Wenn Zweifel den Glauben überschatten

Wie wir lernen, für das geistliche Sehvermögen zu kämpfen

Jon Bloom

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In jeder Geschichte, in jedem Buch erinnert uns die Bibel daran, dass niemand gegen tiefe, verwirrende geistliche Kämpfe immun ist. Es ist ein Beweis für die unverblümte Ehrlichkeit der Bibel. Ein Grund dafür, dass wir sie intuitiv vertrauenswürdig finden, ist, dass sie von anhaltenden Zeiten der geistlichen Dunkelheit, beunruhigenden Zweifeln und sogar von Glaubenskrisen berichtet und das von den aufrichtigsten Nachfolgern Gottes – den eifrigsten Betern, den Gewissenhaftesten, den am besten Ausgebildeten.

Eines meiner Lieblingsbeispiele ist Asaph. Wenn du mit den Psalmen vertraut bist, wird er dir bekannt sein, schließlich ist er Autor von Psalm 50 und 73-83.

Aber Asaph war mehr als nur ein Poet. Er war einer der berühmtesten geistlichen Leiter seiner Zeit. König David ernannte ihn zu einem der drei obersten levitischen Lobpreisleitern, der für alle Gesangs- und Instrumentalaspekte des Dienstes in der Stiftshütte verantwortlich war (1. Chronik 6,31-46; 15,16-17). Das heißt, Asaph war völlig vertraut mit allem, was mit der Anbetung Gottes zu tun hatte. Er trug große Verantwortung und war ein öffentlich anerkannter geistlicher Führer.

Und doch musste er mit tiefen Zweifeln kämpfen. Er verlor fast seine Gotteshoffnung.  Als Dichter drückte er seinen Kampf und was ihm halfen, in Versen aus. So auch in Psalm 73

Gott ist gut zu denen, die reinen Herzens sind

Asaph war sehr gebildet und gut ausgebildet. Zu seiner Zeit hatten nur wenige eine tiefere Kenntnis der überlieferten hebräischen Schriften. Und als Hauptsänger in einer von mündlichen Überlieferungen geprägten Kultur kannte er die meisten, wenn nicht sogar alle der Lobpreislieder Israels auswendig. Folglich hätte er folgendes wissen müssen:

  • von Moses Lied: „vollkommen ist sein Tun, denn alle seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und ohne Trug, gerecht und gerade ist er!“ (5. Mose 32,4)
  • von Hannahs Lied: „Die Füße seiner Getreuen behütet er, aber die Gottlosen kommen um in Finsternis“ (1. Sam 2,9)
  • von Davids Lieder, seines Königs und Freundes: „Glücklich, die das Recht bewahren, die Gerechtigkeit üben zu aller Zeit“ (Psalm 103,6), und „Denn der HERR liebt Recht und wird seine Getreuen nicht verlassen; […] und die Nachkommenschaft der Gottlosen wird ausgerottet“ (Psalm 37,28).

Solche Beschreibungen von Gottes Charakter waren grundlegend für Israels (und somit Asaphs) Verständnis von Gott. Die großen Geschichten aus Israels Geschichte bestärken den Glauben, dass „Gott gut [ist], denen, die reinen Herzens sind“ (Psalm 73,1), denn er „Der HERR hilft den Elenden auf. Er erniedrigt die Gottlosen bis zur Erde“ (Psalm 147,6).

 

Wenn das Fundament zu bröckeln beginnt

Doch während Asaph andere anleitete, diese grundlegenden Überzeugungen zu verkünden, begann sein persönliches Fundament zu bröckeln. Er konnte spüren, wie seine geistlichen Füße langsam abrutschten (Psalm 73,2). Weil er von Gottes Güte und Gerechtigkeit sang, sah er auch das „Wohlergehen der Gottlosen“, das eine andere Geschichte zu erzählen schien (Psalm 73,3).

In Anbetracht von Asaphs reifem Alter und seiner Bildung sowie der Art der Reflexion, die sein Beruf erforderte, müsste dieses Thema für ihn nicht neu gewesen sein. Aber manchmal ändert sich durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren unsere Sicht auf die Realität. Fragen, die uns sonst nicht oder nur wenig beschäftigt haben, beunruhigen uns dann plötzlich sehr. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, scheinen sie unsere grundlegenden Überzeugungen über Gott zu bedrohen. Zweifel machen sich breit und wir merken, dass unsere geistlichen Füße langsam abrutschen. Nachdem ich selbst Glaubenskrisen durchlebt und beobachtet habe, würde ich wetten, dass Asaph etwas Ähnliches erlebt hatte.

Als einer, der Tausende dazu anleitete, darüber zu singen, wie sehr der Herr die Gerechtigkeit liebt und die Unterdrückten verteidigt, fand Asaph es nun äußerst verwirrend, dass die Gottlosen scheinbar ein so gesegnetes Leben führen. Sie wurden nicht von Krankheiten geplagt, hatten genug zu essen, waren frei von den Ängsten, die auf den meisten Leuten lasteten und er sah wie sich ihr Wohlstand vermehrte (Psalm 73,4-7; 12). Darüber hinaus waren sie grausam, stolz, lästerten Gott, und all das scheinbar ungestraft vor Gottes Gericht. Und da Gott es nicht zu bemerken oder zu kümmern schien, passten sich alle anderen ihnen an (Psalm 73,8-11).

Zynismus macht sich breit

Asaph hingegen hatte treu „seine Hände in Unschuld gewaschen“, und was war sein Lohn? Er wurde „geplagt den ganzen Tag“ und seine „Züchtigung ist jeden Morgen da.“ (Psalm 73,13-14) Das passte nicht zusammen und machte keinen Sinn. Wo war die Erhöhung der Demütigen und die Erniedrigung der Gottlosen? Sein Vertrauen und seine Hoffnung auf Gottes Verheißungen nahmen ab, und bitterer Zynismus machte sich breit.

Aus verständlichen Gründen hat er nicht viel mit anderen über diesen Kampf gesprochen. In seiner einflussreichen Position könnte er das Vertrauen seiner geliebten Freunde und Mitarbeiter missbrauchen und könnte möglicherweise den Glauben der Geistlichen schädigen, die er leiten sollte (Psalm 73,15). Aber innerlich beneidete er die Gottlosen und dachte: „umsonst habe ich mein Herz rein gehalten“ (Psalm 73,3; 13).

Asaphs Glaube war in einer Krise. Und das Ringen mit seinen Fragen und Zweifeln, besonders im Rahmen  seines öffentlichen Dienstes, fühlte sich zusehends mühevoll an (Psalm 73,16).

Blick in das Heiligtum

Aber irgendetwas geschah mit Asaph, das seinen von Zweifeln gefüllten Zynismus wieder in eine von Glauben geprägte Hoffnung verwandelte. Er erlebte nicht, dass Gott schlussendlich die demütigen Gläubigen erhebt und die stolzen Gottlosen erniedrigt. Stattdessen erlebte er wieder einmal etwas, das seine Sicht auf die Realität veränderte. Diesmal während einer außergewöhnlichen Erfahrung, die er hatte, als er „hineinging in das Heiligtum Gottes“ (Psalm 73,17).

Asaph hat nicht festgehalten, was sich genau ereignet hat, aber es ist klar, dass er einen verändernden Schlüsselmoment erlebt hat. Wie die beiden mutlosen, zweifelnden Jünger, die unwissend mit Jesus nach Emmaus gingen, bis sie ihn plötzlich erkannten (Lukas 24,13-35), erblickte der mutlose, zweifelnde Asaph plötzlich etwas, das alles veränderte.

Das lebendige und wirksame Wort Gottes durchdrang sein Innerstes und sprach seine innersten Gedanken an (Hebräer 4,12). Er begegnete der „Wahrheit und dem Leben“, das ihn von seiner Blindheit heilte (Johannes 9,39). Und die erleuchteten Augen seines Herzens zeigten ihm etwas ganz anderes (Epheser 1,18).

Plötzlich sah Asaph die Bösen, die er beneidet hatte, deren Sünde scheinbar solchen Segen brachte, und er sah ihr Ende (Psalm 73,17) – das schreckliche Ende von jedem, „der [Gott] die Treue bricht“ (Psalm 73,27):

„Fürwahr, auf schlüpfrige Wege stellst du sie, du lässt sie in Täuschungen fallen.
Wie sind sie so plötzlich zum Entsetzen geworden!  Sie haben ein Ende gefunden, sind umgekommen in Schrecken.  Wie einen Traum nach dem Erwachen, so verachtest du, Herr, beim Aufstehen ihr Bild.“
(Psalm 73,18)

Und er sah das Leben, das Gott ihm gegeben hatte, mit all den Schlägen und Zurechtweisungen, die solche Nachteile mit sich zu bringen schienen, und er sah sein Ende – das glorreiche Ende eines jeden, der Gott treu ist:

„Doch ich bin stets bei dir. Du hast meine rechte Hand gefasst. Nach deinem Rat leitest du mich, und nachher nimmst du mich in Herrlichkeit auf.“  (Psalm 73,23-24)

Nun sah Asaph, dass Gott wirklich gut ist zu denen, die reinen Herzens sind; Er wird wirklich „die Füße der Getreuen behüten, aber die Gottlosen kommen um in Finsternis“ (1. Samuel 2,9). Aber als er versucht hatte, diese Tatsache anhand dessen zu beurteilen, was er nur in diesem Leben beobachten konnte, war er blind dafür. Um das Ganze zu erkennen, muss man durch die Linse der Ewigkeit schauen.

Anbetung zu neuem Leben erweckt

Asaphs veränderte oder erneuerte Perspektive half ihm, wieder einen Sinn in dem zu sehen, was ihn beunruhigt hatte. Sie offenbarte auch, wie „dumm und unverständig“ er in seinem verbitterten Unglauben er war (Psalm 73,21-22). Und während seine erneuerte Hoffnung aufblühte und sein Zynismus schwand, betete dieser Lobpreisleiter:

„Wen habe ich im Himmel? Und außer dir habe ich an nichts Gefallen auf der Erde. Mag auch mein Leib und mein Herz vergehen – meines Herzens Fels und mein Teil ist Gott auf ewig.“ (Psalm 73,25-26)

In diesem überwältigenden Moment im Heiligtum Gottes wurde Gott wieder zu Asaphs Heiligtum.

„Ich aber: Gott zu nahen ist mir gut. Ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt, zu erzählen alle deine Taten.“ (Psalm 73,28)

Drei Geschenke von Asaph

Mit der Verfassung dieses beeindruckenden Psalms (unter der Inspiration des Heiligen Geistes) hat Asaph uns ein wunderbares Geschenk gemacht.

Erstens: Indem er seine persönliche Glaubenskrise offenlegt, insbesondere als prominenter, öffentlicher geistlicher Führer hilft er uns zu erkennen, dass niemand vor schweren Kämpfen mit Zweifeln geschützt ist.

Zweitens: Er zeigt uns, dass wir mit großer Vorsicht und Geduld vorgehen sollten, wenn ein Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren unsere Sichtweise grundlegender biblischer Wahrheiten beeinflusst und sie in Frage stellt. Denn wir haben guten Grund, an unseren Zweifeln zu zweifeln. So überzeugend uns die Dinge auch erscheinen mögen, was unsere Zweifel nährt, ist in Wirklichkeit nicht eine klarere Sichtweise, sondern eine verzerrte Sichtweise. Als Asaph die Ewigkeit aus den Augen verlor, änderte sich seine Sicht auf alles.

Schließlich erinnert uns Asaph, der ein Jahrtausend vor Jesus geboren wurde, wie wichtig es ist, daran zu denken, dass wir „hier keine bleibende Stadt haben“ (Hebräer 13,14). Das biblische Glaubensleben in dieser Welt war schon immer ein Weg in ein „besseres Land, […] einem himmlischen“ (Hebräer 11,16). Es war schon immer so, dass wir zu bedauern sind, wenn wir nur in diesem irdischen Leben auf Gott hoffen (1. Korinther 15,19).

Und in der Tat, wie Asaph erfahren hat, führt das Hoffen auf Gott nur in diesem Leben dazu, dass man den Glauben an Gott verliert. Wir könnten genauso gut einfach “essen und trinken, denn morgen sterben wir” (1. Korinther 15,32). Nur durch die Perspektive der Ewigkeit können wir die Güte, Gerechtigkeit und Treue Gottes sehen. Und nur im Licht der Ewigkeit sehnen wir uns danach, Gott nahe zu sein und ihn als unseren Lebensinhalt für immer zu finden.

Jon Bloom When Doubt Eclipses Faith 24.06.2021. Übersetzt von Monika Peters.

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