Absurder Stolz

Ein Artikel von Ed Welch. Erschienen am 13.10.2020 unter dem Titel „The Absurdity of Pride“ auf ccef.org. Übersetzung von Ruth Metzger, mit freundlicher Genehmigung von CCEF. (Download als .pdf)

Stolz kann uns womöglich kurzfristig dabei helfen, uns stark und in unseren eigenen Augen attraktiv zu fühlen. Aber tatsächlich ist er eine grobe Verletzung unserer schöpfungsmäßigen Machart. Näher betrachtet ist er hässlich, destruktiv und total absurd. Speziell diese Absurdität und Lächerlichkeit möchte ich ins Auge fassen.

Ein Kind schlägt den kleinen Bruder. Sein Fehlverhalten ist offensichtlich, und die Mutter sagt ihm, dass es um Verzeihung bitten soll. Um Verzeihung bitten – was könnte selbstverständlicher sein? Aber die Worte wollen einfach nicht aus seinem Mund kommen. Sein Stolz würde jede andere Erziehungsmaßnahme akzeptieren, nur das nicht: „Kannst du mir vergeben?“ Vier Worte – warum sagt es sie nicht einfach? Weil sein Stolz schon die Vorstellung dessen hasst. Es hat einen irrationalen Abscheu vor Demut. Und in diesem Kind siehst du die ganze Menschheit wie in einem Brennglas. Wie viele Erwachsene haben etwas offensichtlich Falsches getan und können sich einfach nicht dafür entschuldigen? Wie viele Erwachsene haben noch nie gesagt: „Es tut mir leid“ – was ein kleiner Schritt wäre –, geschweige denn: „Kannst du mir vergeben?“ Das ist wirklich merkwürdig, wenn man die Wahrheit über uns bedenkt.

Ein Teenager will unabhängig sein, weil er (oder sie) selbst weiß, was das Beste ist. Dabei ist dieser Teenager gleichzeitig für sein Überleben ziemlich von seiner Familie abhängig. Dem irritierten Elternteil fehlen die Worte, um sein Kind zur Besinnung zu bringen.

Ein Mann und seine Frau streiten sich, wer im Recht ist oder zumindest mehr im Recht. Sie sind ersichtlich kampfmüde, aber keiner will auf das letzte Wort verzichten. Nach und nach entwickeln sich ein Gesprächsstil, wie wir ihn vom Schulhof kennen. „Du weißt noch nicht mal, wie man sich richtig anzieht.“ „Ach ja? Mann, du bist so blöd …“ Schließlich kann man die Unterhaltung kaum noch als verbal bezeichnen. „Hach.“ „Zisch.“ „Grrr …“

Und wie oft kritisiere ich andere Leute, weil sie mir mit ihrem Auto zu nahegekommen sind oder sonst etwas anders gemacht haben, als ich es gemacht hätte? „Wie können sie es wagen!“, sage ich von meinem Thron herab. Derweil sieht meine Frau mich genau dieselben Dinge tun, aber ich führe mich auf, als genösse ich diplomatische Immunität. In dem Moment wirke ich auf sie sicher nicht attraktiv, geschweige menschlich.

Stolz ist eine der zutreffendsten Beschreibungen der Sünde. Stolz ist falsch. Er richtet sich gegen Gott und andere Menschen. Zudem ist er grotesk und unpassend, denn menschliche Wesen sind von Natur aus abhängig und haben in sich selbst nichts vorzuweisen, was eine Thronbesteigung rechtfertigen würde. Wir leben nur aus dem „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade“ (Eph 2,7).  Unsere Lebensläufe enthalten im Wesentlichen nichts, trotzdem glauben wir, wir hätten das Recht erworben, auf andere herabzusehen. Es kann sich richtig anfühlen, aber wenn du dich im Spiegel der Schrift betrachtest, siehst du etwas, das eher Dr.Seuss‘ Schildkröte Yertle[1] ähnelt. Das ist schon sehr merkwürdig, wenn man bedenkt, dass wir Geschöpfe und nicht der Schöpfer sind. Solange uns unser eigener Stolz nicht anwidert, werden wir wenig Veranlassung sehen, ihn zur Seite zu legen.

Dass „der Himmel regiert“, ist grundlegend für unser Menschsein (Dan 4,26). Menschliche Wesen sind königlichen Geblüts, aber sie sind dem einen König untergeordnet und Verwalter seines Königreiches. Was für einen menschlichen König selbstverständlich sein sollte, sind die demütigen Worte König Salomos. Als er beauftragt wurde, den Tempel des Herrn zu bauen, sagte er: „Wer bin ich, dass ich ihm ein Haus baue, es sei denn, um vor ihm zu räuchern?“ (2.Chron 2,6). In der Tat, wer wäre würdig, den Bau des Hauses Gottes auf Erden zu beaufsichtigen? Dann bekannte Salomo seine kindhafte Unfähigkeit, weise Urteile zu fällen und bat daher um Weisheit. Da begegnen wir ihr wieder – der Demut. Sie ist die natürlichste und passendste Bekleidung für uns. Im weiteren Verlauf wurde auch Salomo in seinem Stolz weniger menschlich, aber wenigstens hat er uns einen kurzen Einblick in wahre Menschlichkeit gegeben.

Und nun blicken wir auf das einzig wahrhaft menschliche Wesen: Jesus. Obwohl ihn viele, denen er begegnete, zum Opfer ihrer arroganten Verächtlichkeit machten, war er über diese falsche Behandlung nie wütend. (Wut ist meist ein sicheres Zeichen für Stolz.) Stattdessen schien er eher weiter nach unten als nach oben zu steigen. Vor seiner letzten Erniedrigung zum Tod an einem Kreuz gravierte er das Bild eines Dieners in das Herz seiner Jünger ein (Johannes 13). Paulus beschrieb es so:

„Tut nichts aus Selbstsucht oder nichtigem Ehrgeiz, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst. Jeder schaue nicht auf das Seine, sondern jeder auf das des anderen. Denn ihr sollt so gesinnt sein, wie es Christus Jesus auch war, der, als er in der Gestalt Gottes war, es nicht wie einen Raub festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; und in seiner äußeren Erscheinung als ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,3-8).

Ein paar Verse später richtet Paulus sich an dieser Vorlage aus, um über seine eigene Biografie und die Erneuerung seiner Lebensziele zu sprechen (Phil 3,4-11).

Als Nachfolger Jesu ist uns die Einsicht geschenkt, wie fehl am Platz und unsinnig unser Stolz ist. Zwar sind menschliche Wesen die Krone der Schöpfung, aber nur, weil Gott sie dazu gemacht hat. Von dieser hohen Stellung aus orientieren wir uns an unserem König, der seine Rechte aufgab im Wissen, dass sein Platz beim Vater gesichert war. So ziehen wir also Demut an, die – im Gegensatz zum Stolz – sich als wunderbar menschlich erweist, sehr anziehend und überraschend kraftvoll.


This translation is copyrighted © 2020 by the Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF). The original article entitled The Absurdity of Pride (https://www.ccef.org/the-absurdity-of-pride/), Copyright © 2020, was written by Ed Welch and is available at the ccef.org website. All content is protected by copyright and may not be reproduced in any manner without written permission from CCEF. For more information on classes, materials, speaking events, distance education, and other services, please visit www.ccef.org.

Translated in full with permission from the Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF) by Ruth Metzger for glaubend.de in Koenigsfeld, Germany. Sole responsibility of the translation rests with the translator and with glaubend.de.

Dieser Artikel ist urheberrechtlich geschützt durch die Christian Counseling & Educational Foundation (CCEF) © 2020. Der Original Artikel lautet The Absurdity of pride (https://www.ccef.org/the-absurdity-of-pride/) Copyright © 2020 und wurde von Ed Welch am 13.10.2020 auf der ccef.org Homepage veröffentlicht. Jeglicher Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf in keiner Weise ohne schriftliche Erlaubnis von CCEF verwendet werden. Für weitere Informationen über Materialien, Veranstaltungen, Lehrinhalte und Vorlesungen besuchen Sie bitte www.ccef.org

Vollständig übersetzt mit Erlaubnis der Christian Counseling & Educational Fundation (CCEF) von Ruth Metzger für glaubend.de in Königsfeld, Deutschland. Die völlige Verantwortung für die Übersetzung liegt beim Übersetzer, bzw. bei glaubend.de.

 

[1] Yertle ist zwar der König des Teiches, aber er begehrt einen höheren Thron. Deswegen müssen die anderen Schildkröten sich alle aufeinanderstellen, mit ihm ganz oben an der Spitze. Von da kann er weiter schauen und seinen Rang und seine Macht vergrößern.

 

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