Multi Kulti ist tot

Man kann es sich heute kaum vorstellen, aber es ist noch nicht so lange her, da hat nicht nur der damalige CSU-Chef Stoiber, nein, sogar unsere Bundeskanzlerin “Multi-Kulti” für tot erklärt. Nun, damals gab es große Vorbehalte gegen eine multikulturelle Gesellschaft, sehr beklagenswert wie ich finde, denn unser Hauptelend scheint unsere Monokultur zu sein.

Ja, richtig gehört, ich finde es kaum zu ertragen, wie monokulturell unsere Gesellschaft ist. Ein Kommentator antwortet auf die Frage: “Was ist das Gegenteil einer multikulturellen Gesellschaft?” auf dem Web-Forum Quora.de sehr treffend: “Eine monokulturelle Gesellschaft. Langweilig, trist, grau, alles wiederholt sich ständig. Öde!” Welch treffende Qualifizierung des Westens im nun nicht mehr so jungen 21ten Jahrhundert.

Nun sehe ich natürlich, dass sich überall heftiger Widerstand gegen diese Bewertung regt. Man könne schließlich überall auf Migranten treffen, Menschen des unterschiedlichsten Sexualverständnisses in (und seltsamerweise vor allem) hochqualifizierten und gutstehenden Positionen. Man ist im Westen stolz darauf, offener zu sein, als alle Generationen zuvor. Ja, sogar als die meisten anderen Regionen der Welt. Gelassen nutzt man den Verweis auf die globalisierte Welt um seine eigene spießbürgerliche Seele zu streicheln. Es stellt sich natürlich die berechtigte Frage, was denn genau in den letzten 1,5 Generationen geschehen ist, dass aus der internationalen anerkannten Hochburg für Spießertum ein Musterland  multikulturelle Identität werden ließ? Eine befreiende Eingebung in der fein abgezäunten und säuberlich geschützten Gartenanlage?

Zumindest die Indizien sprechen also dafür, dass ein Großteil der Gewissheit, einer besonders multikulturellen Gesellschaft anzugehören, eher als fromme Fassade zu bewerten ist. Nun ja, für mich Motivation genug, um hier etwas auf Spurensuche zu gehen. Meines Erachtens bestätigt die Faktenlage den  Tatverdacht der Heuchelei. Doch im Folgenden mehr:

Fangen wir doch mit einem klassischen Beispiel an: Bildung.  Wieso kann meine Tochter z.B. nicht eine staatliche Mädchenschule besuchen? Ich höre die Empörung bis in mein Büro: Mädchenschule sind antiquiert, eine Erfindung chauvinistischer Christen, die durch ihr feindliches Frauenbild für Frauen nichts anderes übrig hatten als den Herd. So in etwa wäre eine mögliche Kritik. Auf jeden Fall gelten getrennte (zur Erinnerung: in Mädchen und Jungen) Schulen als ein kaum zu ertragendes Relikt, von zum Glück, wie man meint, vergangener Zeiten.

Aber damit würde man sich nicht nur gegen aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse, sondern mir auch eine falsche Absicht unterstellen. Denn ich bin davon überzeugt, dass eine Mädchenschule für meine Tochter, sowohl für ihre Bildung, wie auch für ihre Entwicklung als Person, äußerst vorteilhaft wäre. Für ihre Karriere als Innenarchitektin (so der heutige Plan) definitiv ein boost! Ohne Schwierigkeiten könnte ich wissenschaftliche Studien en masse beschaffen, die beweisen, dass Bildung sich besser vermitteln lässt, wenn man sich auf die unterschiedliche Entwicklung von Jungen und Mädchen einlässt. Aber offensichtlich ist unsere Kultur einfach zu bunt für solche Vorstellungen.

Betrachten wir ein recht anderes Beispiel, dass uns zumindest dank der Presse unentwegt vorgehalten wird: Unsere Politik. Ich glaube, ich müsste mal einen Preis dafür ausschreiben, dass man mir ein Foto von einem Politiker auf einer internationalen Konferenz zeigt, der nicht völlig genau gleich angezogen ist, wie seine Kollegen. Betrachte hier unten die wunderbaren Berge in Garmisch Partenkirchen und die Vertreter der G7, welche die tolle Aussicht etwas verderben:

30 Jahre davor, war es für Clinton wiederum kein großes Problem, Jelzin ein Ständchen auf seinem Saxophon vorzutragen:

Und jetzt mal ein Bild aus einer Zeit, die als alles andere als multikulturell bezeichnet wird. Betrachte hier Stalin, Chruchill und Truman auf einer Konferenz im Juli 1945 (Bildrechte: Von Bundesarchiv, Bild 183-29645-0001 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5350652):

Nicht nur das Outfit der drei Mächtigen unterscheidet sich beachtlich, sondern auch die inhalierte Tabakware in Form und Geschmack. Doch seltsamerweise sind es gerade die in Einheitsware gekleideten Berufspolitiker, die sich durch ihre Reden von einer bunten Gesellschaft, besonders abzusetzen versuchen. Wir sind mittlerweile offensichtlich so bunt, dass wir wieder einfach alle gleich werden können. Ist das die echte Botschaft hinter den Aufrufen zur Offenheit und Toleranz?

Wer jetzt denkt, dass meine genannten Beispiele konstruiert und geschmacklos sind, hat deswegen recht, weil ich die brisanten und überzeugenden Beispiele bis hierher zurückgehalten habe.

Stelle dir z.B. diese Frage: In welcher Art und Weise hat das Judentum in den letzten 70 Jahren einen prägenden Einfluss auf die deutsche Kultur besessen? Was ich damit meine, ist deutlich mehr, als die Frage, wie die deutsche Politik zu Israel steht. Ich meine es so: Du bist stolz auf dein multurelles Bekenntnis! Wie viel Verständnis, Wissen und Hochachtung hast du dann vor jüdischen Sitten und kulturellen Elementen? Wie haben dich diese geprägt? Wie haben sie dein kulturelles Leben bereichert? Könnte es sein, dass die Antwort: “gar nicht” lautet? Dabei wird doch kaum jemand müde, die jüdisch-christlich-humanistiche Prägung des Westens zu unterstreichen. Wo sie aber hin ist, dass kann offensichtlich aber kaum einer beantworten. Könnte es sein, dass das gleiche auch für russlanddeutsche, russische, türkische und andere Einflüsse gilt? Ist es nicht  so, dass kaum einer  weiß, warum es so ist, dass Russlanddeutsche (um aus Erfahrung zu reden) aus Kasachstan kommen und trotzdem nicht Kasachstandeutsche heißen? Was genau weißt du über die syrische Geschichte? Warum gibt es Sunniten und Schiiten, zwei Gruppen also einer Religion, die bereits einen beachtlichen Prozentsatz unserer Bevölkerung ausmacht? Könnte es schließlich sein, dass das ganze Gerede um Toleranz und Akzeptanz eigentlich nur ein Deckname für Gleichgültigkeit ist? Wenn all diese Kulturen uns bereichern, wo bleiben dann jüdische Schulen, islamische Krankenhäuser, russlanddeutsche Politiker?  Wo sind denn Richterinnen in Burkas, oder Politiker, die im Bundestag statt auf ihr Handy, lieber in ihre Bibel starren?

Es lässt sich ohne große Schwierigkeiten nachweisen, dass ein Land wie Holland, bereits in den 20ern Jahren des letzten Jahrhunderts, – wie gesagt, kaum eine Zeit, die als besonders tolerant gilt -, in der kulturellen Akzeptanz und der bürgerlichen Realisierung unterschiedlicher, sich sogar widersprüchlicher Strömungen, weiter war, als wir heute überhaupt wagen, es sich uns vorzustellen. Lese hier den Wikipedia-Artikel. Ohne  Probleme gab es in Holland sowohl Calvinisten, wie Katholiken, wie auch Kommunisten, die ihre Schulen, ihre Gewerkschaften und ihre Krankenhäuser unterhielten. Das war mal Multi-Kulti! Und das alles in Folge von Ideen von einigen Politikern, die man heute als fundamentalistischen Christen abtun würde. Da dürfte man doch gerade von den progressiven Liberalen von heute erst recht mehr erwarten, aber leider Fehlanzeige! Wer ist dann der wahre Liberale?

Monokultur wo man nur hinschaut. Es ist immer der gleiche Gangsta-Rap, denn sich Jugendliche beim Skaten reinziehen, es ist das gleiche Outfit, in dem sie auf dem Bus warten, und es ist eine der beiden Handy-Marken von dem sie ihrer Mum in Whatsapp schreiben, dass sie heute später heim kommen. Es sind die gleichen Parties die man anstrebt, die gleichen Urlaubsziele, auf die man es absieht, kaum zu unterscheidende Lebensideale. Das Jahr “Work &Travel”, dass man nach dem Abi braucht, um sich selbst zu finden ist ebenso langweiliger Standard wie die Midlife-Krisis, in der man “nochmal ganz von neu anfängt”. Es sind die zwei Kinder, drei nur, wenn die ersten beiden vom selben Geschlecht sind, wobei man natürlich gleichzeitig dran festhält, oder es zumindest offen lässt, das”Geschlecht” nur ein kulturelles Konstrukt, eben eine Altlast des Christentums, ist. “Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot” tarnst sich neuerdings im “Multi-Kulti-Outfit”. Alles völlig öde und langweilig. Wenn Oscar Wilde heute unsere durchweg wohlhabende Kultur in einer Komödie durch den Kakao ziehen würde, trüge sie wohl den Titel: “The importance of being boring”. Alles ist erlaubt, so lange es nur langweilig ist. Nur nicht auffallen, damit man bunt bleibt.

Gedanken zur  möglichen Therapie

Diesem Missstand kann geholfen werden. Eine Haltung von Toleranz und multikultureller Gesinnung kann nicht mit Hochmut einhergehen. Vielmehr ist Demut gefragt. Wer von seiner eigenen kulturellen Überlegenheit sowohl historisch, wie geographisch überzeugt ist, wird andere Kulturen kaum wahrnehmen, geschweige den tolerieren. Multikulturelles Leben ist nur möglich, wenn man den anderen auch wahrnimmt. Wer nichts über Kulturen weiß und auch wissen möchte, mit denen er in Berührung kommt, sollte seiner vermeintlichen Toleranz den Namen geben, der ihr wirklich zusteht, nämlich Gleichgültigkeit. Auch hier kann nur Demut helfen. Ein überzeugter Geist, wird kaum Interesse an Gegenkonzepten besitzen. Er wird Menschen mit Prinzipien eher unter die Nase reiben: “Wir sind zu bunt, um euch zu akzeptieren” und dabei den Widerspruch in sich selbst selbstbewusst übersehen. Jegliches Gerede über eine bunte Gesellschaft macht im Munde von Narzissten einfach keinen Sinn. Wer krankhaft mit sich selbst beschäftigt ist, ist einfach nicht tolerant. Der Andere soll ihm entweder dienen, oder zumindest nicht im Weg stehen. Nur Demut, nicht überlegener Stolz werden uns befähigen auf den Nächsten zuzugehen. Ein Ziel, dass außerhalb uns selbst steht, scheint hier ein guter Anfang zu sein.

Und das bringt mich zum Schluss: Das multikulturellste Ereignis überhaupt, dass ich kenne, ist das Kirchenkonzil in Jerusalem, dass uns in Apg. 15 berichtet wird. Die bis dahin fast nur aus Juden bestehenden Christen standen vor der Herausforderung: Was müssen christusgläubige Heiden ändern, damit mit ihnen brüderliche(!) Gemeinschaft möglich ist. Ich bin immer fasziniert, wenn ich dann den Minimalkonsens lese, auf den man sich in Apg. 15,29 geeinigt hat: Kein Götzenopferfleisch, keine Unzucht, kein Blut und keine erstickten Tiere. Das war’s! Alle anderen Dinge war man bereit zu übersehen. Weder Kleiderregeln, Bildungsvorschriften, Arbeitgeberrichtlinien oder was uns sonst heute wichtig ist, sollte für christliche Gemeinschaft relevant sein. Die Apostel scheinen mir hier wirklich provokative Beispiele für echte Toleranz zu sein. Wie sehr sehne ich mich heute nach einem Stück davon.

 

 

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