Bedeutet es, dass ich gestresst hetzen muss, um “die Zeit auszukaufen”?

Erbarmungslos hämmert dieser Vers auf mich nieder – “Kauft die Zeit aus!” ist der Imperativ, der mich morgens früher aus dem Bett holt, mich Mittags möglichst schnell meine Mahlzeit beenden lässt, und mich abends mit mir hadern lässt, “dass ich nicht noch effizienter war”. Ob es nun der notwendige Reifenwechsel – oder der Spaziergang ist, schon vor Jahren habe ich mir angewöhnt, dies nur mit Stöpseln im Ohr zu tun, um die “Zeitausbeute” zu steigern. Möglichst höchste Effizient ist die Parole und angetrieben durch Eph. 5,16 hetzt man von einem Task zum Nächsten.

Praktisch bedeutet dies natürlich, dass man die Aufgaben nach Relevanz/Bedeutung sortiert und “Kinder hüten” oder “Leibliche Ertüchtigung”  findet sich in dieser Hierarchie nur ganz weit unten – sind es ja schließlich nicht “geistliche Werke des Reiches Gottes” – eher nötige, unvermeidbare Pflichten, die von dem wesentlichen “Dienst für Gott”, wie z.B. dem  Bloggen, oder in meinem Fall vornehmlich “wichtige Bücher lesen” abhalten. Entsprechend gilt es, diese Zeit als so gering wie möglich zu halten – schließlich muss ich “die Zeit auskaufen”, wenn ich geistlich sein möchte

Entsprechend ist natürlich auch nur “zäher Verkehr” der Horror schlechthin, die pure Zeitvernichtung in ihrer reinsten Form – Überhaupt, wenn ich so darüber nachdenke, werden es nahezu täglich nur immer mehr Autos auf den Straßen, die scheinbar jedes Jahr erneut zwei km/h langsamer unterwegs sind als letztes Jahr – Straßen voller Sonntagsfahrer!

Oder nehmen wir die Beschäftigung mit den Kindern – Um die dominierende Emotion dabei zu benennen: “Langeweile” – Wie furchtbar “ätzend” es ist, bei der Kinderbetreuung “anwesend” zu sein, ist kaum in Worte zu fassen.  Ob es nun malen, kneten, singen oder auch nur anschaukeln ist. Diese Zeit gilt es möglichst kurz zu halten! Dabei war mir die Fesselung der Kids vor digitalen Medien zu offensichtlich manipulativ und so greift man zu “kreativeren Maßnahmen”. Beispiel: Anschaukeln! Schon nach einigen Minuten versuche ich das Kind abzulenken und es auf eine Beschäftigung aufmerksam zu machen, mit der es sich selbst beschäftigen kann!

All das ist natürlich nur heilige Pflicht, schließlich peitscht mich ja Eph. 5,16 zum Ziel! Natürlich geht es dabei nicht darum, durch Werke selig zu werden, aber man will ja “nicht einfach leer vor Gott stehen”, wenn er uns zur Rechenschaft des Pfundewucherns aufrufen wird. Da will man dann auch etwas für das “Reich Gottes getan haben”…

Ich habe versucht, meine Überlegungen möglichst authentisch, wenn auch überspitzt zu schildern. Das ich bereits tief in eine”leistungsorientierten selbstgerechten Effizienzfalle” gefallen war, ist mir nur sehr langsam und zähflüssig aufgegangen. Drei Momente des “Erwachens” möchte ich schildern:

a) Station 1: Die verkorkste Fahrradtour – Eigentlich fahre ich gerne Fahrrad. Aber auch dieses Thema ist natürlich im Schatten der Effizienz zu sehen. So habe ich lange versucht, auch beim Radfahren die Kopfhörer aufzusetzen. Eines Tages war nahezu perfektes Radl-Wetter. Ich stieg auf das Bike und fuhr ausnahmsweise mal eine eher neue Strecke. Nun fuhr ich an einem besonders schönen und mir bis dahin nicht bekannten Aussichtspunkt vorbei, aber bevor ich auch mich auch nur einmal reihum blicken konnte, stach wieder der Dorn, das “dies nicht effizient ist” – Fast empört stieg ich aufs Rad und fuhr weiter – Mit wem ich wirklich haderte, war mir da gar nicht klar.

b)Station 2: Der verdorbene Filmabend – Eines Abends, nachdem ich besonders “effizient” war, dachte ich, dass ich mir auch “einmal etwas Freizeit” verdient hätte. So schaltete ich einen älteren Krimi an, aber bereits nach zehn Minuten habe ich weggeschaltet, weil mir das “nicht effizient” vor kam und ich “ja etwas nützlicheres tun könnte”. Ich tat auch “was nützlicheres”, aber mit einem wirklich unerträglichen Zorn und Hadern. Ich ärgerte mich ungemein über Gott, der mich nur ständig mit Forderungen und Leistungsansprüchen überhäuft. Um im biblischen Vokabular zu bleiben: “So viele Jahre habe ich dir gedient, und du hast mir nie einen Bock gegeben”. – Diese Worte, gesprochen vom “Älteren verlorenen Sohn” zum gnädig liebenden Vater (Luk 15,29), hallten mir wirklich durch die Ohren. Und genau da fing es mir langsam an aufzugehen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt.

c) Gemeinsames Beten von Psalm 103 – Gott führte es so, das ich anfing, mit anderen Christen über diesen Hader gegenüber Gott zu sprechen, über diesen Zorn gegenüber Gott. Ich bin dankbar, dass sich Christen gefunden haben, die mir zuhörten und mit Rat, vor allem aber mit Bibellesen und Gebet zur Seite standen. Tatsächlich fing es damit an, dass wir noch einmal genauer auf Eph. 5 blickten. Nun wird dort das Zeit auskaufen mit einem weisen Handeln verknüpft, das nüchtern (nicht vollgesoffen), also selbstkontrolliert vorgeht. Alles mit der Absicht, “voll des Geistes zu werden”, wofür Paulus sogar klare Anweisungen gibt, wie das geschieht, im Wesentlichen in dem er auf die klassischen Gnadenmittel (Wort Gottes, Gebet/Gesang und Gemeinschaft) verweist.  Aber um ehrlich zu sein, das genügte mich. Erbarmungslos penetrant hämmerte es in meinen Gedanken weiter: “Kaufet, kaufet, kaufet die Zeit aus!” – Aber die Veränderung brach sich doch die Bahn: Es fing damit an, dass wir anfingen, in der Familienandacht, auch immer einen biblischen Text zu beten; vor allem blieb dann Ps. 103,8 hängen: “Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte” – Gott wird hier als der vierfach gnädige Gott geschildert, auch einem oberflächlichen Leser fällt hier ja die Anspielung des Psalmisten an 2 Mo. 34,6 auf, ein besonders spannender Moment der Selbstoffenbarung Gottes an Mose, als sich dieser in einer Felsenkluft versteckt. Hier also in Ps. 103,8 ruft sich der Psalmist die Identität Gottes in Erinnerung; das deckte sich so gar nicht mit meiner Wahrnehmung eines durchpeitschenden Gottes, der mich erbarmungslos zur Höchstleistung antreibt. Weil wir den Psalm aber Abend für Abend wiederholten ging mir langsam auf, dass ich Gott verurteile, wenn ich auf diese Weise mit ihm hadere. ich fälle ein falsches Urteil über Gott, das sich seiner Selbstoffenbarung als vierfach gnädig widerspricht und rufe ihm zu: “Du meinst es nicht gut mit mir” – Ohne in weitere Selbstanalysen einzusteigen, kann ich rückblickend nur aufs Neue darüber staunen, wie gnädig Gott mit mir mal wieder gewesen ist.  (Wahrlich vierfach gnädig!) Drei Bemerkungen möchte ich trotzdem festhalten:

Zunächst: Diese obigen Beobachtungen machten überhaupt keinen Sinn für mich! Ps. 103,8 zu beten, bedeutete dieses ganze Effizienzmodel zu leugnen. In manchen Augenblicken klang das komplett schwachsinnig! Warum sollte ausgerechnet Ps. 103,8 (oder meine Interpretation davon) recht haben, wenn alles in mir nur so danach schreit noch mehr Leistung zu liefern! Nur langsam ging mir auf, dass ich ein Opfer meines Perfektionismus bin, der sich weigert seine Sünder der Selbstgerechtigkeit abzulegen.

Erst nach einigen ersten mit Müh und Not errungenen Siegen ging mir dann auf, dass sich Ps. 103,8 sehr wohl wunderbar mit Eph. 5,16 harmonisieren lässt. Ich greife auf das Beispiel des Kinderhütens zurück. Wenn ich diese Zeit nur möglichst effizient gestalten möchte, dann kann das durchaus sein, dass man auch einen ganzen Tag dafür frei nimmt und z.B. einen Zoo, einen Schwimmbad oder einen Berg besucht und doch macht Sergej der Pefektionist das nur, weil es halt “gute Vaterpflicht” ist. Es wird ein Programm der Bespassung abgespielt, dass eigentlich nur meine Effizienz im Blick hat und nicht mich als Diener an der Familie, der seinen Kindern als geschaffenen Ebenbildern Gottes in Sanftmut und Geduld begegnet. Wirklich, das ist hier in wenigen Sätzen niedergeschrieben. Aber das ist ein furchtbarer kaum zu ertragender Sterbeprozess seinen Modellen nicht zu glauben, die so komplett sinnvoll klingen, während gleichzeitig nur eine ganz stille, kaum vernehmbare Stimme etwas davon flüstert, dass man in Christus bedingungslos angenommen ist.  Doch überwindet man hier, blickt man plötzlich viel weiter, und das langweilige “Kinderanschauckeln” ist plötzlich heilige Christenpflicht und man kann diese Zeit wirklich nicht für kostbar genug halten, um die Entwicklung der eigenen Kinder zu beobachten, zu begleiten. Sehr wohl ist also gerade das, was ich als “ätzend und langweilig” abstempele, kostbarer Gottesgeschenk an Zeit, die es auszukaufen gilt. Auch wenn ich das ideal schildere, kann ich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich hier noch ganz am Anfang einer Veränderung stehe, die wirklich von diamantenen Verheißungen gepflastert ist….

Zudem ist es auch weiterhin so, dass der Effizienzdrache regelmäßig wie ein gefräßiger Löwe brüllt. Seine Argumente klingen überzeugend. Aber er hat mich schon so oft angelogen! Ich denke da z.B. an so gut wie jede handwerkliche Arbeit, die ich immer so schnell wie möglich erledigt haben will. Dies geschah dann nur unter Frust, Schimpfen, Unzufriedenheit und einer geballten Ladung an Selbsthass. Wirklich gute Früchte, wie Zufriedenheit oder Freude an der Arbeit erntete ich nur, wenn ich “langsamer” zu Werke ging. Immer wieder rufe ich meinem Götzen der Effizienz “Du lügst!” zu! Denn ich habe es erlebt, dass er immer so verlockend klingt, aber mich bisher jedes einzelne Mal belogen hat und mich unzufrieden, voller Hader mit Gott hinterließ. Dieser Götze widerspricht somit ganz offen der Selbstoffenbarung Gottes und muss bekämpft werden.

Eine letzte Beobachtung: Mir ist aufgefallen, dass dieser Veränderungsprozess auch in ganz unerwarteten Bereichen eine Veränderung bedeutet hat: Z.B. das zu Besuch gehen oder Besuch empfangen. Obwohl wir eigentlich meist wöchentlich mehrmals Besuch haben, habe ich beobachtet, wie ich das häufig für verlorene Zeit hielt. Entsprechend nahm/nehme ich mir nur wenig Zeit dafür, meinem Besuch wirklich zuzuhören. Sieht man aber nicht seine eigene Performance beim Besuch empfangen, sondern Gottes Möglichkeiten, seinem Nächsten zu dienen, findet ein komplett unerwarteter und befreiender Perspektivenwechsel statt. Ich bin plötzlich in der Lage, zuzuhören! Hätte ich nie gedacht! Und das, was vorher nach öder, unnötiger Unterhaltung klang, ist plötzlich wichtig und relevant!

 

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