Trump, Biden und die Religion in der amerikanischen Politik

Ein Artikel von Carl Trueman:

Das alte Sprichwort, dass England und Amerika zwei Nationen sind, die durch eine gemeinsame Sprache getrennt sind, enthält viel Wahrheit. Als ein Einwanderer aus England, empfinde ich Amerika aufgrund der gleichen Sprache und Popkultur einerseits seltsam vertraut und doch oft als entfremdet, weil diese Ähnlichkeiten tiefergehende, häufig nicht greifbare Unterschiede verbergen. Nie spüre ich das stärker als zur Zeit von Wahlen. Nicht nur, dass das amerikanische System eine “großartige Person” in den Vordergrund stellt – “Alle vier Jahre wählen wir Amerikaner den neuen Messias”, ließ vor kurzem mir gegenüber ein amerikanischer Freund sarkastisch verlauten- nein, auch die Bedeutung der Religion in der Politik ist hier protziger und bedeutender als in Großbritannien.

Im Vereinigten Königreich habe ich selbst als Christ immer das Gefühl gehabt, dass ich für dumm verkauft werde, wenn ein Politiker die Sprache religiöser Hingabe verwendete, wie es z.B. Tony Blair zu tun pflegte. Wir sprachen beim Essen nicht darüber und erwarteten auch nicht, dass unsere Politiker in der Öffentlichkeit darüber reden. So zu tun, klang furchtbar unecht und manipulativ. Tatsächlich war die Politik, zumindest in ihrer parteibezogenen Form, ähnlich. Ich wusste selten, wie Freunde abstimmen, weil man mir beigebracht hatte, dass es mich nichts angeht. Ich habe mit Bestimmtheit niemals einen Prediger gehört, der mir sagte, wie ich abstimmen sollte. Und so gefiel es mir. Und tut es weiterhin.

Natürlich könnten Amerikaner nun auf Großbritannien blicken und berechtigterweise darauf hinweisen, dass all das das Land in eine tief säkulare Kultur gestürzt hat und zu einer schwachen, handlungsunfähigen Gemeinde führte. Das ist ein berechtigter Punkt und schließt natürlich auch einen Großteil Europas mit ein. Ich werde ihn später noch aufnehmen.

Amerika ist eine seltsame Erfahrung für einen eingewanderten Engländer. Jeder scheint das Bedürfnis zu spüren, dem Nächsten mitzuteilen, wie er zu wählen hat. Und Religion spielt plötzlich eine viel wichtigere Rolle als zu Hause.

Das religiöse Stimmverhalten wird hier für so zentral erachtet, dass selbst die, die dem Christentum gegenüber so offensichtlich zynisch eingestellt sind, wie die gegenwärtigen beiden Präsidentschaftskandidaten, das Bedürfnis verspüren, sich auf die magische Kraft religiöser Symbole oder Handlungen zu stützen. Trumps Inszenierung außerhalb einer Episkopalen Kirche mit einer Bibel in der Hand und Bidens Bekenntnis zum frommen Katholizismus sind jeweils, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, implausibel und manipulativ.

Trumps Spiel mit den Evangelikalen hat den Pragmatismus von zumindest einigen evangelikalen Anführern enttarnt. Die, die vorher Bill Clinton für seine lockere Sexualmoral verurteilten, werfen sich nun mit ganzem Gewicht hinter Trump und verdienen den Vorwurf eines heuchlerischen Pragmatismus. Die “Hof-Evangelikalen”, wie sie von ihren Kritikern bezeichnet werden, ermangeln gerade wegen ihrem bisherigem Moralismus jeglicher moralischer Glaubwürdigkeit. Im Übrigen hatte diese Kehrtwende auch den Effekt, dass sich nun die evangelikale Linke ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen konnte, nämlich dem Herrn dafür zu danken, nicht so wie die ganzen anderen Menschen zu sein, vor allem nicht wie die evangelikale Rechte der Trumpisten. Doch ein Stückchen Hoffnung bleibt: Während die Statistiken eine deprimierend deutliche Sprache über die enthusiastische Unterstützung Trumps durch die Evangelikalen sprechen, zeigt eine andere kürzlich durchgeführte Umfrage, dass die Beziehung zwischen dem Evangelikalismus und orthodoxem Christentum mittlerweile recht kompliziert ist. Evangelikale Unterstützung für Trump ist nicht unbedingt christliche Unterstützung für Trump.

Joe Biden stellt ein anderes Problem dar. Bereits 2016 fragte ich mich, warum die katholischen Bischöfe ihm gestatten ihren Glauben zu verspotten. Politiker wie Biden posaunen “Ich bin ein hingegebener Katholik”, während sie gleichzeitig alles unternehmen, um den katholischen Glauben durch ihre Handlungen zu verspotten. Dennoch wird er auch diesmal geduldet. Biden ist eine katholische Unmöglichkeit und steht beinahe gegen jede offizelle katholische Position bei Themen wie Persönlichkeit, Leben und Ehe. Das niemand mit Autorität in der katholischen Kirche bereit zu sein scheint, diese Probleme anzusprechen, bleibt ein Skandal. Wenn die Kirche durch die verspottet wird, die den Anspruch erheben, Teil davon zu sein, dann wird Christus verspottet. Selbst wenn die Bischöfe sich nicht um die Seele von Biden oder den Ruf ihrer Kirche bekümmern, wie können sie gleichgültig für den öffentlichen Ruf Christi blieben?

Im Licht dieser Tatsachen möchte ich einen radikalen Vorschlag unterbreiten: Könnten die amerikanischen Politiker in Zukunft die Religion aus ihren Veranstaltungen und ihrer Propaganda heraushalten? Ich bitte weder um ihret- noch um der Nation willen darum; Ich bitte um der Kirche, ihrer Mitglieder und ihrer Leiter willen darum. Wenn Politiker unechte und manipulative religiöse Ansprüche erheben, wird die Korruption der amerikanischen Christenheit aufgedeckt, – ob nun die der evangelikalen Masse oder die der katholischen Elite –  die ihren bekannten Glauben offensichtlich nicht ernst nimmt. Eine lockere Sexualmoral des Einen als für ein politisches Amt disqualifizierend zu werten, doch diese bei einem anderen zu ignorieren oder zu entschuldigen, ist kein konsistentes Christentum. Auf dem Papier hilflose Ungeboren zu verteidigen und gleichzeitig jemandem eine geistliche Heimat zu geben, der das Recht der Mörder dieser Ungeborenen verteidigen möchte, ist kein Christentum.

Solch eine politische Maßnahme könnte Christen dabei helfen, zu verstehen, dass Politik ein dreckiges, pragmatisches Geschäft ist und dass eine Stimme für jede der Parteien auch Trauer über die zu treffenden Kompromisse beinhaltet. Auch könnte das dem Christentum helfen, sich aus dem Schlamassel unserer polarisierten politischen Kultur zu befreien. Und für Christen würde das gewiss die Versuchung beseitigen, in einer Weise zu handeln, die einer beobachtenden Welt die christliche Inkonsequenz offenbart.

Das bringt mich zum verweltlichten Europa zurück. Wird mein Vorschlag nicht einfach nur die Säkularisation der amerikanischen Politik und Kultur vorantreiben? Vielleicht. Doch es besteht auch eine andere Möglichkeit. Vielleicht sind wir bereits bei dieser angelegt. Vielleicht ist der europäische Säkularismus einfach nur ehrlicher in den angestrebten Idealen? Es hat die Sprache des Christentums verlassen und es verwirft die Lehren des Christentums. Was du siehst ist nun wirklich das, was du bekommst. Ist es möglich, dass in Amerika Religion selbst Teil eines säkularen Denkens geworden ist? Schließlich scheint ein Evangelikalismus, der das Wählen von Trump (oder Biden) als moralischen Imperativ für alle ansieht und eine katholische Hierarchie, die es Biden erlaubt, ungestraft gegen so viele ihrer kostbaren Lehren vorzugehen, in ihrer christlichen Besonderheit nicht besonders zutreffend zu sein. Ist ein solches “Christentum” lediglich Verweltlichung in einem religiösen Kontext?

Das ist ein echt beunruhigender Gedanke.

Dieser Artikel von Carl Trueman erschien am 23.10.2020 auf firstthings unter dem Titel “Trump, Biden, and Religion in American Politics”. Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von First Things.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert