Bist du wirklich alleine und einsam?

Ps. 102.5-9:

5. Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras, daß ich auch vergesse, mein Brot zu essen.
6. Mein Gebein klebt an meinem Fleisch vor Heulen und Seufzen.
7. Ich bin wie eine Rohrdommel in der Wüste; ich bin gleich wie ein Käuzlein in den verstörten Stätten.
8. Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache.
9. Täglich schmähen mich meine Feinde; und die mich verspotten, schwören bei mir.

 

Kennst du das Gefühl, so einsam zu sein, dass du dich so fühlst, wie der Autor von Psalm 102? Ich glaube jeder kennt Momente, in denen er sich gänzlich einsam fühlt. Das Bild des Psalmisten dafür: “Ich bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache”. Niemand ist mehr da und versteht mich. Keinem ist mehr zu trauen. Statt Trost bekommt man Spott. Ja das Gefühl ein Weißer Rabe zu sein, trifft es nicht ganz. Denn man ist ein einsamer weißer Rabe. Einst sagte jemand, der schwierigste Job in einem Orchester, sei es die zweite Geige zu sein. Aber ist es nicht noch zermürbender die Putzfrau zu sein, die nach der Symphonie einsam aufräumen muss? Oder mit den spöttischen Wortes Oscar Wildes: “Das einzige was noch schlimmer ist, als dass die Leute schlecht über dich reden, ist, dass sie gar nicht über dich reden”.

In den letzten Wochen habe ich diesbezüglich mehrfach eine interessante Beobachtung gemacht. Zwei Personen berichteten mir von unterschiedlichen Situationen der Anfechtungen und meinten dann, dass das schlimmste für sie war, dass “sie keiner beachtete” und “sie völlig alleine dastanden”. In beiden Fällen habe ich sowohl Verständnis gehabt, wie auch ein ganz klein wenig einen Ärger verspürt.

Diesem Ärger möchte ich in diesem Artikel nachgehen.

Ich kenne in der Christenheit jemanden, den man wohl zurecht als Shooting Star bezeichnen darf. Dieser Bruder war auf eine ungewöhnliche Art und Weise beliebt und bewundert, sowohl in der Familie, wie in der Gemeinde, wie auch wohl auf der Arbeitststelle. Alle Türen standen ihm offen, und natürlich war er der Redner auf einer mehrere Tausend Leute umfassenden Konferenz. Um ein weiteres Beispiel zu geben: Jeder sehnte sich darum, auf seine Hochzeit geladen zu werden, zu der immerhin knapp 1000 Leute geladen wurden. Eigentlich war an seiner Ehre nur eine ärgerliche Sache: Seine jüngeren Geschwister schwärmten einfach viel zu deutlich von ihm. Carsten (Name von der Redaktion geändert ist dieser aber bekannt) hat das gesagt, Carsten hat dies gemeint usw. Ich habe wirklich gesehen, wie die Leute scharrenweise Ihr Hirn ausschalteten, nur weil dieser Bruder diese oder jene Meinung vertrat.

Nun das hielt so lange, bis er “wegen mangelnden Gehorsams gegen die Gemeindeleitung aus der Gemeinde ausgeschloßen wurde”. Ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der plötzlich von mehr Leuten fallen gelassen wurde, als dieser Bruder. Im Übrigen hielt ich auch damals (da war ich noch Teenie) den Ausschluss für zweifelhaft und nicht gerechtfertigt und habe tatsächlich einst fertig gebracht, etwa ein halbes Jahr oder ein Jahr nach diesem Fall diesen Bruder und seine Familie zu besuchen (Er wohnte an einem anderen Ende Deutschlands als ich). Ich weiß, wie fertig und verzweifelt beide damals waren und vor allem seine Frau, und sie sich wirklich so gefühlt haben, aber was ich sagen wollte ist, dass sie die Zeichen für düsterer gedeutet haben, als sie waren. So bin ich ja wirklich gekommen, um sie zu besuchen. Nur muss ich rückblickend sagen, dass ich weder ausreichend Apathie noch Weisheit besaß, wirklich ein Tröster in der Not zu sein. Aber ich wollte es damals unbedingt sein. Ich glaube ein Stückweit hat diese Familie (wie gesagt auch durch den großen Altersunterschied) nicht unbedingt in mir einen Tröster gesehen, auf den man gehofft hat.

Das sage ich, um den kleinen Verdruss zu erklären, als mir jemand von einer ähnlichen Einsamkeit berichtete. Ich dachte mir. “Ah, aber ich war ja da gewesen!” Obwohl schon der zweite Gedanke natürlich zeigte oder aufdeckte, wie töricht so eine Überlegung war, und meine Hilfe niemals völliger und perfekter Art war.

Insgesamt sehe ich diese Schlussfolgerungen:

  • Wer wirklich sinnvoll da ist, ist Gott. “Aber Gott war mit Joseph” tönt es wiederholt in das Leiden Josephs hinein. Gott war auch mit diesem Bruder, von dem ich oben skizzenhaft einen Ausschnitt geschildert habe. Es könnte sein, dass auch er irgendwann diesen Artikel lesen wird, und hoffe wahrheitsgemäß berichtet zu haben. Aber mir wurde auch berichtet, dass er rückblickend auf diese Zeit des Verlassen Seins von allen als Segen bewertet. Und ich kann das bestätigen, da er wirklich in vielen Sphären und Bereichen der Christenheit dient. Als der Psalmist ab V.13 auf Gott blickt (“Du aber Gott, bleibst ewiglich und dein Gedächtnis für und für”), ändert sich seine düstere Stimmung.
  • Die Wahrnehmung unserer Einsamkeit /unseres Elends ist trügerisch. Interessant ist das was V. 5 uns sagt: Mein Herz ist geschlagen und verdorrt wie Gras, daß ich auch vergesse, mein Brot zu essen.” Obwohl die Möglichkeit einer guten Speise bestand, übersah der Psalmist diese vor lauter Herzenskummer. Um persönlicher zu werden: In den vielen Jahren meiner Mitgliedschaft hier in meiner Ortsgemeinde, bin ich das Gefühl unwillkommen oder unerwünscht zu sein, nie gänzlich losgeworden. Ich fühle mich einsam wie diese Rohrdommel! Es verfolgt mich wie ein Fluch und erst die obigen Berichte zeigten mir, dass ich in meiner Wahrnehmung womöglich irre. Auf jeden Fall sehe ich nicht das ganze Bild, z.B. vergesse ich beharrlich den alten Bruder, der immer einen warmen Händedruck für mich übrig hat. Oder auf jeden Fall meine Familie, die mich wirklich braucht, und wo mich meine Kinder bedingungslos als ihren Helden feiern. Ein Stückweit dürfen wir das Gefühl der Einsamkeit ernsthaft bezweifeln, wenn es wieder über uns fallen sollte!
  • Ein Kampf gegen die Verbitterung. Natürlich werden unsere Mitmenschen immer in irgendeiner Weise enttäuschen, da sie als Menschen, und erst recht als gefallene Menschen nicht völlige Sicherheit garantieren können. Ich beobachte in meinem Herzen dann die Reaktion jegliche Bitte um Hilfe, oder auch jede Bindung zum Nächsten lieber zu meiden. Das fühlt sich instinktiv nach gefährlicher Abhängigkeit an, die ich lieber meiden möchte. Doch was dann wirklich entsteht, ist eine gefährliche Verbitterung gegen den Menschen. Ich habe in dieser Frage nach noch die endgültige Lösung gefunden, denn beschriebener Bruder wurde ja wirklich fallengelassen (wenn man mich fragt, gerade von seiner Familie, die nach dem Ausschluss kein einziges Mal mehr jemals irgendwo sagte, dass “Carsten so oder so gesagt hat”). Und dieser Fall war auf jeden Fall hart, schmerzhaft, ja auch unfair und grob. Es erfüllt mich auf jeden Fall mit tiefsten Schmerz, sich solche “Fälle” nur vorzustellen. Man hört häufig von super kleinlichen Gemeindeausschlüssen, die ja immer in diese Kerbe schlagen. Eine Liebe, die mir nur gewährt wird, “wenn ich mich gut schicke”, was ist sie schon wert? – Sehen wir, ich bin schon mitten im Kampf gegen meine Verbitterung. Wie gesagt, ohne eine endgültige Antwort in diesem Themenbereich zu haben, möchte ich auf etwas verweisen, dass mir sehr geholfen hat: Die Beschäftigung mit den Leiden Christi. Mir ist aufgefallen, dass Christus weder dem verräterischen Judas, dem leugnenden Petrus oder den weglaufenden Jüngern mit Vorwürfen, geschweige den Verbitterung oder einer “Eiseskälte im Gesicht” begegnet. Wie er seine Jünger liebte, so liebte er sie bis zum Schluss, obwohl er zwischen dem Verräter und der zerstreuten Herde unterschied. Ja, trotzdem, dass seine Jünger mit ihm nicht eine Stunde wachen konnten, ließ er sein Leben zu Ihrer Erlösung…”und ihre Freundschaft zerbrach nicht”. Natürlich ist es immer eine Freundschaft zwischen Jünger und Meister geblieben, aber es war eine persönliche und liebevolle Beziehung, die auch nach einer Vertrauenskrise wiederhergestellt werden konnte. Wie gesagt, auch wenn mir das nicht meine endgültige Frage nach dem Vertrauen dem Nächsten gegenüber beantwortet, gibt es mir Hoffnung, in Momenten des “Fallengelassen werden” nicht zu verbittern. Mit Eiseskälte auf Vertrauensbrüche zu begegnen, wäre wie, das Böse mit Bösem bekämpfen zu wollen oder zu vergessen, das wir das tun sollen, von dem wir uns wünschen, dass es uns die Nächsten tun. Lasse ich die Fallen, die mich fallen lassen, nun, da ist ja dann gar kein besonders wesentlicher Unterscheid mehr im gegenseitigen (An)tun. Entsprechend wendet sich der Psalm 102 zum Schluß seiner Ausführungen auf den Segen, den Gottes Volk von Gott erwartet…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert