An der Grenze von Irrtum und Falschheit

Wie bereits angekündigt, möchte ich mich dieses Jahr intensiver mit dem Thema Wahrheit und Wahrhaftigkeit beschäftigen. Heute möchte ich ein hilfreiches, – wie ich finde -, Konzept vorstellen, dass mir auf den unterschiedlichsten Kommunikationsleveln, von Social Media, über 4-Augen-Gespräche bis hin zu Gruppendiskussionen hilft, zielstrebiger/effizienter, um Wahrheit zu ringen.

Irrtum und Falschheit unterscheiden

Auf das Konzept bin ich durch Carl Truemans hilfreiches Werk zur Geschichtsinterpretation “Histories and Fallacies” gestoßen. Dort berichtet er über eine Talkshow, die einst sowohl einen Holocaust-Leugner wie eine Holocaust-Überlebende einlud. Die alte Dame berichtete von den Gräueltaten, die sie in ihrem KZ-Lager erlebt hatte, von der Gewalt der Wächter, den Vergasungsanlagen UND… auch darüber, dass sie die Seifenfabrik, direkt neben dem KZ-Lager, gesehen hat, in der man aus den Knochen der Toten Seife hergestellt hatte. Genau auf diese Aussage hat derweil der Holocaust-Leugner gewartet und legte nun, mit vielen (im Übrigen zutreffenden) Fakten dar, dass es diese besagte Seifenfabrik in diesem KZ-Lager nicht gab. Der Leugner verwendete somit einen mit Irrtümern belasteten Augenzeugenbericht, um mit einer “wahrhaftig wirkenden“ Argumentation seine historisch so dreiste Lüge zu verteidigen. Dadurch konnte er seiner Position den “Schein der Wahrheit” auflegen.

Im Verlauf seines Werkes führt Trueman noch weitere Beispiele auf, darunter z.B. Augenzeugenberichte zu einem Amoklauf in der Londoner U-Bahn, in der viele darüber berichten, Maschinengewehrsalven gehört zu haben, obwohl in der Untersuchung später keinerlei Maschinengewehrpatronen, geschweige denn Maschinengewehre entdeckt wurden. Dennoch waren die Augenzeugenberichte wichtig, nötig und hilfreich (und richtig). Enthielten aber Irrtümer.

Irrtum und Falschheit zu unterscheiden ist wichtig und nötig. Mir erscheint hier Falschheit der bessere Begriff, als Lüge zu sein, weil man mit dem Begriff Lüge zu sehr in der Gefahr steht, beides, sowohl Irrtum wie Falschheit, unterschiedslos als falsch zu verwerfen. Falschheit blickt viel mehr in die Motive und Hintergründe.

Die Irrtümer des Apostel Paulus

Als Paulus sich mit seinen Planungen geirrt hatte, warfen ihm die Korinther schon bald bewusste Täuschung vor. Hat nicht der Apostel schriftlich versichert, unbedingt zu kommen:  “Ich will aber zu euch kommen, sobald ich durch Makedonien gezogen bin” (1. Kor. 16,5). Doch unterschiedliche Gründe hinderten ihn daran, seinen Plan umzusetzen. Schon erkannten die ersten Christen Korinths darin eine bewusste Täuschung von Paulus. Paulus verteidigt sich sehr deutlich dagegen, als er später in seinem zweiten Brief schreibt: “Von euch aus wollte ich nach Makedonien reisen, aus Makedonien wieder zu euch kommen und mich von euch geleiten lassen nach Judäa.  Bin ich etwa leichtfertig gewesen, als ich dies wollte? Oder plane ich, was ich plane, auf fleischliche Weise, sodass das Ja Ja bei mir auch ein Nein Nein wäre?(2. Kor. 1,16-17).

In Apostelgeschichte 23 begegnet uns ein ähnlicher Irrtum des Paulus. Ich gestehe, dass ich die Entschuldigung des Paulus eher als geschickte rhetorische Maßnahme deute, das plumpe Verhalten des Hohepriesters zu entlarven. Es bleibt aber doch so, dass Paulus ganz öffentlich zu einem Irrtum steht: “Und Paulus sprach: Liebe Brüder, ich wusste es nicht, dass er der Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben : »Den Obersten deines Volkes sollst du nicht schmähen.«” (Apostelgeschichte 23,5)

Insgesamt wird deutlich, dass es dem Apostel wichtig war, einzugestehen, dass er sich irren konnte, dass er aber den Vorwurf der Falschheit entschieden ablehnte.

Die Ursprünge fehlender Klarheit

Als Christ gehe ich davon aus, dass der Ursprung jeder Information absolut fehlerfrei ist. Gott als Sender ist natürlich frei von jedem Fehler. Das bedeutet auch, dass es zu jedem einzelnen Ereignis, zu jeder Bewegung von Atomen oder sonstigen kleinsten Teilchen im Universum die absolut zutreffende und notwendige Beschreibung geben muss. Auch hierüber herrscht Gottes Vorherbestimmung. Um es mit Worten von niemand Geringeren als Pierre-Simon Laplace (französischer Physiker und Mathematiker, 23 March 1749 – 5 March 1827) auszudrücken (eigene Übersetzung aus dem Englischen):

“Wir können den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge seiner Vergangenheit und als Ursache seiner Zukunft sehen. Ein Intellekt, dass zu einem bestimmten Moment alle seine Kräfte kennen würde, dass seine Natur in Bewegung setzt, und all Positionen aller seiner Teile kennen würde, aus der die gesamte Natur zusammengesetzt ist, und wenn dieses Intellekt zu dem mächtig genug wäre, all diese Daten zu analysieren, könnte dieses Intellekt in einer einzigen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und der kleinsten Atome beschreiben. Für ein solches Intellekt wäre nichts unbestimmt und die Zukunft, wie die Vergangenheit wäre vor seinen Augen völlig gegenwärtig.” 

Für Laplace war dieses Postulat nötig, um überhaupt über physikalische Prozesse reden zu können. Für uns als Christen ist es klar, dass Gott und Jesus die Wahrheit sind und kennen. Ja in diesem Sinne ist Gott nichts als die Wahrheit, da er nicht lügen kann (Titus 1,2). Oder mit den Worten von Johannes ausgedrückt: “Ihr wisst, dass keine Lüge aus der Wahrheit kommt. “(1. Joh. 2,21)

Während der Sender also perfekt sendet, haben wir als Empfänger einfach “ein ordentliches Rauschen auf unserem Signal”, um bei der technischen Metapher zu bleiben. Dass wir dieses Rauschen haben, liegt schon an unserer beschränkten Kreatürlichkeit. Dabei gilt: Es ist nicht sündhaft, beschränkt zu sein. Doch die Folge des Sündenfalls ist es auch, dass wir die Lüge mehr lieben als die Wahrheit. Zum Rauschen der Beschränktheit kommt also ein Verzerrungsfilter, mit dem wir die Information um uns, geradezu als Neigung, “verfälschen”.

Das zeigt auf eine nötige “Filter-Maßnahme”: die Demut. Gott ist zu groß, als dass wir Ihn und seine Ratschlüsse völlig erfassen und umfassen könnten. Selbst vom Besten Stück unserer Wahrhaftigkeit gilt es also, dass “wir uns häufig verfehlen” (Jak. 3,2). Mit den Worten von Calvin: “Da wir freilich von viel Unwissenheit umgeben sind, so will ich gewiss nicht abstreiten, dass uns jetzt noch viele Dinge “eingewickelt” sind, ja dass sie es auch in Zukunft noch sein werden, bis wir die Last unseres Fleisches abgelegt haben und Gottes Gegenwart näher gekommen sind. In eben diesen Dingen können wir nichts Nützlicheres tun, als das Urteil in der Schwebe zu lassen und uns kräftig Mühe zu geben, die Einheit mit der Kirche aufrechtzuerhalten” (Calvin Institutio, III,2,3)

An einer anderen Stelle gebraucht Calvin, wie Gewissheit des Glaubens, wenn auch von Irrtümern und Unklarheiten belastet, doch echt und Gewiss ist, das Bild Eines im Kerker gefangenen, der die Strahlen der Sonne erfährt: “Wenn einer gefangen liegt und in seinem Kerker die Strahlen der Sonne bloß durch ein enges Fenster schief und gleichsam halbiert schimmern sieht, so ist es ihm zwar verwehrt, die Sonne frei zu schauen – und doch ist es ein wirklicher Glanz, den er mit seinen Augen erfasst und sich zunutze macht! Ganz ebenso sind auch wir von den Fesseln des irdischen Leibes umschlossen, und ringsum lieben wir zwar in Dunkle und Schatten, aber wenn uns auch nur ein wenig vom Lichte Gottes bestrahlt und uns seine Barmherzigkeit offenbart, so empfangen wir doch genug Erleuchtung, um zu fester Gewissheit zu kommen” (Calvin, Institutio, III,2,20). – Wahrheit zu erfassen ist also auch in unserer Beschränktheit möglich.

Ich beobachte häufig, dass auch schlicht linguistische Fähigkeiten benötigt werden, um Wahrheit zu artikulieren. Manchmal begegnen sich zwei, die mit dem gleichen verwendeten Begriff eigentlich unterschiedliche Bedeutungsräume meinen.

Natürlich machen all diese Einschränkungen die Kommunikation von Wahrheit zu einem kleinen Wunder der Gnade. Aber gerade, weil Gott da ist, und unserer Schwachheit aufhelfen möchte, sollten wir mutiger darum bedacht sein, die Wahrheit möglichst irrtumsfrei und konsequent falsch von Freiheit zu berichten. Doch mehr dazu bei den Beispielen.

Die Folgen der Unterschiedslosigkeit

Wie so oft ist unterscheiden besser als vermischen oder trennen. So sollte man auch Irrtum und Falschheit unterscheiden, aber nicht trennen oder vermischen. Betrachten wir beide Möglichkeiten:

Unterschiedslosigkeit zwischen Irrtum und Lüge führt generell zu zwei möglichen Extremen. Unter “Frommen” beobachte ich eher, dass man generell jeden Bericht, außerhalb des Wortes Gottes “so sehr unter Vorbehalt” stellt, dass man ihn zunächst einmal anzweifelt. Z.B. beobachte ich das vermehrt bei Predigern, die aus historischen Quellen zitieren, um z.B. soziale Hintergründe zu erklären. Dann kommen Sätze wie “Historiker schreiben, das Nero anscheinend geisteskrank war, aber wir können das nicht genau wissen” oder “Angeblich sei Pilatus in dem und dem Jahr verstorben”. Kurz: Nicht eine Information außerhalb der Bibel wird für wahr gehalten, auch wenn nicht bestritten wird, dass diese Informationen “Körnchen der Wahrheit” enthalten können. Dabei hätte man rein vortragstechnisch das Problem ja auch so lösen können, in dem man z.B. sagt, “dass dieser und jener Historiker das und das notiert hat”.

Ich denke zu dieser Art des Umgangs mit Geschichtsschreibung kann nur jemand kommen, der zu wenig zwischen Irrtum und Falschheit unterscheidet. Ich z.B. möchte ernst genommen werden, ich möchte, dass man mir glaubt, dass ich die Wahrheit sage und ringe auch darum, dass meine Berichte wahr und wahrhaftig sind.

Hört mir aber mein Gegenüber mit diesem typischen Funkeln in den Augen zu, dass ich regelmäßig in besonders konservativen Kreisen beobachte, “dass das was ich sage, höchstwahrschein so stark von Irrtümern belastet ist, dass man mir erst einmal nicht sonderlich glaube”, dann wird schließlich jedes Gespräch obsolet. Das Problem wie gesagt, ist das man nicht ausreichend zwischen Irrtümern und Lügen unterscheide. Auch wird auf diese Weise, der Nächste nicht ernst genug genommen. Warum sollte man z.B. jemanden etwas erzählen, der keinerlei Darstellung wirklich ernst nimmt. Und schließlich ist so auch kein Wachstum in der Erkenntnis möglich. Denn sollten nicht alle unsere Gespräche, ob nun schriftlich geführt, in den sozialen Netzwerken oder an einem gemütlichen Dinner, helfen, der “Wahrheit”, die ja Jesus Christus selber ist, näher zu kommen?

Es gibt andererseits, was ich eher im säkularen Milieu beobachte, eine große Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, dass man unterschiedslos alles für bare Münze nimmt. Hier ist dann jeder antike Bericht, ja jedes Lügenmärchen schon Träger einer Wahrheit, die es zu erfassen gilt, ohne dass Wahrheit an sich, die reine absolute Wahrheit, existiert.

Vermischt man Lüge und Wahrheit unterschiedslos, verliert die Wahrheit jeden Sinn und Mehrwert. Ich beobachte das in der aktuellen Geschichtsschreibung z.B. in modernen Biographien: Sie schildern alles so neutral, als wäre jede Tat und jede Meinung an und für sich absolut gleichwertig wie eine andere. Ausführliche Beispiele zu dieser Perspektive habe ich in diesem Artikel dargestellt: Gibt es eigentlich unwahre Erzählungen?

Ein Beispiel aus einem theologischen Streitthema

Persönlich bin ich nicht gewillt diese Art an Gleichgültigkeit und Unterschiedslosigkeit in theologischen Fragen zu akzeptieren! Die Seite apologia.info ist z.B. ein Informationsseite für Christen, die sich kritisch mit dem Calvinismus auseinandersetzen wollen. Vor allem kurz nach Entstehung dieser Seite haben mir unterschiedliche Freunde Links zu dieser Seite geschickt und ich habe mir die Mühe gemacht, einige Artikel daraus zu lesen. Mich hat es immer wieder erschüttert, wie tendenziös einige Artikel sind. Es ist sehr Aufwendig, solche Probleme und Unklarheiten aufzudecken, aber ich habe mir für ein Beispiel die Mühe gemacht: Im Artikel “Die Neuen Calvinisten” veröffentlicht apologia.info einen Artikel von E.S. Williams, dort findet sich an einer Stelle diese Aussage:


“Die Führer der Neoevangelikalen waren Dr. Harold Ockenga, der den Begriff Neoevangelikalismus schuf, und der Theologe Dr. Carl Henry. Im Jahre 1956 begann Henry unter dem Drängen und mit Hilfe von Billy Graham mit der Herausgabe der Zeitschrift Christianity Today, die zum Sprachrohr der Neoevangelikalen wurde und derzeit zum Sprachrohr der Neuen Calvinisten wird.

Der Neoevangelikalismus zeichnet sich durch vier Eigenschaften aus:

Erstens, er hatte eine niedrige Sicht von der Heiligen Schrift und er machte Kompromisse in Bezug auf ihre Irrtumslosigkeit. Der Neue Calvinismus ist, wie wir sehen werden, ebenso leichtfertig und ehrfurchtslos bezüglich der Schrift.

Zweitens machte der Neoevangelikalismus Kompromisse, wenn es darum ging, sich von falscher Lehre zu trennen, und er strebte Allianzen mit allen an, die sich als Christen bezeichneten, was auch immer sie glaubten. Der Neue Calvinismus ist weitgehend ebenso ökumenisch ausgerichtet.

Drittens suchte der Neoevangelikalismus nach Anerkennung durch die Welt und nach intellektueller Respektabilität. Der Neue Calvinismus ist sogar noch weltlicher, was sein Verlangen und sein Verhalten angeht.

Viertens fügte der Neoevangelikalismus dem Evangelium der Wahrheit den sozialen Aktivismus hinzu. Auch der Neue Calvinismus fördert sozialen Aktivismus.”


Lasst uns diesen Ausschnitt näher betrachten: Er sieht er in Ockenga und Graham, aber vor allem in Henry einen Wegbegründer einer Theologie, die wegbegleitend für vier fahrlässige Gefahren des Neoevangelikalismus ist: (1) Niedrige Sicht der Schrift, (2) Kompromisse der falschen Lehre, (3) Anerkennung in der Welt (4) sozialer Aktivismus. Diese vier Punkte wären nun auch im Neocalvinismus zu beobachten.

Diese Feststellung kann aber nur gelingen, in dem man so tut, als gebe es im Wirken der Menschen keine Veränderung. Wer würde z.B. bestreiten, dass Billy Graham 1956 andere Meinungen vertrat, als 2000 oder später. 1956 war er auf jeden Fall weniger ökumenisch. Aber schauen wir uns die Position von Dr. Carl Henry näher an. Was hier gesagt wird, ist einfach nicht wahr. Henry hat niemals eine niedrige Schrift der Schrift vertreten, er war einer der ersten Unterzeichner der Chicago-Erklärung zur Unfehlbarkeit der Schrift (Quelle).  Die genannten Kompromisse mit der falschen Lehre meinen offensichtlich Henrys tolerante Haltung sowohl zu reformierten, wie dispensationalistischen Positionen, also etwas, das doch auch die Webseite apologia.info für sich beansprucht. Aber viel wichtiger ist, dass C.F.Henry Herausgeber einer Laiendogmatik war, die man noch heute erwerben kann: hier. Die in diesem Buch vertretenen Positionen sind solide und konservativ, ja geradezu fundamentalitsich, dürften sich z.B. kaum etwas von den Positionen unterscheiden, die das Metropolitan Tabernacle in London selbst vertritt, wo der Autor der oben gedruckten Kritik selbst Mitglied ist.

Henrys Leistung in “Basics of the Faith” war, dass er ganz unterschiedliche Theologen, von G.E. Ladd, über Ramm bis hin zu Leon Morris und G.C. Berkouwer zu Beiträgen in diesem Werk überzeugen konnte. Ja, Henry strebte Allianzen an, aber es waren evangelikale Allianzen mit Autoren die an die Irrtumslosigkeit der Schrift waren. Das war prägend für den Begriff “evangelikal” an und für sich. Denn im rein linguistischen Sinne bedeutet “evangelical” im englischen nur das, was wir im Deutschen mit evangelisch wiedergeben würden.

Was die “Anerkennung der Welt” angeht, so kann ja kein Zweifel bestehen, wie konservativ Henrys eigene Ansichten 1956 waren.  In The uneasy Conscience of Modern Fundamentalism (1947) diskutiert Henry z.B. ernsthaft die Frage, ob christliche Frauen wirklich Schwimmbäder besuchen dürfen. (Er diskutiert die Frage als Beispiel ob man in diesem Punkt auch tortz unterschiedlicher Meinung zusammenarbeiten darf)

Henrys Spätwerk und magnum opus, eine sechs-bändige Dogmatik lässt keinen Zweifel daran, wie sehr Henry an der Autorität von Gottes Wort hängt. Seine Schlußfolgerung ist: “that if we humans say anything authentic about God, we can do so only on the basis of divine self-revelation; all other God-talk is conjectural.” (Menschen können ohne Grundlage der Selbstoffenbarung Gottes nichts authentisches über Gott sagen). Henry sah sich selbst ganz klar als Fundamentalisten, in dem positiven Sinne seiner Zeit, ist aber auf jeden Fall immer als konservativer Theologe zu verorten.

Auch den heutigen Inhalt von Christianity Today kann man nicht mit dem Inhalt der Zeitschrift aus den 50ern und 60ern vergleichen. Wikipedia berichtet, was die Motivation für die Gründung von Christianity Today war: Eine Gegenstimme zur liberalen Zeitschrift Christian Century zu etablieren. Wenn wir übrigens bei Christianity Today sind. Im “Handbook of Evangelical theologians” von W.A. Elwell findet sich eine Information zur Haltung von C.F. Henry zum Inhalt in Christianity Today: “The board of Christianity Today kept pushing Henry for a permanent commitment, but he, with others, had several concerns, predominantly the recurring efforts to change the magazine’s character from an intellectual journal for clergy to a lay publication”  Henry wollte also eine eher theologische Zeitschrift und nicht eine, die ein großes Publikum erreichen soll.

Was schließlich den vierten Kritikpunkt angeht, den des sozialen Einsatzes angeht. Ich nehme an, es geht um die Chicago Declaration of Evangelical Social Concern, die Carl Henry 1973 unterzeichnet hat. Der Text liest sich weitestgehend wie ein Bußgebet, in dem die Unterzeichner Buße für ihre Gleichgültigkeit gegenüber Rechten von Schwarzen, Frauen und sozial Schwachen tun. Außer der Unbestimmtheit bzgl. der Komplementarität von Mann und Frau lässt sich wenig an diesem Text aussetzen. Zum Nachlesen: hier.

Diese Analyse zeigt, dass die obige These von E.S. Williams weitestgehend konstruiert, ist: C.F.Henry plante nicht mit anderen eine liberale Unterwanderung des Christentums. Man kann weder Zeitschriften noch Personen als starre Organismen sehen. Wenn auch bei Graham eine starke Liberalisierung stattgefunden haben mag, fand diese nicht bei Henry statt.

Der Vorwurf der niedrigen Sicht der Schrift ist schlicht eine Lüge, die Vorwürfe zu Allianzen und interdenominationaler Zusammenarbeit nicht differenziert genug, der Vorwurf der “Anerkennung durch die Welt” nicht begründet und der Vorwurf des sozialen Aktivismus unberechtigt, da jeder, auch der Autor E.S. Williams bestätigen wird (wie ich hoffe), dass der amerikanische Rassismus der gerade unter weißen Fundamentalisten der 50er und 60er Jahre vorlag, falsch war. Beachtet aber, dass diese Argumente zentral sind, um überhaupt das Problem von Neoevangelikalen und Neocalvinisten aufzuzeigen. Wenn aber das Argumentationsgerüst bereits bei diesen Grundlagen schon auf derart wackeligen Beinen steht, verliert der Autor die Glaubwürdigkeit für alle weiteren Ausführungen, wie notwendig und wertvoll sie auch sein mögen.

Was am Ende von der zitierten Aussage bleibt, ist kaum mehr als eine tendenziöse Propaganda. Dieses ausführliche Beispiel soll zeigen, wie mühselig es ist, einem Artikel solche Tendenzen nachzuweisen. Diese sehe ich ganz klar in vielen Auszügen in E.S. Williams Artikel. Im Übrigen ein Grund, warum ich Artikel dieser Art kaum lese. Denn es erfordert immer viel Mühe, Lüge aufzudecken, bringt aber wenig Gewinn ein. Am Ende weiß ich zwar etwas darüber, wie sehr E.S. Williams über die Neuen Calvinisten erbost ist, aber kaum etwas darüber, was denn die Probleme dieser Gruppe sein sollten.

Betrachtet man den weiteren Kontext von apologia.info. dann findet man nur etwas weiter einen Artikel von Emil Brunner, der als hilfreich bezeichnet wird. Doch Emil Brunner war in allen vier genannten Instanzen viel bedenklicher als C.F. Henry. Brunner vertrat nicht die Irrtumslosigkeit der Schrift, kooperierte ganz frei mit Bibelkritikern, war in der Welt beliebt und betonte die soziale Verantwortung noch viel ausführlicher als Henry. Wie kann nach gleichem Maß gemessen, aber Brunner einen hilfreichen Artikel rufen, während man gleichzeitig vor dem Werk von Henry warnt?

Dieses ausführliche Beispiel soll zeigen, wie man Artikel/Bücher/Blogartikel auf ihre Nützlichkeit bewerten kann. Die Art, wie E.S.Williams argumentiert finde ich nicht nützlich und hilfreich, obwohl ich an einer guten und kritischen Auseinandersetzung mit dem Neo-Calvinismus interessiert wäre.

Weitere Praxis- und Grenzfälle

Betrachten wir noch einige Praxisfälle:

Um mit einem harmlosen Beispiel anzufangen: Jemand berichtet über seine Position über die Taufe. Gehen wir in diesem Beispiel von dem Model aus, dass die Glaubenstaufe durch Untertauchen “die Wahrheit ins Schwarze trifft”. Nun besucht mich ein Glaubensbruder oder eine Glaubensschwester und berichtet mir über Ihr Verständnis. Dann kann das, was mir diese Person sagt, trotzdem frei von jeder Lüge und Falschheit sein, obwohl sich die Person im “Irrtum” befindet (ein viel zu starkes Wort für diese Frage, ich bleibe aber bei der Terminologie dieses Artikels).

Was ich dann zudem beobachte ist, dass diese Gespräche meist uns beide vorangebracht haben. Ich sage immer, dass ich am meisten über die Theologie der Taufe von den Kindertäufern gelernt habe, eben weil ich einige Perspektiven zu dieser Frage niemals beachtet habe.

Trotzdem habe ich in dieser Frage viel Falschheit beobachtet. Als Baptist habe ich ausreichend Prediger beobachtet, die davon sprachen, “dass die Taufe der zweite Gehorsamsschritt ist”, ohne dass sich der Verkündiger wirklich jemals ernsthaft mit der Frage der Taufe auseinandergesetzt hat. Allzu oft ist die einzige Motivation für die Glaubenstaufe, “es einfach weiter so zu machen, wie bisher. Schließlich haben unsere Väter es auch so gemacht, und sie wurden schließlich ja auch von Gott gesegnet”. In diesen Fällen fällt mir die Ehrlichkeit zu sich selbst. Diese Perspektive kann aber mit dem hier vorgestellten Model nicht umfassend genug erfasst werden. Es reicht zur Prüfung des eigenen Herzens nicht aus, zwischen Falschheit und Irrtum zu unterscheiden, weil der Mensch von Natur aus neigt, sich selbst zu betrügen.

Natürlich gibt es diese Gleichgültigkeit zu der vertretenen Position auch aus dem Lager der Bundestäufer. Hier klingen sie oft noch “traditioneller”. So haben ja Augustinus und Luther auch Säuglinge getauft.

In das Lager der Falschheit würde ich auch hanebüchene oder konstruierte Argumente zählen. Bei der Tauffrage hörte ich einst von jemanden, der beweisen wollte, dass ” das Untertauchen nicht notwendige, ja falsch wäre”, die Begründung, dass die Apostel nach der ersten Missionspredigt, gar nicht genug Kraft in den Armen gehabt hätten, um 3000 Personen zu taufen. Zudem gab es so viel fließendes Wasser gar nicht in Jerusalem.  Ein künstliches Strohmannargument, dass viele Seitenfeuer entfacht, natürlich widerlegbar ist (z.B. geht die These ja von den Prämissen aus, dass nur die Apostel tauften und die Taufe an einem einzigen Tag stattfand und dann auch noch mitten in Jerusalem, und warum sollte der Heilige Geist ihnen nicht ausreichend Muskelkraft gegeben haben?), aber insgesamt nur ein Stolperstein auf der Jagd nach der Wahrheit ist.

Streiten sich zwei, ist es besonders schwierig, zwischen Wahrheit, Irrtum und Falschheit zu unterscheiden. Unter Spannungen werden eigenen Positionen oft zu biased dargestellt. Ich beobachte, dass Fragen helfen, der Antwort näher zu kommen.  Aber betrachten wir einen Praxisfall:

Als Student habe ich in den Semesterferien häufiger in einer Druckguß-Gießerei gearbeitet. Die Arbeit war plumpe und öde Fließbandarbeit. Dabei musste ich regelmäßig die Urlaubsvertretung für einen Mitarbeiter der Gießerei übernehmen, der in gegossene Metallgehäuse Gewinde mit einem halbautomatischen Gewindeschneider schnitt. Ich glaube, die jahrelange monotone Arbeit hat ihn in dieser Hinsicht etwas eigenbrötlerisch gemacht. Er betrachtete nämlich zunehmend jedes Gewinde wie ein Kunstwerk und war alles andere als froh darüber, mich als Urlaubsvertretung einweisen zu müssen. Aber irgendwie musste er ja auch in den Urlaub. Beständig warnte er mich, höchste Sorgfalt beim Gewindeschneiden zu haben, da der Gewindeschneider ein sehr teures und seltenes Werkzeug wäre “und die Produktion sonst stillstände, wenn er kaputt geht”. Nun, ich war natürlich nicht so sorgfältig und ein Gewindeschneider brach bei mir wirklich entzwei. Es folgte ein großes Klagelied darüber, was für Folgen das hätte, und ich das bitte selber beim Schichtleiter verantworten soll und schauen soll, wo ich Ersatz herholen soll. Recht bang bin ich zum Schichtleiter gegangen, mit Verwunderung darüber, warum die Fa. nicht einmal Ersatz haben sollte? Doch der lachte nur kurz auf, machte die Schublade auf, und siehe da, ein ganzes Dutzend Gewindeschneider (gleicher Größe) lächelten mich aus der Schublade an. – Nun kann man diese Erzählung immer weiter vertiefen. Z.B. blieb es der einzige kaputte Gewindeschneider während meiner Arbeit. Zum anderen

, habe ich schon in der Nacherzählung angefangen dieses ” Hängen am Gewindeschneider”” entsprechend zu interpretieren. Es ist möglich, wenn auch etwas unwahrscheinlich, dass ich mich irre, dass es die monotone Arbeit war, die den Arbeiter so “knorke” über jeden Bohrer und Gewindeschneider” gemacht hat. Aber wir haben ja nie über die monotone Arbeit gesprochen und ich habe nur sein Verhalten und Handeln beobachtet. Mit mehr Feingefühl meinerseits, hätte ich auch lernen können, auf seine “Verschrobenheit” zu reagieren. So habe ich mir sehr früh angewöhnt, diese Fließbandarbeit nur mit Kopfhörern zu ertragen. Kaum stand ich hinter der Maschine, waren schon die Kopfhörer im Ohr und ein Hörbuch folgte aufs Nächste. Das sah natürlich (so verstehe ich das Rückblickend) für diesen Kollegen natürlich gleichgültig und respektlos aus (und war es wahrscheinlich auch ein bisschen).  Überhaupt ist diese ganze Geschichte eine geeignete Stammtisch-Anekdote und gerade jede bildhafte Beschreibung interpretiert bereits meine Beobachtungen und unsere Gespräche, aber dennoch ist damit echte und wahre Informationsübermittlung möglich.

In vielen Fällen bleibt es aber dennoch so, dass die Absichten die Methoden so sehr überdecken, dass ein Unterscheiden zwischen Falschheit und “irrtumsbelasteter” Wahrheit nicht mehr möglich ist.

Da bin ich froh über unseren Gott, der nicht lügen kann (Tit. 1,2). Da er Wahrheit ist führt er uns zur Wahrheit, die nur in Christus zu finden ist.

 

 

 

 

 

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