Prediger, warum redest du den Glauben klein?

“Aber ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen;” (Heb. 11,6)

 Als Gottesdienstbesucher bleibe ich bei manch einer Predigt hungrig und ungesättigt. Es schleicht sich Frustration ein. Selbst in der Rückreflexion bleibt die Predigt leer. Zunächst: ich bin mir sicher, das liegt nicht immer am Prediger, sondern häufig an meinem harten Herzen.

Aber ein entscheidendes Element der Verkündigung konnte ich doch ausmachen, dass karge Speise gemein hat.  Von Wassersuppe wird man nun mal nicht satt!  Da fällt mir ein mitreißender Prediger ein, der mit aller Macht gegen “die Verwässerung des Evangeliums” wetterte. Nicht sicher, was er damals meinte, bin ich aber überzeugt, dass Verwässerung der Verkündigung dort anfängt, wo man nicht dem Zuhörer nicht den Glauben groß und köstlich macht.

Ich höre den Einwand: Man soll doch nicht unseren Glauben, sondern Christus groß machen. Das ist wahrlich recht gesagt und doch geht es mir um den Apell der Predigt, um den Zuruf an den Zuhörer, um das was uns abholt in die Sphäre Gottes. Da kann man sehr wohl schnell erleben, dass eine Predigt völlig unevangelisch bleibt, obwohl sie sich als christozentrisch verkauft. Das kann unterschiedliche Auswüchse annehmen: Entweder beschreibt man Christus als bloßes moralisches Vorbild, dass ja sowieso unerreichbar sei, da “ja Jesus als Gott natürlich perfekt war”. So bleibt man als Gottesdienstbesucher ganz allein mit der Frage , ob man nun Christi Wandel nacheifern sollte oder nicht. Oder man redet derart unterschiedslos von der Liebe Christi, als sei diese entweder völlig unterschiedslos für den gläubigen wie für den ungläubigen Sünder, oder als wäre Gnade völlig unabhängig vom Glauben. Zwei Varianten führen hier zum gleichen Ergebnis. Man wähle die synergistische Spielart: “Jesus liebt alle Menschen gleich und ohne Unterschied” – und nun geht es nicht mehr um den Glauben sondern um “meine Führung”.  Eigentlich sagt es keiner so, “es geht um deine Führung”, tatsächlich lautet die fromme Lesart folgendermaßen: “Es geht um die Ernsthaftigkeit deiner Buße” und das klingt ganz häufig so, als wäre Buße ohne Glauben möglich. Fängt man an Glauben mit Werken zu vergleichen muss der Glaube verlieren, denn jedes Werk erscheint wichtiger als ein Glaube, der Berge verswetzen kann.

Du hättest das ganze lieber monergistischer ? Kein Problem:  “Jesus liebt sein auserwähltes Volk, unabhängig davon, was es macht.” – und schon traut sich keiner mehr vom “Glauben zu reden” denn angesichts der unerwarteten Gnade fühlt sich jeder Glaube an “wie ein Werk”. Und wer mag von seinen Werken reden, wenn doch das Heil ganz aus Gnaden ist. Im Übrigen bin ich natürlich entschieden monergistisch und will keinesfalls an Sola Gratia rütteln. aber man muss eingestehen, dass manche im bemühen”Die Rechtfertigung allein aus Gnaden” bar jeder Werke zu verkündigen, so tun, als wäre der Glaube selbst ein “verdienendes Werk”. (Vgl.  das Zitat von Carl Trueman am Ende des Artikels)

Das alles ist seltsam, da ja beide Seiten unermüdlich die vollständige Vereinbarkeit von Glauben mit Gehorsam bzw. Glaube und Gnade betonen.

Ich für meinen Teil verstehe nicht, wie man Werke und Gehorsam harmonisieren sollte. Keine Lösung stellt mich wirklich zufrieden, was mich aber zufriedenstellt, sind die Zusagen von Gottes Wort. Mit Paulus mag ich ausrufen: “So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben”. (Röm 3,28)

Die Realität ist meines Erachtens sowieso nicht so angenehm, wie geschildert. Tatsächlich erlebe ich seltener christozentrische Auslegungspredigten als vielmehr Themen-Predigen mit einer starken Betonung auf Ethik und Selbstführung (you already know this kind of stuff: “Wie Elia aus der Depression frei wurde”, “Der Gehorsam Marias”, “Die Weltlichkeit Simsons”, “Sauls Fall”, “Jeremias Gebetsleben”). Ich als Zuhörer bin dann in der unangenehmen Lage, obwohl mit allen Ausführungen des Predigers einverstanden,  diese mit “Thema verfehlt” bewerten zu müssen. Warum? Weil beständig Detailaspekte der Ethik (z.B. Lüsternheit Simsons, Ungeduld Sauls, whatever you like) gegenüber der Frage des Glaubens an Gott ausgespielt werden. Als hieße es im Hebräerbrief nicht in einer geradezu permanenten Wiederholung: “Durch den Glauben…Durch den Glauben…Durch den Glauben…” Im Übrigen, was auf der einen Seite für ein Leben “durch den Glauben” gilt, ist natürlich auch aus der Antithese sichtbar. Die Entfernung von Gott, der Abfall, die geistlichen Niederlagen etc… “fanden eben durch den Unglauben statt”. Das Dilemma also: Natürlich ist die Weltlichkeit Simsons schlecht und der Gehorsam Marias gut, und doch rufen mich diese Erzählungen vor allem zum Glauben an Gott den Erretter seines Volkes auf.

Ich frage mich, warum wir so überdrüssig sind, über den Glauben zu sprechen? Warum sprechen wir vom Gehorsam Marias, statt von ihrem Glauben, als sie ausrief: “Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du gesagt hast”?  Gerade der Apell an den Glauben an einen gnädigen Gott würde unsere Predigten entscheidend anders machen als eine Handlungsanweisung des Talmuds oder eine moralische Auslegung eines Imams oder gar säkulare Verhaltensregeln einer Kulturveranstaltung. Letztlich bleibe ich also gerade dann hungrig, wenn die Predigt so klingt wie ein Motivations-Seminar beim Arbeitgeber.

Zwei letzte Anmerkungen:

Erstens: Das Thema zu verfehlen, in dem man den unpassenden Schwerpunkt setzt, mag verzeihlich sein, doch ein nicht zu rechtfertigender Abfall vom Evangelium ist die Darstellung vieler Begegnungen mit Jesus auf eine Weise, als hätte ein bestimmtes Werk der Begegnenden ihnen die Aufmerksamkeit Jesu eingebracht. Als wäre es der Mut des Petrus, der ihn auf dem Wasser gehen ließ und nicht sein Glaube! Als wäre es die Geduld Hiobs, die ihn sein Leiden ertragen ließ, und nicht sein Glaube! Als wäre es die lyrische Fähigkeit, die David zum Propheten und Dichter machte, und nicht sein Glaube! Als wäre es die Hartnäckigkeit des Blinden, die ihn sehend machte, und nicht sein Glaube! Ich halte es für eine verwerflich unevangelische Art der Predigt, wenn man statt des Glaubens irgendeine “eigene Qualität” voraussetzt, damit man Jesus begegnen kann. Es mag angehen, nicht über den Glauben zu predigen, aber es ist nicht in Ordnung wider den Glauben zu predigen

Zweitens: Mir ist klar, das vier Finger auf mich zeigen. Mea maxima culpa! Ich bekenne mich schuldig. Aus unterschiedlichen Motiven, einschließlich  Feigheit, Faulheitund Gesetzlichkeit habe ich in meinem bescheidenen Andachtsdienst auch oft genug den Mittelpunkt vom Glauben an den Messias Gottes auf irgendetwas zweitrangiges verschoben.

“Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben?” (Röm. 10,14)

Das Zitat:

“It points toward the primary concern of Luther, and of subsequent Reformers, in their articulation of grace and predestination: the outlawing of any notion of human merit in salvation. The ever-present danger in a theology that emphasizes justification by faith, and thus faith as the instrument of justification, is that faith itself will come to be regarded as a work or as somehow meritorious” (Carl R. Trueman, Matthew Barrett, und R. Kent Hughes, Grace alone—salvation as a gift of god: what the reformers taughts…and why it still matters, The 5 Solas Series (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2017), 126.)

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