss doch zumindest die Frage gestattet sein, warum die “aus der Gruppe der Pharisäer, die gläubig wurden” (Apg. 15,4) so aktiv in dieser Frage mitreden durften und die Apostel geradezu um eine Kompromisslösung ringen, die alle Richtungen der Gemeinde zusammenhält. Lukas notiert, dass der Beschluß einmütig gefasst wurde (Apg.15,25). Auch wenn hier eine problematische Situation vorlag, hat nicht ein isoliertes “NeoPriestertum” unabhängig von der Gemeinde entschieden, sondern mit Einbindung der problematischen Gruppe.

Das zeigt, dass die Vielfalt der Gaben wohl Schwierigkeiten bergen kann, doch dazu später mehr. Zunächst möchte ich auf Tertullian verweisen, der in seiner Apologetik beschreibt, wie der Gottesdienst zu seiner Zeit (ca. 190 nach Christus) durgeführt wurde. Er schreibt im 43. Kapitel: “Wenn die Hände gewaschen und die Lichter angezündet sind, wird jeder aufgefordert, vorzutreten und Gott Lob zu singen, wie er es aus der Heiligen Schrift oder nach eigenem Talent vermag; daran erkennt man, wie er getrunken hat. Ebenso bildet das Gebet den Schluss des Mahles.” Tertullian spricht hier von der Durchführung des Abendmahls und erwähnt gezielt, dass jeder Gott in der Gemeinde loben kann, ja bei Tertullian klingt das sogar fast wie ein Muss.

Ein möglicher Missbrauch bestätigt nicht das Gegenteil

Jeder, der die Vielfalt der Gottesdienstdurchführung so gewöhnt ist, wie ich, kennt um die Vielfalt, die ich meine. Und womöglich hat auch nahezu jeder erlebt, wenn so etwas schiefgeht: Ein schlecht vorbereiteter Laienprediger, eine Schwester, die ein riesenlanges Gedicht vorträgt, dem keiner folgen kann oder ein inhaltlich eher flaches Gruppenlied. Aber eine One-Man-Show ist hier nicht die Lösung (So gehe ich ja auch nicht von Missbräuchen solcher Organisationen als Grundlage meiner Lösung aus). Die Lösung ist ein Vertrauen auf die Schrift, denn Paulus weißt ja gerade auf die Notwendigkeit von Ordnung und Frieden im Rahmen der Gottesdienstdurchführungen von 1. Kor.14 hin, nachdem er ausführlich über die Gottesdienstdurchführungen und die Gaben darin gesprochen hat (1. Kor. 14,32-33).

Es stimmt zum Beispiel auch nicht, dass eine bunte Gottesdienstgestaltung die Lehrautorität der Gemeindeleitung untergräbt. Auch Spener weist darauf hin. Dass eine intensivere Einbindung der Gemeinde durchaus strukturiert funktionieren kann. Z.B. dürfte es leicht verständlich sein, dass eine Laienpredigt einer anderen Art sein darf, als “eine professionelle”.

Heute besonders notwendig

Wenn wir für dieses Unterkaptiel von den unterschiedlichen Instanzen ausgehen: Staat, Arbeit, Kirche, dann wäre die Frage berechtigt, wie ein steifer liturgischer einmal wöchentlich staatfindender Gottesdienst von etwa 1h Dauer eine ganze tragende Säule meiner gesellschaftlichen Identität abbilden kann? Oder viel plastischer ausgedrückt: Selbst mehrere Gottesdienste pro Woche haben einen harten Kampf gegen die mediale Dauerberieselung zu führen. Wie können wir ein biblisches Weltbild prägen, wenn eigentlich keine wesentliche biblische Prägung stattfindet. Ein pochen auf eine Steife Form kann kaum die Lösung sein. Eine tiefere Gotteserkenntnis aber sehr wohl. Doch wie außer durch Gebet, Gemeinschaft und Forschen in der Schrift soll diese möglich werden?

Um was es mir geht, ist weniger eine Methode, die ich gegen eine andere ausspielen möchte. Als die Frage, wie sehr das Wort Gottes wirklich auch unsere Versammlungen prägt. Ohne Mühe ließe sich das Ringen darum bei den Reformatoren nachweisen. Aber die Antwort auf unser Ringen heute kann kaum ein Ringen einer anderen Zeit sein, dass ja nur die Dringlichkeit der Frage, nicht aber die Antwort aufzeigt.

C.S. Lewis müsste schweigen

Zwei abschließende Beobachtungen, für die ich C.S.Lewis als Beispiel heranziehen muss. Zum einen: Das allgemeine Priestertum ist nicht dadurch (vollständig) erfasst, dass man Gemeindemitglieder aktiver in die Gottesdienstgestaltung einbindet. Auch außerhalb der kirchlichen Liturgie ist dieses Priestertum gefordert, ob nun in der Erziehung der Kinder oder einem gewissenhaften Verhalten am Arbeitsplatz. Die Gefahr Dienst für Gott mit dem ehrenamtlichen Einsatz in der lokalen Gemeinde zu verwechseln gestehe ich ein. Und wie das allgemeine Priestertum ausgelebt wird, wäre Materie für viele weitere Artikel. Dennoch kann es nicht bedeuten, dass eine aktive Beteiligung am Gottesdienst nur “professionellen” Laien wie C.S.Lewis gestattet werden darf, der ja immerhin auch gepredigt hat. Dennoch glaube ich, das gerade C.S. Lewis als gutes Beispiel dafür geeignet ist, wie christliches Denken auch außerhalb von Talar und Bäffchen möglich ist. Aber leider würde selbst C.S.Lewis in den meisten konservativen konfessionellen Gemeinden heute schweigen müssen. Da nicht rechtmäßig ordiniert, da nicht mit einem passenden theologischen Abschluss aus Amerika oder Großbritannien, da nicht vollständig mit dem Bekenntnis übereinstimmend, da…- irgendetwas lässt sich da immer finden. Oder sollte man sich etwa wirklich ernsthaft selbst die Frage stellen, ob man den biblischen Boden der Vielfalt der Gaben in der Gemeinde verlassen hat? Das Kunststück, Lewis einerseits schweigen zu lassen und doch von seinen Schriften zu schwärmen, ist dabei jedoch sicherlich nicht von Röm.12 und 1. Kor.12-14 geprägt.

 

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2 Kommentare

  1. Vlad sagt:

    Lustig fand ich erst kürzlich ein Plakat direkt neben der Kanzel mit dem von dir zitierten Bibelvers V. 26 in einer reformierten Gemeinde. Die Leitung aber selbst erlaubt jedoch keinerlei Beiträge oder Wortmeldungen während der Sonntagsversammlung.

    1. hehe, ich denke wir waren in der gleichen Gemeinde. Ich bin auch nicht perse gegen einen pastoralen Gottesdienst, wenn er nicht die einzige Form der Versammlungen bleibt

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